Warum spielen Sie so gern Kotzbrocken, Christoph Maria Herbst?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/I7NHCAOWTZBMNGXNTTD23CGKG4.jpg)
„Sie glauben gar nicht, wie oft ich gefragt werde: Herr Herbst, wo nehmen Sie bloß immer diese Sprüche her?“: Schauspieler Christoph Maria Herbst.
© Quelle: IMAGO/Panama Pictures
Den unschlagbaren Titel für eine Lesetour hat Christoph Maria Herbst mal eine Doktorarbeit geliefert. Sie hieß „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ und war tatsächlich 1978 von der TU München angenommen worden. Für einen Mann mit komödiantischem Talent war das eine Steilvorlage. Zunächst hatte es dem 1966 geborenen Herbst das Theater angetan. Schon während seiner Bankausbildung tummelte er sich in der freien Szene in Wuppertal. Im Fernsehen tauchte er zunächst in „Sketchup – The Next Generation“ auf, Furore machte er 2001 an der Seite von Anke Engelke in der Sat.1-Comedy-Reihe „Ladykracher“. Und dann kam die Comedyserie „Stromberg“. Nun spielt er in Sönke Wortmanns Familienkomödie „Der Nachname“, die gerade in unseren Kinos gestartet ist.
Herr Herbst, kriegen Sie derzeit viel Fanpost von Professoren?
Ich ahne, worauf Sie anspielen: Wenn, dann wäre es vermutlich eher böse Post, oder? Stimmt, in gleich drei Filmen von Sönke Wortmann habe ich jüngst Professoren gespielt, und die kommen allesamt nicht so toll weg – egal, ob in „Contra“, „Der Vorname“ oder nun in der Fortsetzung „Der Nachname“. Ich werde mir meine Post mal genauer anschauen: Bislang ist mir da nichts aufgefallen.
Glauben Sie, dass es tatsächlich Literaturprofessoren gibt, die in einem grünen Cordanzug zum Familientreffen nach Lanzarote aufbrechen?
Na, das haben Sie doch in „Der Nachname“ gesehen! In dem Moment, wo Professor Stephan Berger dies auf der Leinwand tut, ist es so geschehen. Wir haben aber auch eine Komödie gedreht und keine Dokumentation über Professoren auf den Kanaren. War in dem Anzug nicht sogar ein Hauch Seide drin?
Und wenn der Herr Professor Berger ein Leben außerhalb der Leinwand gehabt hätte?
Ich bin davon überzeugt, dass es solche Menschen gibt. Es ist mir eine diebische Freude gewesen, so einen zu verkörpern. Er muss allerdings bald streng gerochen haben, weil ja sein Koffer mit der Wechselwäsche auf dem Hinweg verloren ging.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Bietet sich verbiestertes Bildungsbürgertum besonders an, um sich darüber lustig zu machen?
In deutschen Komödien kriegt jede soziale Schicht ihr Fett weg. In diesem Fall ist es nun mal das Bildungsbürgertum. Viele haben da eigene Erfahrungen. Auch der Schauspieler Christoph Maria Herbst kommt ja aus einer vergleichbaren Familie – auch wenn mein Vater kein Professor war, sondern Beamter. Ich habe durchaus Persönliches einfließen lassen können.
Ich hoffe, dass Familientreffen bei Ihnen freundlicher verlaufen.
Meinem zu Gemeinheiten neigenden Filmprofessor fällt es nun mal schwer, mit einer sich verändernden Welt mitzuhalten. Er trägt einen gepflegten Wertekonservatismus zur Schau. Keinen Moment lässt er aus, um zu zeigen, wie groß sein Hirn ist. Die Entwicklung der Figur in „Der Nachname“ gefällt mir gerade deshalb gut, weil man erahnt, dass dahinter dennoch ein Mensch steckt.
Höre ich da Sympathie heraus?
Ohne diese Sympathie wäre es ja komplett schizoid: Wir arbeiten in einer Kinokomödie nicht mit Brecht’schen Verfremdungsstrategien. Ich muss auf verdrehte Weise mit diesem grauenhaften Professor verschmelzen. Ich muss ihn schon ein bisschen lieb haben. Außerdem kann er einem ja auch leid tun: Er wird nicht wie erhofft befördert. Seine Frau betrügt ihn mit einem Sportlehrer mit Sixpack. Das sind alles Themen, in denen sich Zuschauer wiedererkennen – oder zumindest vorsichtig sagen: Ich habe Freunde, bei denen ist das genauso.
Was würde Ihr Professor sagen, wenn er als alter weißer Mann tituliert würde?
Er würde erst mal eine Pause machen, so wie ich es gerade getan habe. Und dann müsste er es wohl zur Kenntnis nehmen. „Diversität“ oder „Gendern“ sind nicht zwingend seine Vokabeln.
Gehört das Gendern zur Praxis des sprachbewussten Schauspielers Christoph Maria Herbst?
Sprache bildet die Wirklichkeit ab. Die so diverse Gesellschaft muss sich in dieser Sprache wiederfinden. Wenn ich ein Konzert sehe mit 65 Männern und fünf Frauen, und am nächsten Tag lese ich in der Zeitung, dass „die Sänger“ ganz fantastisch waren, dann zucke ich zusammen.
Und wenn die Dinge nicht so offensichtlich liegen?
Frauen muss in der Sprache Rechnung getragen werden. Ein Problem habe ich allerdings mit Sternchen oder Doppelpunkten mitten im Wort. Das lässt sich zwar prima lesen, aber schlechterdings sprechen. Dieses Päuschen bekomme ich nicht hin. Ich spreche von Kolleginnen und Kollegen, egal wie knapp die Zeit ist. Kolleg:innen gibt es bei mir nicht. Das hat für mich mit Respekt zu tun. Ich zerhacke keine Worte, und ich glaube auch nicht, dass sich das eine Prozent der Intergeschlechtlichen, Transgeschlechtlichen, Nichtbinären und so weiter in unserem Land in einem Sternchen oder Doppelpunkt wiederfindet.
Sprache ist ein großes Thema in Ihren Filmen: Wie viel davon steht im Drehbuch, wie viel steuern Sie bei?
Bei „Contra“, dieser Geschichte zwischen einem rhetorisch begnadeten, aber leider rassistischen Professor und einer Studentin, stand alles genau so drin. Manches musste ich nachschlagen, weil ich gar nicht wusste, was es bedeutet. Auch bei „Der Nachname“ musste ich mich nur mit breitest denkbarem Hintern wieder auf diese Figur setzen. Und wir mussten aufpassen, nicht in die Sequel-Falle zu tappen: Auf keinen Fall wollten wir die Kuh bis zur Laktoseunverträglichkeit melken.
Wie wäre es, zur Abwechslung mal einen Müllmann oder einen Postboten zu spielen?
Wenn ich mich selbst besetzen könnte: sofort. Im Vorjahr hatte ich die Freude, in Florian Gallenbergers Film „Es ist nur eine Phase, Hase“ einen Autor mit Schreibhemmung zu spielen, dem das eigene Leben wie ein Keks wegbröselt. Das war eine wunderbare Rolle: Ich spielte einen Mann, der um die Liebe seiner Frau und seiner Kinder kämpft. Glücklicherweise scheint sich das Angebot der Figuren, die mir zugetraut werden, gerade zu erweitern.
Verfolgt Sie Ihre Paradefigur „Stromberg“ immer noch?
Dem Ressortleiter der Abteilung Schadensregulierung M bis Z habe ich genau zum richtigen Zeitpunkt den Laufpass gegeben. Ich habe damals gesagt: Ich bin nicht „Stromberg“-Darsteller, sondern Menschendarsteller. Ich bete zu Gott, dass es da noch einige Menschen gibt, denen ich meinen Körper und meine Stimme leihen darf.
Macht es wirklich so viel Spaß, Kotzbrocken zu spielen?
Kantige Figuren, die ein bisschen schief ins Leben gebaut sind, sind mir immer lieber. Mir jedenfalls macht es Heidenspaß, einen Kotzbrocken zu spielen – und ihn dann mit sympathischen Momenten auszustatten. Ich nähere mich Figuren dialektisch. Umgekehrt würde ich bei einem absoluten Sympathen nach den Augenblicken suchen, in denen er nicht so nett ist. Kein Mensch ist ja nur nett oder nur böse.
In jüngeren Jahren haben Sie am Theater den Romeo oder bei den Nibelungenfestspielen in Worms den Hagen gespielt: Wann sind Sie ins komödiantische Fach abgebogen?
Die Zeit damals am Theater war toll. Es war ein Vorteil, an kleinen Häusern engagiert gewesen zu sein. Ich musste alles spielen, die Personaldecke war dünn. Keiner konnte sich den romantischen Liebhaber rauspicken. Da waren Uraufführungen dabei, die danach nie mehr auf einem Spielplan aufgetaucht sind – was hoffentlich nicht an mir lag. Ich habe genauso Boulevard gespielt wie blutgetränkte Lorca-Komödien.
Und wie ging es dann weiter?
Na ja, im Fernsehen habe ich „Ladykracher“ gemacht – also Anke Engelke hat die Serie mit mir gemacht. Da hatte ich das Label weg, der Sketchespieler zu sein. So wie Otto Waalkes immer der Blödelbarde bleiben wird. Oder Ingrid Steeger die Ulknudel. Dann kam „Stromberg“. Im Fernsehen wird viel mit Scheuklappen besetzt. Wer Pockennarben hat, ist der Bösewicht.
Die Tendenz in der Schauspielerei geht dazu, dass jeder spielt, was er ist – egal, ob es um sexuelle Neigung oder kulturellen Hintergrund geht: Gefällt Ihnen diese Entwicklung?
Ganz und gar nicht. Es kann doch nicht sein, dass nur noch homosexuelle Kollegen homosexuelle Figuren spielen. Genauso wenig kann es sein, dass nur noch Muslima muslimische Frauen spielen. Es geht keinen etwas an, an wen jemand glaubt oder wie er oder sie sexuell ausgerichtet ist. Das verbitte ich mir! Auch wenn ich heterosexuell bin, möchte ich Schwule spielen. Und talentierte Schwule möchte ich in jeder Rolle sehen, nicht so talentierte in keiner. Jeder sollte alles spielen können. Dafür hat der liebe Gott das Casting erschaffen. Bei dem Thema könnte ich mich aufregen. Und deshalb halte ich jetzt lieber den Mund.
Sie gelten als Koryphäe in Rollen, bei denen es darum geht, Leute frohgemut zu beleidigen: Passiert es Ihnen, dass solche Gemeinheiten auch in Ihr Privatleben schwappen?
Ich hoffe, da schwappt gar nichts. Aber Sie glauben gar nicht, wie oft ich gefragt werde: Herr Herbst, wo nehmen Sie bloß immer diese Sprüche her? Ich werde nicht müde zu erklären, dass ich sie auswendig gelernt habe. Inzwischen betrachte ich solche Verwechslungen zwischen Figur und Person als verschwurbeltes Kompliment. Ich lüge offenbar überzeugend mit dem, was ich zu sein behaupte. Wenn die Leute glauben, ich sei ein spießiger Bildungsbürger, der keinen mehr hochkriegt und auf der Karriereleiter feststeckt, dann soll es so sein. In besten „Stromberg“-Zeiten sind mir in deutschen Fußgängerzonen Prügel angedroht worden wegen meines miesen Umgangs mit meinen Mitarbeitern.
Müsste sich ein „Stromberg“ heute auf einen Shitstorm gefasst machen?
Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Wohlgemerkt, ohne dass es Überlegungen gäbe, die Figur aus ihrem Drei-Sterne-Tiefkühlfach wieder hervorzuholen. Aber wie würde heute eine Fernsehredaktion mit so einer Figur umgehen, und wie wäre die Reaktion der Zuschauer? Das wäre spannend. Zumindest taucht „Stromberg“ bei den Streamingdiensten immer noch weit oben auf.
Worauf führen Sie die Haltbarkeit der Figur zurück?
Für viele ist „Stromberg“ eine Ventilfigur. Der darf Sachen machen wie in der sogenannten guten, alten Zeit – die tatsächlich alt, aber nie gut war. Sexuelle Übergriffe oder Mobbing: Der „Stromberg“ traut sich was, was ich im eigenen Betrieb lieber lassen sollte.
Wäre ein Bernd Stromberg im Corona-Homeoffice vielleicht doch noch mal eine Versuchung für Sie?
Im Homeoffice würde „Stromberg“ mit seiner narzisstischen Prägung kaputtgehen. Er braucht ein Umfeld, das ihn pampert. Er braucht das Miteinander, das tatsächlich immer ein Gegeneinander war. Außerdem wäre er mit technischen Dingen wie Videokonferenzen überfordert.
Noch mal zu Namen – zu ihrem zweiten Vornamen: Haben Sie „Maria“ gezielt zu einer Marke entwickelt?
Erst als ich Schauspieler wurde, habe ich Maria eingebaut. Aus ästhetischen Gründen: Ohne sie hatte ich den ganzen Mund voller Konsonanten. Das klang hart, abgehackt, jetzt klingt es weicher. Die Maria erzählt mehr über mich, als mancher so denkt ... Und was lustig ist: Meine Schwestern heißen ja auch Maria mit zweitem Vornamen und gehen damit ganz unterschiedlich um. Meine Schwester Stefanie nutzt den Namen gar nicht, meine ältere Schwester schreibt Isabell M. Herbst, das klingt so amerikanisch.
Apropos Ausbildung: Sie haben Bankkaufmann gelernt: Wie wäre es mit einer bösen Serie aus diesem Metier, in der der ein oder andere Rentner mit einem riskanten Aktienpaket über den Tisch gezogen wird?
So was habe ich doch schon im Leben gemacht – Sparverträge mit Versicherungsschutz und 15 Jahre Laufzeit an Greisinnen verkauft. Das hatte mich die Deutsche Bank gelehrt. Im Wirecard-Film als Manager Markus Braun habe ich das im großen Stil und mit einer abgründigen Figur fortgesetzt. Dazu Schadensregulierer „Stromberg“: An dieser Dienstleistungsbranche habe ich mich genügend gerieben.
Haben Sie bei Ihren Fachkenntnissen noch schnell einen todsicheren Geldanlagetipp?
Wir sprachen eben schon in anderem Zusammenhang von Diversität. Das gilt auch hier. Es darf die ein oder andere Kryptowährung ins Portfolio, dazu mischen Sie bitte Fonds, am besten nachhaltige. Und vermutlich werden die Unternehmen, die Impfstoffe herstellen und Rohstoffe fördern, eine große Zukunft haben.