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Polizeifilm aus Frankreich

Als der Terror nach Paris kam – Kinostart von „November“

Ermittlungen auf eigene Faust: Inès (Anaïs Demoustier) macht die entscheidende Zeugin ausfindig.

Ermittlungen auf eigene Faust: Inès (Anaïs Demoustier) macht die entscheidende Zeugin ausfindig.

Was 9/11 für die USA war, wurde 13-N für Frankreich. Am 13. November 2015 wurde Paris zum Zielpunkt mehrerer islamistisch motivierter Attentate. 15 Minuten nach dem Anpfiff des Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und Deutschland detonierte die erste Bombe vor dem Eingang des Stade de France im nördlichen Vorort Saint-Denis.

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130 Tote in Paris - Die grausige Bilanz des 13. November 2015

Nahezu gleichzeitig fuhren mehrere Täter durch das 10. Arrondissement und schossen mit Maschinengewehren vor zahlreichen Bars und Restaurants auf Gäste und Passanten. Nur 20 Minuten später drangen im 11. Arrondissement drei bewaffnete Männer in das Theater Bataclan ein, wo gerade ein Rockkonzert mit 1500 Besucherinnen und Besuchern stattfand. Sie eröffneten sofort das Feuer mit Kalaschnikows und warfen Handgranaten in die Menge. 130 Tote und 683 Verletzte lautete die blutige Bilanz dieser Nacht.

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Plötzlich klingeln alle Telefone auf den Schreibtischen

Nun adressiert Cédric Jimenez mit „November“ dieses nationale Trauma in Form eines Polizei- und Actionfilms, weigert sich aber, die blutigen Anschläge direkt ins Bild zu fassen. Stattdessen steht die Kamera im Großraumbüro der Antiterrorpolizei SDAT (sous-direction antiterroriste), wo ein einzelner Mitarbeiter am 13. November 2015 den Nachtdienst verrichtet und plötzlich alle Telefone auf den Schreibtischen nacheinander zu klingeln beginnen.

Die Szene ist nicht nur ein Bekenntnis zur Diskretion, die auf die Darstellung der terroristischen Gewalt gezielt verzichtet, sondern auch ein Bekenntnis für den schmalen, eingeschränkten Blickwinkel, mit dem der Film fortan auf die Ereignisse und ihre Folgen schaut.

Denn „November“ zeichnet allein die Arbeit der Antiterrorpolizei nach, die in den folgenden fünf Tagen mit allen verfügbaren Kräften versucht, die beiden überlebenden Täter und den mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge, Abdelhamid Abaaoud, zu fassen.

Bei einer Razzia in Athen konnte der spätere Hauptverdächtige entkommen

Wie man bereits aus dem Prolog erfahren konnte, ist dem Leiter der Ermittlungen Fred (Jean Dujardin) und dessen Vorgesetzten Héloise (Sandine Kiberlain) bereits im Januar bei einer Razzia in Athen der Hauptverdächtige durch die Lappen gegangen. Dessen Festnahme hätte womöglich das Blutbad in Paris verhindert.

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„November“ wirft sich direkt hinein in die hektische Betriebsamkeit, die wenige Minuten nach den Attentaten in der Ermittlungsbehörde ausbricht. Verzweifelt wird hier nach Spuren gesucht, werden E-Mails, Textnachrichten, Fotos, Akten und Verkehrsvideos gescannt. Hinzu kommen Hunderte von Hinweisen aus der Bevölkerung und schließlich die Zeugenaussagen der überlebenden Opfer der Attentate, deren fragmentarische Erinnerungen die Ermittlerinnen im Krankenhaus aufnehmen.

Eine der Überlebenden ermittelt auf eigene Faust

Eine von ihnen ist Capitaine Inès Moreau (Anaïs Demoustier), die eine Spur auf eigene Faust verfolgt und damit die Ermittlungen gefährdet, aber letztlich die entscheidende Zeugin ausfindig macht. Samia (Lyna Khoudri) glaubt, dass ihre Cousine Hasna (Sarah Afchain) die beiden flüchtigen Terroristen unterstützt. Marco (Jérémie Renier) stuft die Zeugin als unglaubwürdig ein, während seine Kollegin Inès an der Spur festhält.

Bevor „November“ in Cannes seine Premiere feierte, eilte dem Werk kein guter Ruf voraus. Regisseur Jimenez hatte zuletzt den ebenfalls auf Fakten basierenden Polizeithriller „Bac Nord“ vorgelegt, der wegen seiner tendenziösen Darstellung polizeilicher Arbeit sehr kontrovers diskutiert wurde. Die Einseitigkeit hat Jimenez nun in „November“ zum klar erkennbaren, erzählerischen Konzept erhoben, um die Arbeit der Antiterroreinheit mit größtmöglicher Nüchternheit und detaillierter Genauigkeit zu schildern. Damit steht „November“ in der Tradition französischer Polizeifilme, die sich oft in erster Linie als präzise recherchierte Arbeitsplatzthriller verstehen.

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Jimenez’ Film verzichtet auf klassische Heldenfiguren

Auch wenn Jean Dujardin in schusssicherer Weste das Filmplakat ziert, verzichtet der Film auf klassische Heldenfiguren und zeigt die Ermittlungen der Antiterroreinheit als kollektiven Prozess, der unter hoher persönlicher Anspannung und enormem politischem Druck geführt wird.

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Die dramaturgische Auflösung dieses Prozesses in eine ruhelose, schnell geschnittene und dynamisch ins Bild gefasste Erzählung ist sehr gelungen. Natürlich kann man dem Film vorwerfen, dass er versucht, dem mörderischen Chaos des Terrorismus die Effizienz einer Polizeibehörde entgegenzusetzen, die für die Wiederherstellung der Ordnung sorgt. Aber „November“ fehlt jegliches Katharsispathos.

Der Tod der Attentäter bringt nicht Erleichterung, sondern Unbehagen

Der Tod der mutmaßlichen Attentäter verbreitet hier nicht Genugtuung, sondern Unbehagen und die Gewissheit, dass das Risiko terroristischer Gewalt trotz aller polizeilichen Bemühungen nicht ausgeschaltet werden kann. Man sollte „November“ vielmehr als Anfang einer filmischen Aufarbeitung sehen, die sich auf eine Facette konzentriert und die Tür für weitere Betrachtungsweisen offenlässt.

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„November“, Regie: Cédric Jimenez, mit Jean Dujardin, Sandrine Kiberlain, Anaïs Demoustier, 100 Minuten, FSK 12 (Start am 20. Oktober)

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