Die neue weibliche Wut: Wie Sängerinnen Break-up-Songs zu Hits machen
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Weibliche Wut und Selbstbewusstsein: Die Sängerinnen Miley Cyrus (links) und Shakira brechen mit ihren neuen Rachesongs Rekorde.
© Quelle: Greg Allen/Invision/AP/Yui Mok/PA Wire/RND-Montage
Shakira und Miley Cyrus trauern ihren Ex-Männern nicht hinterher, das haben sie in ihren neuen Songs bewiesen. „Du hast einen Ferrari gegen einen Twingo, eine Rolex gegen Casio getauscht“, gibt Popsängerin Shakira ihrem Ex-Mann und ‑Profifußballer Gerard Piqué in ihrem Diss-Track deutlich zu verstehen – und spielte damit auf seine neue Freundin Clara Chia Marti an. Und Cyrus fallen in „Flowers“ viele schöne Dinge ein, die sie nach einer Trennung machen kann: allein tanzen, sich selbst Blumen kaufen – und sich selbst besser lieben, als ihr Ex-Partner es je getan hat. Zwar nennt sie im Song nicht explizit den Namen ihres Ex-Manns Liam Hemsworth. Doch die Tatsache, dass sie das Lied an seinem Geburtstag veröffentlichte, lässt niemanden daran zweifeln, dass es um ihre Trennung von dem Schauspieler geht.
Mit ihren Songs haben die Sängerinnen Rekorde gebrochen: Shakiras Lied wurde mit 63 Millionen Aufrufen in 24 Stunden auf Youtube zum meistgehörten Latin Song der Plattform. Und Cyrus’ Trennungshymne „Flowers“ wurde zum meistgestreamten Lied innerhalb einer Woche auf Spotify.
Dass Sängerinnen mit ihren Ex-Partnerinnen und ‑Partnern abrechnen, ist eigentlich nicht neu. Nancy Sinatra sang schon 1966 – ein Jahr nach ihrer Scheidung – mit „These Boots Are Made for Walkin’“ ein Lied für alle Menschen, die die Nase voll vom schlechten Verhalten ihrer Partner haben. Und auch Alanis Morissette zeigte 1995 in ihrem Rachesong keine Gnade: „Jedes Mal, wenn ich jemandem über den Rücken kratze, hoffe ich, dass du es spürst“, singt sie in „You Oughta Know“. Und doch erleben wir mit den Break-up-Songs von Cyrus, Shakira und anderen berühmten Sängerinnen einen Wandel in der Popmusik.
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Ein Ausdruck weiblicher Wut
L. J. Müller (Buch: „Sound und Sexismus – Geschlecht im Klang populärer Musik“, Marta Press) forscht zu Popmusik und Geschlecht und betont, dass Trennungssongs inzwischen einen auffällig großen Anteil an den populären Songs vieler Sängerinnen ausmachen. „Sängerinnen treten hier verstärkt selbstbewusst und sich abgrenzend auf, statt verletzt und verzweifelt, wie dies in der Vergangenheit oft der Fall war“, sagt Müller. Sinatra habe noch mit freundlich-lächelnder Stimme gesungen – und auch Morissette zeigte sich in ihren Strophen mitunter noch verletzlich und weinerlich. Doch Müller sieht gleichzeitig in Morissettes kraftvollem Gesang einen historischen Zwischenschritt: Immer mehr Sängerinnen werden seitdem deutlich aggressiver und wütender in Break-up-Songs.
Die Wut richtet sich dabei meist gegen Männer, die untreu waren oder Frauen in der Beziehung schlecht behandelt haben. Das war auch schon vor Shakiras und Miley Cyrus’ Hits der Fall: Olivia Rodrigo bringt etwa in ihrem Break-up-Song „Good 4 You“ ihre Wut gegen ihren Ex-Freund mit aggressiver Stimme stark zum Ausdruck. Und auch Rachesongkönigin Taylor Swift zeigte sich in Songs wie „Look What You Made Me Do“ oder „Bad Blood“ aggressiver – auch wenn sich diese Songs vermutlich eher gegen ehemalige Freundinnen richten. Wut werde als Emotion von Frauen immer gesellschaftlich akzeptierter und zunehmend Basis von Selbstbewusstsein, meint Müller. „Dahinter steht meiner Meinung nach auch ein verändertes Frauenbild, in dem Aggressivität, Wettbewerb und körperliche Selbstbestimmung einen festen Platz haben.“
An Selbstbewusstsein mangelt es den Sängerinnen in Break-up-Songs wahrlich nicht: Shakira ist sich in ihrem Diss-Track ihrer eigenen Stärke bewusst und sagt entschlossen: „Ich bin mehr wert als zwei 22-Jährige“ – eine erneute Anspielung auf die junge neue Freundin ihres Ex-Manns. Cyrus tanzt in ihrem Musikvideo fröhlich und zeigt darin zudem mit Kraftübungen ihre Power. Trauern um die Beziehung? Fehlanzeige. Und auch die erfolgreiche britische Sängerin Dua Lipa singt in ihren Songs nicht verzweifelt über Trennungen, sondern betont, wie sie im Nu wieder auf die Beine kommt und sich vom Ex-Partner losreißt.
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Sängerinnen wehren sich gegen gesellschaftliche Erwartungen
Die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke zeigen deutlich: Die Songs sprechen vielen Menschen aus der Seele. „Sicherlich fühlen sich viele Menschen mit den Songs verbunden – gerade eine Trennung ist etwas, das die meisten Menschen in ihrem Leben mehrfach durchmachen müssen“, sagt Musikforscherin Anke Charton vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Doch hinter dem großen Erfolg der Songs von Shakira, Miley Cyrus, Dua Lipa, Taylor Swift und Co. steckt noch mehr.
Ihre Break-up-Songs erlangten laut Charton womöglich auch deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil immer mehr Sängerinnen in Break-up-Songs mit gesellschaftlich konstruierten Standards brechen: „An Frauen gibt es immer noch eine Erwartungshaltung, dass sie glatt, schön und weich singen.“ In anderen Worten: Die weibliche Wut in Liedern überrascht noch immer viele Menschen.
Bei männlichen Interpreten wie Eminem ist Wut dagegen schon lange ein integraler Bestandteil ihrer Musik: Der Rapper widmete vieler seiner Songs seiner ersten großen Liebe, und Ex-Frau Kim Amberly Scott fantasierte in „97′ Bonnie & Clyde“ sogar, wie er sie tötet. Auch als One-Hit-Wonder Eamon mit seiner 2003 veröffentlichten Single „Fuck It (I Don’t Want You Back)“ die Charts eroberte, war niemand von seiner Wut und vulgären Sprache überrascht. Doch als sich seine Ex-Freundin und Sängerin Frankee wenige Monate später in Form eines eigenen Rachesongs namens „F.U.R.B. (Fuck You Right Back)“ konterte, staunten viele nicht schlecht über ihre teilweise harten Aussagen: „Ich hatte selbst mit mir allein besseren Sex.“
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„Reality-TV-Charakter“: Break-up-Songs lassen sich gut vermarkten
Immer mehr Sängerinnen merken, dass Wut in Songs sehr gut ankommt. Vor allem dann, wenn sie dabei zusätzlich heikle Informationen über die Beziehung ans Licht bringen. „So etwas hat einen Reality-TV-Charakter: Das Publikum bekommt einen Einblick in etwas vermeintlich sehr Privates, das gleich zwei sehr bekannte Menschen betrifft. Als Zuhörinnen und Zuhörer haben wir das Gefühl, dass wir direkt bei dieser Trennung dabei sind“, sagt Charton.
Auch deshalb ließen sich Rachesongs gut vermarkten. Die Sängerinnen berichten in ihren Songs, wie sie ihre Beziehungen erlebt haben – und das in sehr offener, teilweise schonungsloser Manier. Die Sängerinnen nennen zwar nicht immer den Namen der Männer, um die es in den Songs geht. Fans, die über ihre vergangenen Beziehungen bestens informiert sind, finden aber leicht heraus, über wen die Lieder geschrieben sind. In Shakiras und Cyrus’ Fall war es ohnehin eindeutig, doch Fans können auch die zahlreichen Ex-Partner Taylor Swifts ihren jeweiligen Songs zuordnen – und teilen ihre Erkenntnisse folglich mit anderen über Social Media.
Fans greifen nach Rachesong Ex-Partner an
Break-up-Songs sorgen aber auch für viel Diskussionsstoff. Einige Fans gehen sogar so weit, dass sie die Ex-Partnerinnen und Ex-Partner der Interpreten in sozialen Netzwerken angreifen, um die es in den Rachesongs geht. „Das zeigt, wie sehr diese Grenze zwischen privatem und Medieninszenierung einer Person oft vermischt wird. Im Internet gibt es eine ganze Kultur, die das nur schwer auseinanderhalten kann“, sagt Charton.
Das zeigen auch einige Beispiele der vergangenen Jahre: Nach Taylor Swifts Veröffentlichung einer erweiterten Version ihres Hits „All Too Well“ im Jahr 2021 haben zahlreiche ihrer Fans ihren Ex-Freund Jake Gyllenhaal auf seinem Social-Media-Account attackiert und seine Posts mit Hasskommentaren überschüttet. Denn im Songtext beschreibt Swift unter anderem, wie er sie an ihrem Geburtstag versetzt haben soll. Zwar erwähnt sie darin nicht offiziell seinen Namen, aber aus dem Kontext heraus konnten die Fans schließen, dass es sich um den Schauspieler Gyllenhaal handelt. Medienberichten zufolge bekam auch Piqués Freundin Clara Chia Marti nach Shakiras Diss-Track den Zorn der Fans zu spüren. Sie leide seitdem sogar an Angstattacken, heißt es.
„Wut ist nicht mehr Zeichen einer Opferposition“
Müller hält es in manchen Break-up-Songs zudem für problematisch, dass ein Teil der „neuen weiblichen Stärke auf einer Sexualisierung des weiblichen Körpers“ basiere. Unter anderem bauten einige Rachesongs und Musikvideos von Taylor Swift auf einer Ästhetik auf, die besonders auf den noch allgegenwärtigen „Male Gaze“, also den männlichen Blick in der Gesellschaft, abzielt: „Ein Frauenkörper, als vermeintlich wehrloses Opfer, welcher sich aber als superstark, gewissenlos und aggressiv erweist und doch attraktiv bleibt“, so Müller.
Charton und Müller sehen im selbstbewussten Ausdruck weiblicher Wut durch Break-up-Songs jedoch vor allem viele positive Entwicklungen. Charton begrüßt es, dass sich immer mehr Sängerinnen gegen die gesellschaftliche Erwartungshaltung an Frauen wehren. Und Müller betont: Die neue weibliche Stärke in Break-up-Songs führe dazu, dass Wut von Frauen in der populären Musik verstärkt hörbar selbstbewusst zum Ausdruck gebracht und gesellschaftlich anerkannt werde. „Wut ist nicht mehr Zeichen einer Opferposition, sondern eines Willens zu gewinnen, als Siegerin vom Feld zu gehen.“