Newcomer-Bands

Rock-Musik als Identifikation für „Außenseiter“

„Wir passen nicht ins Rahmenprogramm“: Kristof Roloff, Sven Jenssen und David Pniwczak (v. l.) von der Band „Rockture“.

„Wir passen nicht ins Rahmenprogramm“: Kristof Roloff, Sven Jenssen und David Pniwczak (v. l.) von der Band „Rockture“.

Die Band heizte am Wochenende im Duderstädter Backsteinhaus dem Publikum ordentlich ein. Ein paar Eichsfelder Livebands sind zwar seit Jahren vereinzelt in der Region sichtbar, aber im Zeitalter der Bohlens und Co.’s fragen sich manche, ob die schnelllebige Berühmtheit durch Casting-Shows den selbsterfundenen Garagenbands den Rang abläuft. Doch in kurzer Zeit haben sich zwei Newcomer-Bands im Eichsfeld gefunden: neben „Rockture“ auch „John Deare“.

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„In Casting-Shows geht es um Aussehen und Unterhaltung. Wer nicht in den Kommerzialisierungs-Apparat passt, fliegt raus. Den Leuten wird die Persönlichkeit genommen“, kritisiert David. „Und im Radio klingt dann alles gleich“, bestätigt Sven. Nicht das Ziel, berühmt zu werden, motiviere die Jungs von „Rockture“, sondern „die kleinen Erfolgsmomente, wenn etwas gut gelingt und man dabei man selber ist“, sagt David. Natürlich möchte man diese kleinen Erfolge teilen. „Boah, da mal stehen!“, dachte sich Kristof vor einigen Jahren mit Blick auf die Bühne im Backsteinhaus, wo eine Band spielte. Der Traum hat sich erfüllt, Fans wurden bereits auf Schulveranstaltungen und einem Auftritt am Forsthaus Hübenthal gewonnen.

Dabei ist die Band mit ihrer Mischung aus Alternative, Rock-Klassikern, Funk und etwas Grunge weit entfernt vom Chart-Hits-Einheitsbrei. Noch besteht das Programm hauptsächlich aus Coverstücken von AC/DC bis Nirvana, doch die jungen Musiker arbeiten auf das Ziel hin, einen abendfüllenden Live-Gig mit Eigenkompositionen abzudecken. Zuvor müssten sie sich allerdings auf eine Richtung einigen. Da das schwierig sei, haben sie sich erstmal auf das Covern konzentriert, um Stil und Technik abzustimmen. „Dass jeder seinen Einfluss mitbringt, macht die Sache manchmal kompliziert, aber gerade diese Unterschiede sind wichtig“, erklärt Lead-Gitarrist Kristof. „Jeder hat seine Idole, aber wenn man immer nur versucht, die zu kopieren, hört sich das irgendwann nicht mehr gut an“, hat Bassist Sven festgestellt. Den Übungsraum am Euzenberg teilen sie sich mit der Eichsfelder Band „Restrisiko“. Hier ist die Gruppe kreativ – und hier wird gearbeitet. Manchmal auch mit Putz und Spachtel, wie die ausgebesserte Ecke und der abgezogene Teppichboden beweisen. Die klamme Luft verrät den Wasserschaden. „Nach dem Regen in den letzten Tagen schlafen wir schon unruhig“, beschreibt Kristof die Angst vor Schäden am Equipment.

Die 20-Jährigen kennen sich schon länger. Neu in der Band sind Felix und Marco, beide 16 Jahre alt und als Glücksgriffe gelobt. „Die sind sehr reif für ihr Alter. Marco ist ein Autodidakt an der Rhythmus-Gitarre, aber mit einer unglaublichen Disziplin“, findet David. Der Schlagzeuger Felix gilt als „Wunderkind“. „Felix versteht sein Instrument total und untermalt sogar von sich aus meine Ansprachen, um Spannung aufzubauen“, sagt David, der als Leadsänger auch die Moderation übernimmt. Die Begeisterung des Publikums überrascht die Anti-Mainstream-Musiker. „Ich habe mich als Jugendlicher oft ausgegrenzt gefühlt. Als ich mir mit 13 die Haare wachsen ließ, hieß es gleich, ich sei schwul“, erzählt Sven.

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Seine Freundin kichert. In der Musik habe er aber Gleichgesinnte getroffen. „Es gab eine Identifikation mit Außenseitern. Vielleicht ist das die Hauptsache, die uns von Casting-Bands unterscheidet: Wir machen nicht Musik für die große Kohle, sondern um uns auszudrücken“, erklärt David. Und das scheint von Gleichgesinnten verstanden zu werden. Die Band schafft es in wenigen Minuten, dauernden Kontakt zum Publikum aufzubauen.

„Die Musik ist wie ein Spiegelbild des eigenen Lebensstils“, sagt Daniel August, Bassist der Band „John Deare“, die sich erst vor sieben Wochen gegründet hat. Auch bei den (bis auf den Neu-Duderstädter Daniel) jungen Bilshäusern ist die Zeit bisher zu knapp gewesen, eigene Songs zu zaubern. Aber für den Auftritt im Backsteinhaus habe man immerhin sechs Coverstücke ins Programm nehmen können. „Geplant war nach der Bandgründung: Spaß an der Musik haben, einen eigenen Weg finden und sich in einem Jahr mal Gedanken über einen Auftritt machen“, gesteht Niklas Ercan grinsend. Dass der Plan kurzfristig geändert wurde, weil die Jungs von „Rockture“ angefragt hatten, ob „John Deare“ am Wochenende im Vorprogramm spielen könne, freute auch die Gäste im Backsteinhaus. Schon beim zweiten Song wurde es für die Pogo-Tänzer eng vor der Bühne.

Niklas singt und spielt Mundharmonika, er nimmt seit zwei Jahren Unterricht. Steffen Rhode spielt seit sechs Jahren Schlagzeug an der Musikschule, und Timo Strüber sagt zwar: „Ich kann nix“, aber das hört sich an der Gitarre anders an. Auch Vincent Burchhardt outet sich als wenig ausgebildet an seiner Lead-Gitarre, aber auf Notenspiel wird hier generell sowieso verzichtet. „Noten machen den Punk kaputt“, bringt Daniel die Grundeinstellung auf den Punkt. Und wer glaubte, Garagenbands gehören zur aussterbenden Spezies, wird hier eines besseren belehrt: Der Übungsraum von „John Deare“ ist eine Garage auf dem Firmengelände von Niklas Eltern in Bilshausen. „Ich habe echt null Ambitionen, ein Rockstar zu werden“, sagt Daniel. Ihn locke der Spaß und die Kreativität, und das unterscheide die Band wesentlich von dem, was in Casting-Shows abgehe.

Dass zwei junge Bands im Duderstädter Raum in kurzer Zeit neu entstanden sind, beweise eine Sehnsucht nach anderen Angeboten für Jugendliche, so die Musiker. „Hier im Eichsfeld wird nichts gemacht, es mangelt an Übungsräumen, Auftrittsmöglichkeiten und Unterstützung“, klagt David. „Das alternative kulturelle Angebot für unsere Altersgruppe ist gleich null. Für uns gibt es keine Sponsoren, bei Veranstaltungen wie dem Kultursommer heißt es, wir passten nicht ins Rahmenprogramm. Und viele Jugendliche fühlen sich nirgends willkommen“, sagt der „Rockture“-Leadsänger. Dabei verweist er auch auf die Skater und BMX-ler, die von einer Ecke in die andere geschubst würden.

„Es gibt viele handwerklich begabte junge Musiker. Aber die trauen sich selten, kreativ zu werden, weil sie nur lernen, ihren Noten zu folgen. Es gibt kaum Möglichkeiten für sie, etwas Eigenes aus dem zu machen, was sie gelernt haben. Musik ist ein Medium, mit dem man rauslassen kann, was in einem steckt“, so David. „Aber vielleicht können wir mit unseren Auftritten andere ermutigen, sich auch zu trauen“, sieht Marco hoffnungsvoll in die Zukunft. Allerdings sei die oft trübe, wenn immer mehr junge Leute abwanderten: Der Auftritt im Backsteinhaus war gleichermaßen der Abschied von Sven, der demnächst sein Studium in Marburg beginnt.

Von Claudia Nachtwey

GT/ET

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