Der coole Country-Outlaw und die Liebe: zum 90. Geburtstag von Johnny Cash
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Ein Finger Freiheit: Johnny Cash 1969 bei seinem Konzert im Gefängnis von San Quentin in Kalifornien.
© Quelle: dpa/Archiv
„Oh Gott“, singt der alte Mann zur Gitarre, „hilf mir, eine weitere Meile zu gehen, nur noch eine Meile mehr.“ Bis zum Schluss hat Johnny Cash geliebt, dann ist ihm im Mai 2003 die beste Freundin und Lebensbegleiterin June Carter Cash gestorben. Der Kontrabass brummt schwer zur Trauer, geht zitternd runter bis zum Boden eines Brunnens ohne Boden. Schwarzes Wasser darin. Johnny Cashs Stimme ist müde, trocken, so durstig wie Holz nach 100 Jahren Sonne. Keinen Schritt mehr wird er ohne Gottes Beistand tun. Doch der hilft ihm. Ein paar Songs noch, nur noch ein paar Songs.
„Help me“ eröffnete das Album „A Hundred Highways“, das 2006 erschien – Cashs fünftes und erstes postumes der legendären „American Recordings“ unter Produzent Rick Rubin. Das Testament. Die letzte Kraft. Was für eine Kraft!
Wie Johnny Cash klang, der am 26. Februar 1932 geborene Sohn eines armen Farmers aus Arkansas? Wie ein knorriger Baum, ein weiter Horizont, ein König des Staubs. Die Gitarre dunkel und klar, der Rhythmus cool mit dem Daumen auf ihr Holz geschlagen. Ein Mann, der so war, wie er in seinem ersten Hit „I Walk the Line“ sang. „Ich pass gut auf auf mein Herz/Ich hab meine Augen weit offen ... immerzu“.
Johnny Cash sagte sogar Präsident Nixon Bescheid
Heute wäre er 90 Jahre alt geworden. Ein Mann, der an der US-Hybris litt. Cash wich nie aus, beschied Präsident Nixon, der ihn vereinnahmen wollte, dass, wenn man sein Land liebe, man nicht zwangsläufig ein anderes hassen müsse. Er wurde ein Freund von Bob Dylan, den das Establishment als Revolutionär benasrümpfte. Johnny Cash benasrümpfte das Establishment.
In Deutschland war Cash in den 70ern Gast in piefigen TV-Shows, war Papamusik und out. In den 90ern kam er zurück als „Man in Black“, nahm unter Rockproduzent Rick Rubin ein sechsbändiges Alterswerk auf, wie es in der Geschichte der populären Musik kein zweites gibt. „Ich werde wieder in meinem alten Stil spielen“, hatte er angekündigt. Und brachte dann Songs von Glenn Danzig, Depeche Mode und den Beatles. Als wären sie aus seiner Feder, als wären sie ihm aus dem Herz gerissen.
Cashs Leben ergibt ein großes Buch der Abenteuer. Er hat seine Wurzeln in altem Boden und ragt weit in die Zukunft. Die Kinder von 2022 hören ihn wieder, verstehen ihn, seine Moral, seinen Anstand, gebrochen an Schwäche und Zweifeln. Ein Mensch ist zu finden, wenn man alte Interviews mit ihm liest – kein Popstar. Nach der Lektüre hört man seine Lieder nochmal anders und ist erschüttert, wenn die verwitterte wiewohl ungebrochene Stimme in Trent Reznors „Hurt“ knarrt: „Jeder, den ich kenne, geht am Ende weg/und du kannst es ganz und gar haben/mein Königreich aus Staub.“
Am 12. September 2003 schon ist er June gefolgt. Und wer mehr von dieser großen Liebe wissen will, der schaue sich James Mangolds Filmbiopic „Walk the Line“ an. Wer sich Johnny Cashs Einsamkeit und Sehnsucht dagegen anhören will, der versuche es mit seiner Version von Bruce Springsteens „Further on up the Road“. Einer wandert darin endlos in der Wüste, kein Licht in der Ferne, aber sein Ziel ist auch kein irdischer Ort mehr: „Ich weiß, ich treff‘ dich weiter oben an der Straße.“ Und wo immer das ist, haben Johnny und June getanzt.