Schauspieler Albrecht Schuch: „Der Kopf muss freigeschüttelt werden“
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Nominiert: Der Schauspieler Albrecht Schuch, hier zusammen mit seiner Kollegin Jella Haase, mit der zusammen er im Film "Lieber Thomas" spielt.
© Quelle: Gerald Matzka/dpa
Bitte kurz folgende Filme vor dem inneren Auge heraufbeschwören: Wer spielte in der Serie „Bad Banks“ den getriebenen Banker Adam Pohl? Wer verkörperte in „Systemsprenger“ den empathischen Anti-Gewalt-Trainer des Problemmädchens Benni? Und wer vertiefte sich in das Leben des Dichters Thomas Brasch in „Lieber Thomas“? Kaum zu glauben: Der Schauspieler hinter all diesen Rollen ist immer derselbe – Albrecht Schuch. Es scheint kaum einen wichtigeren deutschen Film in den vergangenen Jahren zu geben, an dem Schuch nicht beteiligt war.
Schuch wurde 1985 in Jena geboren. Theater spielte er schon, als er noch keine 20 war. Seine Schauspielausbildung absolvierte er von 2006 bis 2010 in Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ (für die Ernst-Busch-Schule in Berlin hatte er auch eine Zusage in der Tasche). Bald ist er in der Netflix-Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ zu sehen.
Herr Schuch, vor zwei Jahren haben Sie gleich zwei Lola-Trophäen beim Deutschen Filmpreis abgeräumt – für die beste Hauptrolle in „Systemsprenger“ und für die beste Nebenrolle in „Berlin Alexanderplatz“: hier Micha, der sozialarbeitende Menschenfreund, dort Reinhold, der drogendealende Menschenmanipulator: Mögen Sie es extrem?
Für mich als Schauspieler ist es wunderbar, mich in solch unterschiedlichen Farben und Amplituden auszuprobieren. Das ist eines der vielen Dinge an diesem Beruf, die ich über alles liebe.
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In Ihrer „Systemsprenger“-Dankesrede haben Sie „wie immer der Natur“ gedankt. Was hatte es mit dieser Formulierung auf sich?
Andere beziehen sich in so einer Situation auf ihren Gott. Für mich ist das die Natur, die mir viel bedeutet. Sie ist ein Ort, an dem ich mich zu anderen Dingen außerhalb von mir zurückziehe. Ich spaziere auch gern über Friedhöfe. Ich mag die Konzentration, die dort vorherrscht.
Sie mögen Friedhöfe?
In unserer Gesellschaft werden so viele Dinge parallel betrieben. Dauernd wird noch irgendetwas zusätzlich reingequetscht. Wir haben ja all diese technischen Mittel. Dieser Overload tut uns nicht unbedingt gut.
Haben Sie womöglich einen Hang zum Morbiden? Sie wären in guter Gesellschaft, siehe die schwarze Komödie „Harold und Maude“.
Ich finde Friedhöfe alles andere als morbide. Ich mag sehr die mexikanischen Totenfeste, bei denen auf Friedhöfen mit Kind und Kegel gefeiert, gegessen und getrunken wird. Da geht es lebensfroh zu. Man muss nicht in pietätvolles Schweigen verfallen, wenn man sich zwischen Gräbern bewegt ...
... sondern?
Jeder mag dort in der Stimmung ankommen, in der er den Verstorbenen begegnen möchte. Ein Friedhof sollte sowieso nicht nur für die da sein, die ihre Liebsten betrauern, sondern als Treffpunkt auch für andere dienen. Auf Friedhöfen gibt es oft die schönsten und ältesten Bäume – womit wir wieder bei der Natur wären. Als Kind in Jena hatte ich den Wald immer fünf Minuten vor der Haustür.
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Jetzt sind Sie beim Deutschen Filmpreis wieder auf Lola-Kurs dank Ihrer Verwandlung in den Schriftsteller Thomas Brasch: Wie kriegen Sie das hin, sich immer diejenigen Filme auszusuchen, die am meisten Aufmerksamkeit auf sich ziehen?
Darüber denke ich nicht nach. Das ist gewissermaßen ein Nebenprodukt, mit dem ich nichts zu tun habe.
Oder kriegen die Filme umgekehrt so viel Aufmerksamkeit, gerade weil Sie mitwirken?
Ach, bei so einem Film finden so viele Leute zusammen, die etwas auf dem Kasten haben und die mir den Weg bereiten. In diesem Fall hatten wir zudem das große Glück, uns mit einer so faszinierenden Persönlichkeit wie dem Dichter Thomas Brasch beschäftigen zu dürfen.
Was muss eine Rolle ausmachen, damit Sie sich darauf einlassen?
Es hat immer mit dem Charakter zu tun, den ich verkörpere, genauso aber auch mit den Spielpartnern und dem Menschen, der Regie führt. Umgekehrt gilt: Wenn ich merke, der Film könnte mich dahin führen, wo ich gerade herkomme, gehe ich auf Distanz. Nach „Berlin Alexanderplatz“ sind mir einige sympathische Fieslinge angeboten worden. Eine Begegnung mit jemandem wie Reinhold muss ich aber nicht jedes Jahr haben.
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Dass sie sich in bestimmten Rollenmustern ausruhen, kann man Ihnen nun wirklich nicht vorwerfen: Würden Sie sich als schauspielerisches Chamäleon bezeichnen?
Labels mag ich nicht. Da halte ich mich zurück. Das sollen andere beurteilen.
Sie verschwinden geradezu in Ihren Rollen. Glauben Sie, dass alle Zuschauer ahnen, dass Sie sowohl der NSU-Terrorist Uwe Mundlos in „Die Täter“ als auch der gestresste Banker Adam Pohl in „Bad Banks“ sind?
Vermutlich nicht. Aber ich lege es nicht darauf an, unerkennbar zu werden. Ich kümmere mich allein um die Rolle. Jeder Charakter braucht seinen individuellen Zugang.
Wie finden Sie den?
Neugier ist wichtig. Beim Spielen ist es wie sonst im Leben auch: Man lässt sich aufs Gegenüber ein, schaut genau hin und fragt sich, wer dieser Mensch ist. In meinem Fall kommt die Überlegung hinzu: Wie schaffe ich es, diesen Menschen vorzustellen? Das gelingt mal über eine Äußerlichkeit wie ein Kostüm, mal über eine Emotion.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei Thomas Brasch habe ich eine Art Puzzle zusammengesetzt – über die vielen verschiedenen Menschen, die ihm begegnet sind. Der Antiaggressionstrainer Micha im „Systemsprenger“ dagegen konzentrierte sich für mich auf einen klaren emotionalen Kern. Er will dem Mädchen Benni helfen und riskiert dabei, die professionelle Distanz zu Benni zu verlieren.
Sind Sie der Typ Bauchschauspieler oder der Rechercheur, der vorher alles über seine Rolle wissen muss?
Ich bin nur Bauchschauspieler – oder war es jedenfalls. Aber mit zunehmender Erfahrung habe ich gemerkt, dass das nicht genügt. Das Bauchige allein könnte auf Dauer etwas Retardierendes haben oder zu Eitelkeiten führen. Inzwischen öffne ich mich stärker nach außen und hole mir Inspiration. Ich will mich ja nicht wiederholen.
Sie sind der Sohn einer Allgemeinärztin und eines Psychiaters: Spielt das eine Rolle für Ihre Arbeit?
Alles spielt eine Rolle – meine Herkunft, meine Erziehung, meine Kindergärtnerin, mein Deutschlehrer, mein Schlagzeuglehrer. Alle hatten einen Einfluss darauf, wer ich heute bin und wie ich die Welt betrachte. Aber ja, stimmt, das fachliche Hintergrundwissen meines Vaters und meiner Mutter hat immer Eindruck auf mich gemacht. Die beiden haben beruflich genau geschaut, warum ein Mensch ist, wie er ist. Auch hier wieder: Neugier ist eine Antriebskraft.
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Wie läuft die Rollenvorbereitung ab?
Zu der Theorieleistung muss sich etwas Körperliches gesellen. Der Kopf muss freigeschüttelt werden. Das, was dort sitzt, muss sich im ganzen Körper verteilen. Ich darf nicht als Akademiker vor die Kamera treten, dann wird es didaktisch. Ich muss in die Figur hineinfinden.
Was heißt körperlich: Gehen Sie zwischendurch joggen?
Zum Beispiel. Ich kann aber auch schwimmen, boxen oder tanzen. Tanzen ist sowieso gut: Da gibt es die Musik als Quelle von außen. Beim Tanzen lässt sich wunderbar sortieren, was wirklich wichtig und was unwichtig ist.
In den vergangenen Pandemiejahren mussten Sie aufs Tanzen verzichten.
Das kann man ja auch für sich allein in den eigenen vier Wänden machen.
Wie viel Kraft kostet Sie die Rollenvorbereitung?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal ist es der größte Spaß. Manchmal brauche ich hinterher zwei Monate Ruhe – zum Beispiel, wenn die Rolle diametral zu meiner Persönlichkeit steht. Oder wenn die Erfahrung besonders intensiv war und sich über einen langen Zeitraum erstreckte.
Sind Sie hinterher manchmal selbst verwundert über die Vielschichtigkeit Ihrer Figuren?
Manchmal erinnere ich mich kaum mehr daran. Ich versuche, nach Drehschluss in mir aufzuräumen. Ich packe alles sinnbildlich auf den Dachboden und löse mich von der Rolle.
In Ihnen bleibt wirklich nichts zurück von dem Charakter auf der Leinwand?
Zu Vermischungen kommt es immer. Ich gebe dem Charakter ja etwas Persönliches von mir mit – vielleicht die Handbewegung, die ich mache, wenn ich rede; die hängende Schulter, die mir angeboren ist; den Singsang in meiner Stimme aus meiner Heimatstadt. Das gilt genauso für politische Anschauungen oder zwischenmenschliche Erfahrungen. Umgekehrt schwappt etwas zurück. Ich lerne aus der Rolle. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich aus Hunderten von Personen bestehe. Mancher Charakter bleibt ein guter Weggefährte, mancher Berater, mancher ist ein abschreckendes Beispiel.
Nehmen wir mal die Serie „Bad Banks“. In die sind Sie über zwei Staffeln hinweg tief eingetaucht. Können Sie mir jetzt sagen, wie ich mein Geld anlegen soll?
Nein, aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie mal drüber nachdenken sollten, Ihre Bank zu wechseln.
Warum das denn?
Geld ist für viele Menschen zwar ein zentrales Thema. Aber sie setzen sich nicht damit auseinander, was die Bank mit ihrem Geld macht und wo sie es anlegt. Es könnte sich doch lohnen, zu einer grünen Bank zu wechseln, die in nachhaltige und ethisch vertretbare Projekte investiert. Das wäre leicht zu bewerkstelligen.
Bietet der deutsche Film Ihnen genügend Abwechslung?
Ich kann mich nicht beklagen. Aber wenn ich ein Drehbuch schreiben könnte, würde ich mich an einer Komödie versuchen.
Gibt es davon zu wenig?
Jedenfalls zu wenige von denen, die meinen Humor treffen. „Neue Vahr Süd“ von Hermine Huntgeburth war genau meine Art Komödie: furztrocken, bitterernst und saukomisch.
Sie haben eine Neuadaption von „Im Westen nichts Neues“ für Netflix abgedreht – eine gewaltige Produktion mit Panzern, Explosionen, Hunderten Statisten: War das noch mal eine andere Nummer für den Schauspieler Albrecht Schuch?
Oh ja. Wenn auf den Hinweis des Regisseurs „Und bitte!“ plötzlich 500 Menschen loslegen und die Kamera landet nach einer langen Fahrt auf meinem Gesicht, und ich bin dran, meine Sätze zu sagen: Dann ist das noch mal eine ganz andere Verantwortung. Und das bei diesem großartigen Stoff über das Grauen des Ersten Weltkriegs.
2020 haben Sie den Filmpreis zu Hause im Lockdown feiern müssen. Wie werden Sie diesen Lola-Abend verbringen?
Dieses Mal bin ich mittendrin bei der Preisgala in Berlin. Darauf freue ich mich riesig. Ich finde es mega, dass die ganze Filmwelt endlich wieder ein großes Fest feiern kann.
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