Annelie Keil berichtet über Fluchterfahrungen
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"Friedland hat Würde gegeben": Annelie Keil berichtet im Museum Friedland über ihre Fluchterfahrungen.
© Quelle: Markus Hartwig
Friedland. Als Sechsjährige wollte Annelie Keil im Januar 1945 mit ihrer Mutter aus dem besetzten Polen in Richtung Westen flüchten, geriet jedoch in sowjetische Gefangenschaft. Nach zwei Jahren Flucht kam sie mit ihrer Mutter in Friedland an. Die Fluchterfahrungen, der Ort Friedland sowie das Ankommen als Flüchtlingskind haben die heute 80-Jährige geprägt. Im Gespräch mit dem Wissenschaftlichen Leiter des Museums Friedland, Dr. Steffen Wiegmann, präsentiert sich eine Frau, die mit ihren Erfahrungen nicht hadert, diese annimmt und über vieles davon mit einem zwinkernden Auge spricht.
Mit einer Mutter, die mit ihrem unehelichen Kind überfordert gewesen sei, wurde Annelie Keil der nationalsozialistischen Frauen- und Kinderhilfe übergeben. Sie kam in ein Heim, das 1940 nach Ciechocinek Polen verlegt wurde. Bis 1945 verbrachte sie dort ihre Kindheit, und bis heute, sagt sie, fühle sich das wie ein Stück Heimatland an. Auf der Flucht habe sie viel Kraft getankt. Und wer ihr damals „Polakkenkind“ hinterher rief, „hat eins in die Fresse gekriegt“, erzählt Annelie Keil am Dienstag selbstbewusst.
Thema Verantwortung
„In Friedland habe ich zum ersten Mal meine deutsche Heimat kennengelernt“, erwiderte Annelie Keil auf die Frage von Steffen Wiegmann, welche Bedeutung der Ort Friedland für sie habe. Sie habe kein Gefühl von Befreiung verspürt. „Mein Thema war Verantwortung, die ich auch für meine Mutter zu tragen hatte.“ Friedland habe aber Sicherheit gegeben. „Es war ein Ort, wo nicht aus jeder Ecke ein Angriff kommt.“ Bereits damals war ihr klar: „So etwas darf nie wieder passieren.“
Annelie Keil habe Friedland als „Eintritt in die Heimat“ erlebt. Dabei sei „Heimat“ ein Begriff, mit dem sie zurückhaltend umgehe. Die Erlebnisse auf ihrer Flucht hätten sie wütend und zornig gemacht, aber sie habe keinen Hass entwickelt. Annelie Keil ist sich sicher: Die Geschichte von Flucht sei ein Thema seit es die Menschheit gibt. „Menschen in Fluchtsituationen brauchen unsere Hand“. In diesem Sinne habe Friedland ankommenden Menschen Würde gegeben.
Leben als Logistik des Älterwerdens
Die Sozialwissenschaftlerin Keil hat nicht nur das Thema Flucht über die eigene Biografie im Studium aufgenommen und literarisch verarbeitet. Eine Rolle spiele dabei auch das "biologische Überraschungsei": Der Mensch kommt aus seinem neunmonatigen "bedingungslosem Asyl" auf die Welt, wird ungefragt in eine Familie, in ein Land und vieles mehr hineingeboren. "Er bekommt alles vor die Füße gelegt". Das spätere Leben bezeichnet Annelie Keil dann als "Logistik des Älterwerdens". Gleichzeitig bedeutet Leben für Annelie Keil, die Kompetenz zu haben, auch mit Krankheit umgehen zu können. "Vergessen Sie den Satz: Ich will im Alter keinem zur Last fallen", forderte sie auf. "Vergessen Sie auch den Ausspruch: Hauptsache gesund."
Von Markus Hartwig
GT/ET