Oh, du schöner Mittelscheitel: Die Nick-Carter-Frisur ist zurück
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Die Backstreet Boys haben Trends gesetzt – auch in Sachen Frisuren.
© Quelle: picture alliance / Photoshot
Hannover. Irgendwann neulich geschah es zum ersten Mal, da spülte mir der Reel-Algorithmus von Instagram eine Gruppe von acht(!) tanzenden Jungs aufs Smartphone: Sie machten merkwürdige Bewegungen zu einer heruntergepitchten Version von „Alors On Danse” (Stromae), blickten dabei verführerisch in die Kamera und zeigten ihre übertrieben weißen Zähne. In den Kommentarspalten: reihenweise applaudierende Teeniemädchen.
Das ist jetzt erst mal nicht besonderes, man kennt diesen oberflächlichen Quatsch von Tiktok und Instagram. Aber eine Sache war trotzdem anders an diesem Video: Alle acht Akteure sahen komplett gleich aus. Zumindest auf dem Kopf.
Inzwischen stecke ich in einer Art Instagram-Dauerschleife fest. Seit meiner ersten Begegnung mit dieser Gruppe werden mir unzählige weitere solcher Videos vorgeschlagen. Mal sind es Influencer-Jungs in teuren Autos, die in die Kamera schmachten und sich durch die Haare fahren, mal stehen sie in ihrem Kinderzimmer, mal im Industriegebiet, mal laufen sie ganz zuuuufällig supersexy durch die Fußgängerzone. Auf dem Kopf: Immer die gleiche Haarpracht.
Die Nick-Carter-Frisur ist zurück
Würden in diesen Videos im Hintergrund nicht Songs aus dem Jahr 2010 klimpern, könnten sie angesichts des Hairstylings auch aus dem Jahr 1996 stammen. Dem Jahr, in dem die Backstreet Boys groß wurden – und viele dieser Jungs wahrscheinlich noch nicht einmal geboren waren.
Wir müssen es wohl oder übel akzeptieren: Auf den Köpfen junger Menschen feiert ganz offensichtlich der Nick-Carter-Mittelscheitel sein Comeback. Ein Trend, den nicht zuletzt auch der Autor dieses Textes einmal mitgemacht hat. Damals vor mehr als 20 Jahren, als er noch Haare hatte. Heute frage ich mich: Wenn sich die Generation X etwas von der Generation Y abgucken will, warum muss es ausgerechnet diese schauderhafte Frisur sein?
Steigen wir etwas tiefer in die Geschichte des ikonischen Haarschnitts ein. Bei mir in der Schule taucht der sogenannte „Boybandbob” (oder auch: Playmobil-Frisur) erstmals rund um das Jahr 1997 auf. Es ist die Zeit, in der man vor lauter Coolness überteuerte und völlig unpraktische Eastpak-Rucksäcke in die Schule schleppt, Vans trägt, Tamagotchis aus Versehen sterben lässt und die Tagesthemen über die Tic-Tac-Toe-Trennung berichten. Und die Zeit, in der man länger als nötig vor dem Badezimmerspiegel steht, um den perfekten Mittelscheitel zu frisieren, der am Ende aber trotzdem nicht so perfekt aussieht wie der von Nick Carter aus dem Fernsehen.
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Die Ikone der Playmobil-Frisur: Backstreet Boy Nick Carter.
© Quelle: picture-alliance / Sven Simon
Eine Frisur, die aussieht wie das M von McDonald’s
Zugegeben: Nick Carter mag Ikone dieses Playmobil-Looks sein, er ist aber nicht der einzige Vertreter in dieser Zeit. Auch Kevin von den Backstreet Boys trägt den Haarschnitt (siehe Foto oben) in einer besonders extremen Variation: Er lässt die Haare nicht einfach einfach fallen, sondern föhnt eine übertriebene Welle mit rein, die dank einer abnormal großen Portion Haargel auch unkaputtbar ist. Bei der Boyband NSYNC war es Chris Kirkpatrick, der zweitweise diese Variante der Boybandfrisur trug.
Für die Föhnvariante gibt es inzwischen auch einen Namen: Der M-Schnitt – weil die Frisur dem geschwungenen M aus dem McDonald’s-Logo ähnelt. Die Fastfoodkette hatte sich Ende vergangenen Jahres einen Spaß daraus gemacht und zu Marketingzwecken einen Pop-Up-Friseurladen eröffnet, in dem sich interessierte Kunden die kultige Neunzigerfrisur schneiden lassen konnten.
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Auch Leonardo DiCaprio und Brad Pitt trugen in den Neunzigern zeitweise den Boybandschnitt, wenn auch mit weniger auffälligem Mittelscheitel. Die wohl fragwürdigste Version des Boybandbobs ist das, was seinerzeit die Mitglieder der völlig zu recht in Vergessenheit geratenen Teenieband „The Moffats” auf dem Kopf trugen: Eine Mittelscheitelfrisur mit blondiertem Pony. Gruselig.
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Die Extremversion des Boybandbobs: Mittelscheitel und blondierter Pony.
© Quelle: picture-alliance / dpa
Wie zufällig herbeigeföhnt
Die heutigen Vertreter des Boybandschnitts heißen nicht mehr Nick Carter oder Kevin Richardson oder Scott Moffat, sondern Luis Freitag, Arne-Carlos Böttcher, Niclas Kurstedt oder Nils Kuesel – vier der acht Influencer-Jungs aus dem Tanzvideo und allesamt aus Deutschland. Zigtausende Menschen folgen ihnen und ihrer Haarpracht auf Instagram und Tiktok. Was jedoch auffällt: Sie tragen etwas modernere Varianten des Boybandschnitts als ihre Vorbilder in den Neunzigern.
Akkurate Symmetrie ist heute beim Mittelscheitel offenbar nicht mehr gewünscht, er kann auch mal etwas zu weit links oder zu weit rechts sein oder einen Zacken haben. Ganz wichtig auf Instagram: Authentizität. Die Frisur darf also keinesfalls aussehen wie stundenlang zurechtfrisiert, sondern wie zufällig herbeigeföhnt. Das ist mit der Betonvariante von Kevin Richardson von den Backstreet Boys natürlich nicht vereinbar.
Das Hairstyling des Influencers Mark Lucas (knapp 900.000 Instagram-Follower) wiederum erinnert eher an die DiCaprio-Version aus dem Film „Romeo und Julia“. In einem zwei-Millionen-mal abgerufenen Reel vergleicht sich der Influencer sogar mit dem US-Schauspieler.
BTS sind Vorreiter
Ganz wichtig bei jeder modernen Variante des Boybandschnitts. Die Föhnwelle. Ein herunterhängender Bob, wie ihn einige Vorreiter in den Neunzigern noch hatten, ist beim modernen M-Schnitt augenscheinlich ein No-Go. Je mehr Welle, desto besser. Teo van den Broeke, Style Director bei der britischen GQ sagte dem „Guardian” kürzlich: „Ein gewisses Volumen ist bei der Vorhangfrisur immer von Vorteil.” Man wolle am Ende schließlich nicht „wie Professor Snape aussehen”.
Selbstverständlich sind deutsche Influencer aber nicht die Urheber des wiederentdeckten Boybandlooks. Seinen Ursprung hat der Hype vor allem bei internationalen Superstars – und nicht zuletzt in der K-Pop-Szene.
Mitglieder von koreanischen Boybands wie etwa BTS gehörten vermutlich zu den ersten Vertretern, die die Nick-Carter-Frise wieder mit Stolz trugen. Es folgten berühmte Schauspieler wie etwa Timothee Chalamet.
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Einige Mitglieder der Boygroud BTS tragen gerne Mittelscheitel.
© Quelle: -/YNA/dpa
Frisierte Modelabels und Tiktok-Stars
Große Modelabels begannen bereits im vergangenen Jahr, männliche Models mit Neunzigerfrisur auf die Laufstege zu schicken – hier beispielsweise ein Werbefoto von Celine:
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Und selbstverständlich machen auch Fußballstars mit: Die englische Nummer sieben, Jack Grealish, sorgte während der EM mit seiner Frisur für Schlagzeilen in der britischen Presse. „Middle-parted curtains”, also „in der Mitte getrennter Vorhang” wird seine Frisur hier genannt. Sogar seine Haarroutine verriet der Fußballstar: Arganöl, Hairbond-Wachs und Got2B-Haarspray auf noch feuchtem Haar – dann sitzt alles perfekt.
Bei Tiktok tauchte das Frisurenphänomen schon 2019 auf, als man noch versuchte, das neuartige Phänomen der tanzenden Teenies zu ergründen. Einer deren Vertreter, der Tiktok-Star Anthony Reeves, trug damals schon mit Stolz die Mittelscheitel-Frisur.
„Der moderne Mittelscheitel ist messy“
Blickt man noch weiter in die Geschichte zurück, so sind Varianten des Mittelscheitellooks aber auch schon auf historischen Fotos des britischen Illustrators Aubrey Beardsley (*1872) oder des Schriftstellers Oscar Wilde (*1854) zu beobachten. Es ist also ein Trend, der augenscheinlich immer wieder zurückkommt und nicht totzukriegen ist.
Dass dem so ist, hat natürlich längst auch die Pflegeproduktindustrie gemerkt. Ein großer Hersteller von Shampoo und Haargel hat auf seiner Website eine eigene Seite mit Pflegeprodukten für den perfekten Mittelscheitel ins Leben gerufen. Hier heißt es: „Jahrelang wurde über den Mittelscheitel beim Mann die Nase gerümpft. Die akkurat abgeteilten Haarhälften erinnerten einfach zu stark an Boybandsünden der 90er-Jahre. Das tut dem Look allerdings Unrecht: Der neue Mittelscheitel hat eine wunderbar lässige, coole Seite.“
Dann folgen ein paar Stylingtipps inklusive Eigenwerbung für die eigene Produktlinie: Haare waschen, mit dem Handtuch etwas trocknen und nach hinten kämmen, Mittelscheitel ziehen und Gel einarbeiten. Anschließend trocknen lassen oder trocken föhnen. Wichtig: Das Haar soll „seine natürliche Struktur entfalten“. „Der moderne Mittelscheitel darf beim Mann gern messy ausfallen.“
Ein Relikt des Lockdowns
Modemagazine geben derweil Tipps, wer den Mittelscheitel tragen sollte und wer nicht: „Zum einen muss die Haarstruktur möglichst glatt sein. Stark wellige bis lockige Haare schauen im Mittelscheitel nicht nach Boyband, sondern schlecht frisiertem Pudel aus”, meint beispielsweise das Magazin „Esquire”.
Zum anderen spiele der Wirbel eine entscheidende Rolle. „Wer ihn am Haaransatz und dann nicht exakt in der Mitte hat, ist leider raus beim Mittelscheitelgame. Da hilft kein Föhnen und auch kein Stylen.“
Laut dem GQ-Experten Teo van den Broeke gibt es übrigens einen ganz einfachen Grund, warum der Frisurentrend ausgerechnet in diesem Jahr zum Trend wurde. „Weil wir alle gezwungen waren, unsere Haare während des Lockdowns länger wachsen zu lassen”, so van den Broeke. Plötzlich hätten Männer, die zuvor komplett durchfrisiert waren, erkannt, „dass sie mit einem natürlichen Mittelscheitel gesegnet sind“ – und schwupps: die Nick-Carter-Frisur war geboren.