Wo viele (Spitzen-)Köche überhaupt nicht den Brei verderben
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Anders als früher werden Rezepte heute in der Spitzengastronomie untereinander geteilt.
© Quelle: Maarten van den Heuvel/Unsplash
Neue Musikalben lassen sich heute direkt nach der Veröffentlichung streamen. Gute Bücher werden in andere Sprachen übersetzt. Museen leihen sich aus anderen Ländern Exponate für Sonderausstellungen. In der Spitzenküche ist der Kulturaustausch nicht ganz so einfach, aber es gibt ihn. Und zwar immer öfter.
Events mit Gastköchinnen und Gastköchen oder sogenannte Four- oder auch Six-Hands-Dinner, bei denen der eingeladene Experte am Herd nur zwei bis drei Gänge zum Menü beisteuert, sind mittlerweile weltweit in vielen Hotels und Restaurants ein Highlight im alljährlichen Veranstaltungskalender. Die Restaurantgäste erwartet auf diese Weise eine kulinarische Reise der besonderen Art. Beim Zusammenspiel hinter den Kulissen wird das Sprichwort, dass viele Köche den Brei verderben, widerlegt. Oft sind das gesellige Abende, bei denen Kolleginnen und Kollegen aus der Spitzengastronomie sich gegenseitig in ihren Restaurants besuchen und zusammen am Herd stehen. Meist stammen sie aus demselben Land.
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Zum Nachkochen ungeeignet
Interessant werden die Events für viele Genießerinnen und Genießer, wenn internationale Profis in Restaurants hospitieren, wie etwa im Victor’s Fine Dining von Christian Bau, der immer wieder namhafte Verstärkung auch aus dem Ausland zu sich nach Perl-Nennig ins Saarland einlädt. Mehr denn je sind die Kreationen berühmter Spitzenköchinnen und ‑köche schließlich in aller Munde.
Fotos von aktuellen Menüs der angesagtesten Restaurants von Tokio bis Mexiko-City kursieren in den sozialen Netzwerken. Hier isst dann nur das Auge mit, denn nachkochen lassen sich die Gerichte nicht. Essen auf diesem Niveau ist oft präzise Handwerkskunst und maßgeblich mit Raum und Zeit verbunden, allein schon wegen der Lebensmittel, die oft aus dem Umfeld des Lokals stammen. Von individueller Stilistik bei der Zubereitung ganz zu schweigen. Nuancen beeinflussen oft den Gesamtgeschmack eines Gerichts. Da geht es gar nicht um die berühmte Prise Salz oder mysteriöse Zutaten. Auch Details wie der Röstgrad von Gemüse und Knochen beim Soßenansatz, der später die Intensität einer Jus mitbestimmt, sind entscheidend. Selbst die Umgebung spielt eine Rolle: Die salzige Brise an der Côte d’Azur etwa, die dort durch ein Restaurant streift, gehört eben auch zum authentischen Erleben einer Küche.
Stelldichein der Spitzenköche
Wie komplex es ist, hohe Kochkunst nur auf dem Teller möglichst eins zu eins an einen anderen Ort zu transferieren, das lässt sich im Restaurant Ikarus im Hangar‑7 in Salzburg erleben. Zwölfmal im Jahr wird dort ein anderer Koch oder eine externe Köchin aus der Spitzengastronomie präsentiert, nicht nur an einem Abend, sondern einen ganzen Monat lang. Die Schirmherrschaft für das Projekt hat seit 2003 Eckart Witzigmann, der einst vom Gault & Millau zum Jahrhundertkoch gekürt wurde. Küchenchef ist Martin Klein, der den Restaurantbetrieb monatlich auf den neuen Stil umstellt.
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Ikarus-Doppelspitze: Eckart Witzigmann (links) und Martin Klein.
© Quelle: HELGE KIRCHBERGER Photography/Red Bull Content Pool
Im März 2023 stand etwa die Arbeit des Spaniers Erlantz Goros-tiza im Mittelpunkt, im April dann die Arbeit des Taiwanesen Kai Ho. „Es ist, wie einen Betrieb zu schließen und am nächsten Tag wieder aufzumachen“, beschreibt Klein die Gastkochaktionen. Monatelange Planungen sind für die authentische Umsetzung der Menüs nötig. Der 46‑Jährige reist dafür zunächst an den Heimatherd der Eingeladenen, egal, ob Japan oder Amerika. Er isst bei ihnen im Restaurant, arbeitet in deren Küche mit: „In asiatischen Ländern fotografiere ich manchmal die Etiketten von Würzsoßen ab und übersetze mit einer App, was exakt in der Flasche ist“, sagt Klein – besonders herausfordernd sei, sich die Geschmacksbilder in allen Facetten einzuprägen. Zurück am Schreibtisch verfasst er Rezepturen und kümmert sich um die Warenbeschaffung. Die Gastköche und ‑köchinnen reisen dann zum Menüstart für zwei Tage nach Salzburg, um das Küchenteam auf besagte Nuancen einzuschwören.
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Rezepte: Heute wird in der Gastroküche „brüderlich“ geteilt
In die Hände spielt dem Salzburger Ikarus dabei eine recht junge Entwicklung in der Hochküche: Noch vor 30, 40 Jahren war die Spitzengastronomie von viel Geheimniskrämerei beherrscht. Rezepte waren fest unter Verschluss. Manche Spitzenköche schickten ihr Team gar in die Pause, wenn sie die Speisen würzten. „In diesem Punkt präsentiert sich die internationale Spitzenküche völlig anders als zu meinen Lehrzeiten: Wer heute in der Welt der Gastronomie was zu sagen hat, ist bereit zu teilen. Produkte, Lieferanten, Rezepte, Garmethoden, Kniffe, Tricks – alles, was früher ängstlich gehortet wurde, wird heute in der Gastroszene nahezu brüderlich geteilt“, sagt der 81‑jährige Eckart Witzigmann.
Allein der Abwechslungsreichtum des Ikarus ist aber kein Garant für eine volle Reservierungsliste, die Menüs von 200 bis 300 Euro haben schließlich ihren Preis. Der Gast soll im Ikarus sozusagen am Puls der Branche essen. Das Team verfolgt deswegen die Entwicklungen in Restaurantführern oder internationalen Foodrankings, aber vor allem hilft bei der Auswahl an Köchinnen und Köchen der kollegiale Austausch untereinander. So erwischen Witzigmann und Klein doch immer wieder Talente vor ihrem Sprung auf internationales Parkett.
Im Jahr 2016 war etwa der Franzose Alexandre Couillon zu Gast, der erst im Februar 2023 den dritten Stern vom Guide Michelin verliehen bekam. Im Jahr 2009 war René Redzepi im Ikarus, dessen Kopenhagener Noma bereits damals als Pilgerstätte für viele Gourmets galt. In den Jahren 2010 bis 2021 wurde es dann auch fünfmal auf Platz eins beim Ranking The World’s 50 Best Restaurants gewählt. Koch Bertrand Grébaut aus Paris hatte noch keinen Stern, als er 2013 nach Salzburg eingeladen wurde. „Auch ohne diese Auszeichnung war klar, dass er zu den ganz Großen gehört“, sagt Witzigmann. Er und Klein bewiesen mit ihm als Gast einmal mehr ihr vorausschauendes Gespür: Heute gilt Grébauts Septime als Genusshochburg.