Gefährliche Flucht über das Meer
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Vietnam-Flüchtling Chi Dung Ngo stellt in Friedland seine Autobiografie vor.
© Quelle: r
Friedland. In einem Fischerboot, auf dem sich 250 Menschen drängten, ist Chi Dung Ngo 1978 aus dem kommunistisch regierten Südvietnam geflohen. Im Museum Friedland stellte er seine Autobiografie vor.
„Vergessen sie nie, dass hinter jedem Migranten eine ganz persönliche Lebensgeschichte steht“, bat Ngo seine knapp 20 Zuhörer. Menschen seien schon immer in Hoffnung auf ein besseres Leben ins Ungewisse aufgebrochen. So sei auch er vor 40 Jahren als damals 15-Jähriger zusammen mit drei Brüdern auf einen Fischkutter gestiegen.
Terrorregime der Roten Khmer
„Ich gehöre der chinesischen Minderheit Vietnams an“, erklärte Ngo. Das kommunistische Regime habe damals gegen sie mobil gemacht. Sie hätten als „Kapitalisten“ gegolten. Vietnam habe zudem seinerzeit Grenzstreitigkeiten mit China gehabt. Außerdem hätten vietnamesische Truppen das mit der Volksrepublik verbündete Terrorregime der Roten Khmer in Kambodscha gestürzt.
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Chi Dung Ngo
© Quelle: r
Piraten kapern das Boot
In quälender Enge habe er mit zahllosen anderen Menschen im finsteren Rumpf des Schiffes gehockt, errinnte sich Ngo. Aufgrund des Seegangs hätten sich ständig Menschen übergeben. Die sanitären Verhältnisse seien katastrophal gewesen. Dann hätten auch noch Piraten das Schiff gekapert. Ein Junge sei hinab ins stinkende Innere des Schiffs geklettert, habe einem Passagier nach dem anderen mit der Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet, Geld und Schmuck verlangt.
Küstenwache schleppt das Schiff zurück aus Meer
„Als wir dann nach tagelanger Fahrt Malaysia erreichten, schleppte uns die Küstenwache wieder zurück auf die hohe See“, erzählte der Flüchtling. Ihr Kapitän habe auf dem Meer die Orientierung verloren, Den Kompass hätten die Piraten gestohlen. Am Ende seien sie in ein Flüchtlingslager in Indonesien gebracht worden. Eindrucksvoll schildete der Autor, wie die Menschen dort einen paradiesischen Strand mit Wasserfall im Laufe von Wochen in eine stinkende Müllkippe verwandelten.
Die Flüchtlinge wollten in die USA
„Wir wollten in die USA, nach Australien oder Frankreich“, erzählte Ngo. Stattdessen seien er und seine Brüder nach Deutschland gekommen, ein Land, von dem er nichts gewusst hätte. Alles sei ihm anfangs fremd gewesen. Überall hätten Gefahren gelauert. Einmal sei er mit dem Fahrrad auf einer breiten Straße unterwegs gewesen. Er habe sich angesichts des starken Autoverkehrs über die leere Radspur gewundert. Merkwürdig seien auch die Blicke der Fahrer gewesen. Erst nach einer Weile habe es erkannt, dass er offenbar gerade eine dieser Autobahn nutze.
Studium von Philosophie und Geschichte
Ngo berichtete von seinen Schwierigkeiten, Deutsch zu lernen. Bei einem Diktat in der Schule habe ihn das Wort „Ding“ völlig aus dem Konzept gebracht. Im Vietnamesischen gebe es keinen solchen abstrakten Begriff. Er habe sich durchgebissen, Abitur gemacht und Philosophie und Germanistik studiert. „Als Student sah ich nach jahrelanger Trennung meine Eltern wieder“, sagte er. Die Brüder hätten sie nach Deutschland geholt. Zwischen ihnen habe jedoch Sprachlosigkeit geherrscht. Sie hätten sich voneinander entfremdet.
Dolmetscher und Übersetzer in Schwetzingen
Ngo gründete mit einer Vietnamesin eine Familie. Sie leben heute in Schwetzigen, wo er als Dolmetscher und Übersetzer arbeitet.
Chi Dung Ngo: Heimat für Fortgeschrittene. Claudius, 2017, 18 Euro.
Von Michael Caspar
GT/ET