Ein Herd und eine Seele: Zu Besuch bei Starkoch Thierry Marx im Eiffelturm
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Er ist Sternekoch und sozialer Unternehmer: Thierry Marx.
© Quelle: picture alliance / abaca
Thierry Marx spricht wie ein Mann, der sich seiner natürlichen Autorität bewusst ist. Sanft und ruhig klingt seine Stimme und fügt sich in das Summen der Hintergrundmusik seines neuen Restaurants „Madame Brasserie“ im ersten Stock des Eiffelturms ein. Warum dieser Name? „Der Eiffelturm ist eine große eiserne Dame, ein weibliches Symbol Frankreichs“, schwärmt der Chefkoch. Die Zimmerleute, die den Turm für die Weltausstellung im Jahr 1889 erbauten, seien bis dahin nur mit der Arbeit mit Holz vertraut gewesen. Aber sie folgten der Vision und Entschlossenheit von Ingenieur Gustave Eiffel, etwas ganz Neues zu schaffen mithilfe bereits bekannter Techniken. „Tradition und Innovation gingen Hand in Hand“, folgert Marx. Er spricht dabei nicht nur vom Aufbau des Eiffelturms – sondern auch von der Art von Küche, die ihm für diesen Ort vorschwebt.
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Während er in seinem Zwei-Sterne-Restaurant Sur Mesure (Nach Maß) im Pariser Luxushotel Mandarin Oriental gehobene Kreationen anbietet, ist das Angebot in der Brasserie einfacher. Wortwörtlich handelt es sich um eine Brauerei, und das französische Verb „brasser“ meint auch die Durchmischung von Menschen aus verschiedenen Milieus. Allerdings hat Madame Brasserie wenig mit dem Bistro um die Ecke zu tun. Hier auf dem Eiffelturm sitzen viele Touristen.
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Der Sternekoch Thierry Marx hat auch ein Restaurant im Eiffelturm.
© Quelle: Jeevan Jose/Unsplash
Vom Tellerwäscher zum Millionär
In Frankreich gehört Thierry Marx zum Kreis der berühmtesten Spitzenköche. Er ist ein viel beschäftigter Tausendsassa, der immer an etlichen Projekten gleichzeitig arbeitet. Charismatisch wirkt er, mit seiner kräftigen Statur, der rasierten Glatze und den Lachfalten um die Augen. In seiner wenigen Freizeit betreibt Marx Kampfsport, von dem er sagt, dass er ihn einst davor gerettet habe, als Kleinkrimineller zu enden.
Dem breiten Publikum bekannt wurde der 63-Jährige vor einigen Jahren als Jurymitglied der in Frankreich beliebten TV-Kochshow „Top Chef“. Seine persönliche Geschichte spricht viele an, weil sie beweist, dass der „amerikanische Traum“ vom Tellerwäscher zum Millionär auch in Frankreich realisierbar ist, einem Land großer, oft festzementierter Klassenunterschiede. Dies erklärt auch Marx‘ soziales Engagement, Menschen zu helfen, die aus ähnlich benachteiligten Verhältnissen stammen wie er selbst.
Reichtum ist gut, wenn man ihn teilt
Aufgewachsen ist der Enkel von aus Polen eingewanderten Juden in einem Viertel im Pariser Osten, das heute als hip gilt, damals aber ein sozialer Brennpunkt war. Später zog die Familie in den Vorort Champigny-sur-Marne. Als „Phantom-Stadt, ein vages Gebiet“ beschrieb er ihn später. Der junge Thierry Marx trieb sich auf der Straße herum. Er träumte zwar vom Beruf als Bäcker, aber bekam keinen Ausbildungsplatz – zu miserabel war sein Ruf. Nach einer abgebrochenen Mechanikerlehre ließ er sich doch noch zum Konditor ausbilden und begann einige Jahre später, nach einem Einsatz als Fallschirmjäger im Libyen-Krieg, als Küchenhilfe. An der Seite von Kochlegenden wie Joël Robuchon arbeitete er sich nach oben. Bald reiste er beruflich um die Welt und kochte in Sydney, Singapur und Tokio.
Ende der 1980er-Jahre bekam Marx die ersten Auszeichnungen und Michelin-Sterne. „Anfangs ging es mir darum, reich zu werden“, erzählt er. Doch als er sein Ziel erreicht hatte, begann er, sich für soziale und Umweltthemen zu interessieren. Reichtum ist schön und gut – wenn man ihn teilt. So sieht er es heute.
Perspektiven für Schulabbrecher
Thierry Marx hat so viele Projekte, dass er sie im Gespräch wie beiläufig erwähnt. So wie seine Arbeit mit den Lebensmitteltafeln Restos du Cœur, denen er Rezepte zur Verfügung stellte. Er suchte den Austausch mit Gefängnisinsassen und setzte sich für Ausbildungsmöglichkeiten für sie ein. Das Magazin mit dem Titel „Bon“ („Gut“) gründete er, damit auf Gastronomie spezialisierte Journalisten nicht nur bewundernd Köche in den Himmel loben, sondern deren Arbeit auch kritischer hinterfragen. Zu Marx‘ jüngsten Engagements gehören die Forderung nach einer hohen Besteuerung von Softgetränken und der Finanzierung von Koch- und Ernährungskursen ab der Grundschule.
In ganz Frankreich hat er Ausbildungszentren gegründet, um Schulabbrechern Perspektiven zu geben. „Die jungen Leute heute wollen nicht einfach nur einen Job, der sie mehr schlecht als recht leben lässt“, sagt Marx, „sie wollen ein Projekt.“ Die aufopfernde Haltung gegenüber der Arbeit, wie seine Eltern sie noch hatten, gebe es nicht mehr: „Zu mir kommen Mitarbeiter, die sagen: Ich verkaufe dir ein bisschen was von meiner Zeit. Ein paar Monate lang, dann sehen wir weiter.“ Damit die Berufe in der Gastronomie und der Hotellerie – Marx steht der Branchengewerkschaft Umih als Präsident vor – attraktiv bleiben, müssten diese bessere Arbeitsbedingungen bieten. Derzeit fehlen in diesem Bereich 220.000 Arbeitskräfte. Das aktuelle Arbeitsrecht sei obsolet: Die Viertagewoche werde kommen, ist er überzeugt.
Den Kapitalismus gerechter machen
Auch bei der Auswahl des Personals der Madame Brasserie folgte er sozialen Kriterien. In ihren schwarzen Westen über den makellosen weißen Blusen und Hemden eilen die Bedienungen zwischen den Tischen herum. Modern und hell ist der Raum eingerichtet, mit hohen Glaswänden, sodass man beim Blick nach oben das imposante Stahlgerüst des Turms sieht.
Alle verwendeten Produkte bezieht Marx von Bauernhöfen im Umkreis von weniger als 200 Kilometern. Er ist Sprecher der landwirtschaftlichen Bewegung Bleu-Blanc Cœur (Blau-Weiß-Herz), deren Mitglieder klaren Prinzipien hinsichtlich des nachhaltigen Anbaus, des Tierwohls und der Nährstoffwerte der Produkte folgen. „Wachstum an sich ist nichts Schlechtes, aber es muss im Bewusstsein für die Auswirkungen auf die Erde und die Gesellschaft erfolgen“, sagt er. Das System lasse sich nicht zerschlagen, nur von innen verändern. Nicht radikal, sondern pragmatisch. „Der Kapitalismus ist effizient, aber er ist nicht gerecht“, so zitiert er „einen anderen Marx, mit einem langen Bart“, wie er schmunzelnd sagt. Aber man könne den Kapitalismus gerechter machen.
Deshalb stampft „der französische Marx“ immer weitere Projekte aus dem Boden. Demnächst eröffnet er in Paris ein Restaurant „mit starker sozialer Ausrichtung“, ohne Trennung zwischen Küche und Speiseraum. Selbst jeden Tag kochen wird er dort ebenso wenig wie in seinen anderen Lokalen. Aber Marx ist ein Chef, der zu delegieren weiß. Einer mit Herz und noch vielen Plänen.