Bestohlen, verfolgt, entlassen – wem die Bahnhofsmission Göttingen mit KSES-Spenden die Heimfahrt ermöglicht
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Einzelfallhilfen aus KSES gehen als Fahrtgeld an Bedürftige. Ute Geistert und Matthias Schökel von der Bahnhofsmission Göttingen haben damit schon manches Ticket ermöglicht.
© Quelle: Peter Heller
Göttingen. „Keiner soll einsam sein“ – das steht für den Offenen Heiligabend der Tageblatt-Spendenaktion, aber auch für viele Menschen, die durch die Spenden aus schwierigen Situationen heraus kommen. Einen Teil der Spenden bekommt auch die Bahnhofsmission Göttingen, eine Abteilung im Diakonieverband des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Göttingen. Davon kaufen die Ehren- und Hauptamtlichen beispielsweise Fahrkarten für Menschen, die das nicht selbst können. 40 bis 80 Tickets sind das pro Jahr, sagt Leiter Andreas Overdick.
Aus unterschiedlichen Gründen kommen die Menschen am Bahnhof Göttingen ohne Hilfe nicht weiter. Portemonnaie verloren, bestohlen worden, frisch entlassen aus der Untersuchungshaft – das komme immer wieder vor, weiß auch der stellvertretende Leiter Matthias Schökel. „Manchmal werden Menschen aus der Psychiatrie entlassen und haben nichts dabei, um zurück an ihren Wohnort zu kommen“, nennt er ein Beispiel. Seine ehrenamtliche Kollegin Ute Geistert ergänzt: „Auch nach Krankenhausaufenthalten kommt das vor.“
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Einzelfallhilfen aus KSES gehen als Fahrtgeld an Bedürftige - Vor-Ort-Gespräch mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission in Göttingen hier: Ute Geistert und Matthias Schökel
© Quelle: Peter Heller
Autofahrer mit Alzheimer nach Hause geschickt
Da stehen sie dann, mittellos. Einige Fälle sind den beiden gut in Erinnerung geblieben. „Einen älteren Herren brachte die Polizei zu uns. Er war auf der Autobahn wegen auffälliger Fahrweise angehalten worden, dann stellte sich heraus, dass er Alzheimer hatte“, erzählt Schökel. In einer „gemeinsamen Kraftanstrengung“ hätten Bahnhofsmission und Polizei gemeinsam herausgefunden, wo er wohnte, ihn mit einer Jacke ausgestattet, weil er diese vergessen hatte und ihn in den Zug gesetzt. Auch seinen Betreuer informierten sie. „Wir können nicht mitfahren“, sagt Schökel. Die Hilfe sei nur vor Ort möglich.
Ein anderer Mann sei im Zug überfallen worden, die Jacke war weg und damit alle Papiere und das Geld. „Wichtig ist, dass die Geschichte plausibel ist“, sagt Schökel. Das lerne man mit der Zeit, sagt Geistert. Sie ist seit 16 Jahren dabei. „Als ich aufgehört habe zu arbeiten, habe ich mich hier vorgestellt“, sagt Geistert. Vor allem der Schutz von Frauen im Bahnhof liege ihr am Herzen.
Kooperation mit dem Frauenhaus
Auch dazu hat Overdick eine Geschichte: Eine verängstigte Frau sei in die Bahnhofsmission gekommen, habe einen Tee bekommen und lange mit einer Mitarbeiterin gesprochen. Es stellte sich heraus, dass die Frau sich verfolgt von ihrem Ehemann fühlte. Die Bahnhofsmission-Mitarbeiterin stellte den Kontakt zum Frauenhaus Hildesheim her, setzte sie mit Ticket in den Zug und ließ sie von den Hildesheimer Kollegen abholen.
Der Fall einer alleinerziehenden Mutter, die mit ihrem Sohn auf dem Weg nach Frankreich in den Urlaub war, ist Schökel in Erinnerung. „Sie hatte das falsche Datum gebucht“, sagt er. Ein „etwas unflexibler Bahnmitarbeiter“ habe sie dann nachts in Göttingen aussteigen lassen. „Sie hätte hier mit dem Kind im Bahnhof übernachten müssen“, sagt Schökel. In dem Fall habe er ein ICE-Ticket ermöglicht.
Vornehmlich gibt die Bahnhofsmission Niedersachsen- oder Quer-durchs-Land-Tickets heraus, die nicht für Schnellzüge gelten. „So günstig wie möglich“ sei die Devise, sagt Schökel. Aber in diesem Fall habe er die 100-Euro-Grenze der Einzelfallhilfen um sieben Euro überschritten.
„Von zehn Leuten zahlt nur einer zurück“
Die Bahnhofsmission wird bei der Deutschen Bahn als Großkunde geführt und kann deshalb Fahrscheine auf Rechnung kaufen. Auf einem Kontaktformular tragen die Menschen ihre Adresse ein, bevor sie diesen Service nutzen. „Dann kommt auch Post mit der Bitte, das ausgelegte Geld zurück zu überweisen“, sagt Schökel. Aber: „Von zehn Leuten, die Karten bekommen, zahlt nur einer zurück.“
Nicht so Lara. Die damals Zwölfjährige stand weinend vor der Bahnhofsmission, weil sie ihre Monatskarte verloren hat, mit der sie zwischen der Schule in Göttingen und ihrem Zuhause in Hessen pendelt. Die Bahnhofsmission kaufte ihr ein Ticket. „Am nächsten Tag nach der Schule steht Lara freudestrahlend vor der Tür“, erinnert sich Overdick. Das Geld in der einen, einen Kuchen in der anderen Hand. Seitdem schaue sie immer mal wieder vorbei im blauen Kasten zwischen Gleis 4 und 5.
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Von Lea Lang