Neustart am Potsdamer Platz: Wie die Berlinale ihr Publikum zurückerobern will
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Preisgala: Auf diesem Bild posiert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem US‑Schauspieler Sean Penn im November 2022, nachdem diese die Oscarstatuette und den Verdienstorden III. Grades in Kiew ausgetauscht haben. Aus den Begegnungen der beiden entstand ein Dokumentarfilm, nun zu sehen bei der Berlinale.
© Quelle: Uncredited/Pressebüro des ukrai
Die erste Berlinale des neuen Festivalleitung war die letzte vor den Corona-Lockdowns. Ende Februar 2020 tauchten bereits die ersten – noch gänzlich ungewohnten – Maskenträger am Potsdamer Platz auf. Seitdem mussten sich Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek vornehmlich mit Online-Filmvorführungen und Abstandsregeln herumschlagen – eine Führungsduo im permanenten Ausnahmezustand.
Nun planen die beiden endlich wieder ohne jede Platzbeschränkung einen fulminanten Neustart bei den 73. Internationalen Filmfestspielen vom 16. bis 26. Februar. Das Leitungsteam setzt verstärkt auf Glanz am roten Teppich – vor allem außerhalb des Wettbewerbs. Zwei Dokumentarfilme sollen auch filmferne Prominenz von Boris Becker (Arbeitstitel: „Untitled Boris Becker Documentary“) bis zur Rockgruppe U2 („Kiss the Future“) in die Hauptstadt spülen. Ein Filmfestival, das auf sich hält, muss jede Menge Stars in der Manege vorhalten.
Es wird politisch bei der Berlinale
Vor allem aber dürfte es angesichts der Weltlage politisch werden: „Die Wirklichkeit ist zurück“, sagte Berlinale-Chef Chatrian gestern bei der Vorstellung des Programms. Und das Kino soll diese düstere Realität mit Poesie in Schach halten.
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Der für besondere Filmprojekte berühmt-berüchtigte Sean Penn präsentiert in der Reihe „Special Gala“ zusammen mit Co‑Regisseur Aaron Kaufman seinen Dokumentarfilm „Superpower“ über Wolodymyr Selenskyj. Den ukrainischen Präsidenten hatte Penn noch kurz vor Kriegsbeginn in Kiew getroffen und dann bei seiner überstürzten Abreise mit Rollköfferchen mächtig Wirbel ausgelöst. Später war er in die Ukraine zurückgekehrt, um einen Oscar zu überreichen.
Filmschaffende aus der Ukraine und dem Iran, aber auch aus der Türkei und Afghanistan sollen in den kommenden eineinhalb Festivalwochen mit besonderen Veranstaltungen gewürdigt werden. Die offizielle Berlinale-Anstecknadel ist in diesem Jahr in den gelb-blauen Farben der Ukraine gehalten.
Schaufenster für deutsche Filme
Den Deutschen bereitet die Festivalleitung in dem mit 18 Filmen bestückten Wettbewerb ein überdurchschnittlich glamouröses Schaufenster: Gleich fünf Regisseurinnen und Regisseure sind am Start, darunter Margarethe von Trottas heiß ersehntes Drama „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ über die Beziehung der Dichterin zu Max Frisch (gespielt von Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld).
Dazu stößt Christoph Hochhäusler mit dem Noir-Krimi „Bis ans Ende der Nacht“, Emily Atef mit der Romanverfilmung „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, Angela Schanelecs am Ödipus-Mythos angelehnte Geschichte „Music“ und Christian Petzold Beziehungsdrama „Roter Himmel“. Das deutsche Quintett besteht komplett aus alten Berlinale-Bekannten.
Insgesamt spannt sich der Wettbewerb rund um den Globus und umfasst viele Genres. Zu sehen ist mit „Suzume“ von Makoto Shinkai auch ein Animefilm, der in Japan an den Kinokassen bereits ein Millionenerfolg war. Für den Wettbewerbsbeitrag „Manodrome“ des Südafrikaers John Trengove sind die Stars Jesse Eisenberg und Adrien Brody gemeldet.
Der Franzose Nicolas Philibert widmet sich in dem Dokumentarfilm „Sur l‘Adamant“ einem Projekt mit geistig Behinderten. Aus China kommt Zhang Lus Drama „The Shadowless Towers“ und aus Weißrussland „Disco Boy“ über einen Söldner mit dem deutschen Schauspieler Franz Rogowski. „Melodramen bilden einen roten Faden“, so Chatrian gestern.
Kristen Stewart gehört als Jurypräsidentin zu den fest gebuchten US‑Stars. Cate Blanchett spielt in „Tár“ in einer Festivalnebenreihe eine übergriffige Pianistin, Helen Mirren in „Golda“ die israelische Politikerin Golda Meir. Anne Hathaway und Peter Dinklage reisen zur Eröffnung für die außer Konkurrenz laufende romantische New-York-Komödie „She Came to Me“ an. Und Steven Spielberg als Ehrenpreisträger hat mit „The Fabelmans“ seine ganz persönliche Kindheitserinnerung im Gepäck.
Die Berlinale als Zuschauermagnet mit rund einer halbe Million verkauften Tickets in den Vor-Corona-Jahren will nach Worten von Leiterin Rissenbeek dazu beitragen, das immer noch zögerliche Publikum wieder zurück vor die Leinwand zu holen. Kooperationen mit Kinos bundesweit sind vereinbart. Das genaue Berlinale-Programm mit allen Vorstellungen und Spielstätten wird am 7. Februar veröffentlicht.