Rhumspringer Zwillingsbrüder Pasch suchen das Grab des Vaters
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Treffen mit der Zeitzeugin: Ingo (rechts) und Boris Pasch mit Anna Reuter im Gemeindebüro von Rhumspringe.
© Quelle: Thiele
Rhumspringe. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es in der Geschichte der Familie Pasch, die ursprünglich in Berlin lebte, mehr Fragen als Antworten – obwohl die Brüder Ingo und Boris, beide promoviert, eigentlich beste Möglichkeiten der Recherche im Berufsleben hatten.
Ingo Pasch war Minister in der ersten demokratisch gewählten Regierung Sloweniens nach dem Jugoslawien-Krieg. Boris war in den letzten Jahren Diplomat von Slowenien in Berlin. Doch weder Amt noch Titel halfen beiden auf der Suche nach dem Grab des Vaters und dem Verbleib der Halbgeschwister weiter. Alle Nachforschungen – sogar übers Fernsehen – blieben bisher erfolglos.
Komplizierte Verhältnisse liegen der deutsch-slowenischen Familiengeschichte zu Grunde: Vater Hans, Jahrgang 1909, und Mutter Nives Pasch bekamen die Zwillinge Ingo und Boris im Januar 1941 in Berlin. Nach der Trennung und Scheidung verschlug es die Mutter mit den beiden Söhnen aus wirtschaftlichen Gründen nach Laibach, heute Slowenien, wo sie zeitweilig im Konzentrationslager interniert waren.
Von dieser Zeit an hatten die Zwillingsbrüder keinen Kontakt mehr mit ihrem Vater. Hans Pasch, der in Berlin sein Geld im Autoverleih verdiente, musste während der Kriegswirren flüchten und fand, wie inzwischen bekannt ist, eine Bleibe in Rhumspringe. In einer der drei Baracken, die sich früher in der Nähe des ehemaligen „Landjahrlagers“, dem heutigen Gemeindebüro befanden, war er mit seiner neuen Familie untergebracht.
Geboren 1945 im Krankenhaus in Duderstadt
Seine Ehefrau Inna, mit der er am 3. Juni 1945 in Hohegeiß die Ehe schloss, brachte zwei Kinder zur Welt: Thaddeus, Teddy genannt, und Rita-Anna, von der eine Geburtsurkunde existiert, wonach das Mädchen am 28. Juli 1945 im Krankenhaus in Duderstadt das Licht der Welt erblickte.
Erst im Sommer dieses Jahres – und nun rückt Rhumspringe aktuell ins Blickfeld dieses tragischen Kapitels deutscher Familien- und Nachkriegsgeschichte – führte der Weg des Ex-Ministers Pasch auf seiner Suche nach der Vergangenheit in die Rhumegemeinde.
Vor der an jenem Tag verschlossenen Tür des Gemeindebüros traf er zufällig Franz Jacobi (CDU), den Bürgermeister von Rhumspringe, dem er sein Anliegen schilderte. Sein Vater solle in der Nähe von Rhumspringe Opfer eines Raubmordes gewesen sein.
Bei der Gedenkfeier zum diesjährigen Volkstrauertag berichtete Jacobi den Einwohnern der Gemeinde am Ehrenmal von diesem emotionalen Zusammentreffen. Ein „älterer, traurig, aber entschlossen dreinblickender Mann“, habe sich nach den Todesumständen seines Vaters und dessen Grabstelle sowie das Schicksal seiner Halbgeschwister erkundigt.
Ausgangspunkt vieler Nachforschungen
Das sei der Ausgangspunkt vieler Nachforschungen im Ort und den Nachbargemeinden gewesen, berichtet Jacobi.
Inzwischen liegen dem Bürgermeister nähere Informationen vor. Auch Christiane Hummel, Mitarbeiterin im Gemeindebüro, stellte viele Nachforschungen an, um das Stück Rhumspringer Zeitgeschichte ein wenig zu aufzuhellen: Demnach ist es wahr, dass Hans Pasch im Jahr 1945 in der Nähe von Rhumspringe Opfer eines Raubmordes wurde.
Auf einer Todesurkunde der Gemeinde Rüdershausen vom 18. Februar 1946 wird bescheinigt, dass der Kaufmann Hans Georg Willy Pasch, evangelisch, am 15. November 1945 um 12.15 Uhr verstarb. Als Todesursache ist der Vermerk „von Ausländern erschlagen“ eingetragen.
Von drei Zwangsarbeitern aus den ehemaligen Baracken am Schickertwerk sei der Mann offenbar aus Habgier getötet worden, erläutert Bürgermeister Jacobi neuere Informationen. Möglicherweise habe Pasch Geld bei sich gehabt, das er beim Verkauf eines Lastwagens in Duderstadt bekommen hatte. Im Bereich der Gemarkungen Hilkerode, Rüdershausen, Breitenberg sei er ermordet und schließlich im Wald verscharrt worden.
Grabstelle Pasch unbekannt
Weder beim Amtsgericht Duderstadt noch bei der Staatsanwaltschaft Göttingen finden sich darüber Berichte dazu, berichtet einer der Brüder. Auch von einer Grabstelle Pasch sei nichts bekannt, wie Nachforschungen von Ingo Pasch und der Gemeinde Rhumspringe inzwischen ergeben hätten.
Reinhard Roth, Standesbeamter bei der Samtgemeinde Gieboldehausen, habe sich bei der Suche eingebracht und einige Daten recherchieren können. Die Suche nach dem Grab von Pasch aber blieb erfolglos. In keinem Kirchenbuch und keinem Verzeichnis über Friedhöfe in der Umgebung taucht der Name auf.
Mit einer Zeitzeugin, Anna (Annchen) Reuter aus Rhumspringe, trafen vor einigen Tagen Ingo und Boris Pasch in der Gemeindeverwaltung in Rhumspringe zusammen. Ein sehr gefühlsbetonter Moment sowohl für die Pasch-Brüder als auch die Rhumspringerin.
Tränen der Rührung flossen
Als junges Mädchen hatte die heute 87-jährige Reuter Ende der Kriegsjahre den damals im Vorschulalter befindlichen Thaddeus, den Halbbruder der Paschs, betreut. Tränen der Rührung flossen bei der Rhumspringerin, als sie von Ingo und Boris Pasch ein Bild vom kleinen Teddy überreicht bekam.
Wo der Junge und seine Mutter abgeblieben sind, konnte auch Reuter nicht sagen. Auch das Schicksal der kleinen Rita-Anna ist ungewiss. Ob sie, wie angenommen, wenige Tage nach der Geburt gestorben ist, bleibt ungeklärt. Es gibt keine Sterbeurkunde.
Im Gemarkungsbereich Hilkerode, Rüdershausen und Breitenberg gab es am selben Tag eine weitere Situation, die „kaum zu beschreiben ist“, wie Rhumspringes Bürgermeister den Moment schildert. Boris Pasch, der erstmals an jenem vermuteten Ort war, an dem der Vater zu Tode kam, war ergriffen: „Ich spüre körperlich, dass unser Vater hier verfolgt worden ist und sein Leben eingebüßt hat.“