Die Tabuzone: Gewalt von Frauen gegen Männer
Göttingen. Niemand weiß, wie vielen Männern es ebenso geht wie Schmied (Name geändert) – aber es gibt sie. Nur wenig outen sich, wenn ihre Partnerin, ihre Mutter und andere Frauen (oder auch Männer) aus dem familiären Umfeld sie schlagen oder permanent psychisch unter Druck setzen. Sie schämen sich.
Die Folge: Statistische Daten gibt es kaum. Die Göttinger Polizei hat in den zurückliegenden beiden Jahren keinen einzigen Fall registriert. Berater der Awo, Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs und Mediziner der Uni (siehe Interview) aber berichten, dass sich immer wieder Männer hilfesuchend an sie wenden – ohne Zahlen nennen zu können. Ihr Anteil dürfte zwar nur einen Bruchteil der Frauen ausmachen, die häusliche Gewalt erfahren, dennoch sei die Dunkelziffer höher als allgemein angenommen, sagen die Experten.
Immer mehr Männer verlassen die Tabuzone
Seit etwa sechs Jahren kämen allerdings immer mehr Männer hilfesuchend aus der Tabuzone heraus, fasst eine Mitarbeiterin vom Männerbüro Hannover, eine der wenigen Beratungsstellen im Land für diese Opfergruppe, ihre Beobachtungen zusammen. Dort wurden 2017 genau 272 Fälle männlicher Opfer häuslicher Gewalt registriert – 253 nach einer Mitteilung der Polizei nach einem Einsatz. Die weitaus meisten Betroffenen waren zwischen 26 und 60 Jahre alt. 43 Prozent lebten in einer Partnerschaft mit der Täterin, 24 Prozent wurden von ihrer Ex-Partnerin drangsaliert.
So ergeht es seit vier Jahren auch Schmied. „Meine Ex hat mich nie geschlagen oder so“, sagt der gestandene Handwerke und Nahkampf-Sportler. „Aber es ist dieser psychische Druck“, der sein Leben immer wieder an die Belastungsgrenze bringe. „Wenn es dabei nur um mich ginge, könnte ich es vielleicht noch irgendwie ertragen“, fügt er – augenscheinlich um Stärke bemüht – an. Aber immer wieder treffe es auch seine beiden Kinder.
„Damit ging der Terror los“
Richtig angefangen habe es, als er sich von seiner Frau trennte. Um die Beziehung hatte es zunehmend schlecht gestanden. Als die Partnerin dann auch noch „unsere Konten abgeräumt hat, habe ich sie vor die Tür gesetzt“. Die Kinder wollten bei dem Vater bleiben – „damit ging der Terror los“.
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80 Zentimeter breit ist die Reihe der Gerichts- Gutachter- und Polizeiakten, die Schmied inzwischen gefüllt hat - hier zeigt er einen Teil davon.
© Quelle: Christina Hinzmann / GT
Immer wieder stehe seine Frau seitdem mit dem Auto vis-à-vis und beobachte das Haus. „Das ist reines Stalking.“ Immer wieder habe sie seitdem „völlig ohne Grund“ behauptet, er habe sie bedroht und körperlich bedrängt und damit vor Gericht ein Annäherungsverbot auf 50 Meter erwirkt. Dann habe sie ihm beim Einkaufen aufgelauert und ihn wegen unerlaubter Annäherung angezeigt. Das Verbot sei inzwischen aber aufgehoben.
Mehrfach habe seine Ex-Frau behauptet, er habe gedroht, sie zu erschießen, erzählt Schmied weiter. Die Folge: Dreimal hat die Polizei seine geliebten Jagdgewehre – „mein einziges Hobby, bei dem ich auch mal zur Ruhe komme“ – eingezogen. Zweimal hat er sie wieder zurückbekommen, zurzeit lässt er sie frustriert bei den Behörden liegen.
„Sie spricht kein Wort mit mir“, sagt der engagierte Vater, „trotzdem macht sie uns fast täglich die Hölle heiß“. Nicht im direkten Kontakt, aber auf Umwegen über Ordnungsbehörden und Gutachter, die die Kinder im Auge behalten sollen. „So etwa 30 Anzeigen“ habe seine Frauen in den vergangenen vier Jahren gegen ihn aufgegeben. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft sie bei der Polizei behauptet hat, ich hätte ihre Autoreifen zerstochen“, erzählt Schmied weiter. Jedes Mal stehe die Polizei vor der Tür, um ihn zu befragen. Aber jeden Fall habe er bisher widerlegen können: weil er unter Zeugen ganz woanders Kaffee getrunken, weit weg für die Firma im Einsatz oder als Fahrer für einen verreisenden Onkel am Frankfurter Flughafen war.
Gelöste Radmuttern am Auto
Inzwischen habe seine Ex-Frau den Spieß auch noch umgedreht. Schon mehrfach seien die Radmuttern seines Autos gelöst gewesen. Ob sie oder Beauftragte tatsächlich dahinterstecken, „kann ich natürlich nicht beweisen“. Das Schlimmste dabei aber sei, dass inzwischen auch eines seiner Kinder mit dem Auto unterwegs ist – und schon gelöste Muttern festdrehen musste.
Immer wenn irgendetwas passiert, „bist du als Mann erst einmal völlig hilflos oder wirst nicht ernst genommen“. Vorwürfe seine Frau würden von der Polizei und anderen Behörden streng verfolgt. Das nagt zusätzlich an dem 50-Jährigen. „Sage ich etwas, passiert meistens nichts, als alleinerziehender Mann eckst du überall an.“
Seine Erfahrungen tauscht Schmied inzwischen in einer Männergruppe aus – „und da hörst du Sachen, die sind noch schlimmer“. „Da ist einer, der wird von seiner Frau mit der Pfanne geschlagen, richtig brutal.“ Andere kämpften mit unberechtigten Missbrauchsvorwürfen an ihren eigenen Kindern. Viele würden ihr Leid einfach irgendwie ertragen und keine Hilfe suchen, „weil sie die Familie zusammenhalten wollen“.
Gewalt in vielen Facetten
In den wenigen bisher vorliegenden Studien zu Gewalt gegen Männer wird psychische Gewalt in Form von Stalking und Erniedrigung ebenso festgestellt wie physische Gewalt in Form von Körperverletzung – auch Vergewaltigung. Sie kommt in Paarbeziehungen vor, aber auch im (vermeintlichen) Freundeskreis. Und bei Männern eher im öffentlichen und halb-öffentlichen Raum, zum Beispiel in einer Clique, bei Prügeleien auf dem Fußballplatz und (in Form psychischer Gewalt) am Arbeitsplatz.
Das Gewaltschutzgesetz
Seit 2002 gilt in Deutschland das Gewaltschutzgesetz. Es soll Opfer vor allem gegen Gewalt im privaten häuslichen Umfeld schützen. Im Rahmen dieses Gesetzes kann die Polizei umgehend einen Platzverweis gegen den Täter oder die Täterin verhängen – auch für die gemeinsame Wohnung. Zehn Tage dauert ein solcher Bann in der Regel. us
In der Kindheit und Jugend ist das Risiko, Opfer von Gewalthandlungen zu werden, für Männer sehr viel größer als im Erwachsenenleben, heißt es in der bisher einzigen großen Studie von 2006 (mit Ergänzung 2012) im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Nur eine kleine Minderheit der befragten Männer – nämliche jeder siebte – hat demnach noch keine Gewalt allgemeiner Art erfahren.
Keiner hat die Polizei gerufen
Im Erwachsenenleben ist die Gewaltbelastung von Männern demnach „deutlich geringer“. Von 200 befragten Männern hatte jeder vierte. mindestens einmal Gewalt durch eine Partnerin erfahren, jeder sechste wurde mehrfach von seiner Partnerin wütend weggeschubst. Fünf bis zehn Prozent wurden geohrfeigt, gebissen, gekratzt oder getreten. Mindestens fünf Prozent haben mindestens eine Verletzung erlitten. Und: Keiner hat die Polizei gerufen.
Wie erleben Männer Gewalt, die von Frauen ausgeht?
Interview mit Traumatherapeutin Dr. Ulrike Schmidt, Leiterin der Traumaambulanz an der Uni Göttingen
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Dr. Ulrike Schmidt
© Quelle: Niklas Richter
Kommen zu Ihnen Männer, die unter Gewalt durch Frauen leiden?
Ja, natürlich. Wie viele, kann ich allerdings nicht genau sagen. Es sind schon einige, das weiß ich auch aus meiner früheren Tätigkeit in München. Es sind dann aber oft Männer, die Gewalt gegen sie gar nicht als primären Problem schildern, sondern zunächst andere Probleme. Erst während der Therapie kommt dann heraus, dass sie Gewalt erlebt haben.
Welche Formen von Gewalt schildern die Männer?
Die Gewalt ist entweder in der Kindheit passiert – auch sehr häufig sexuelle Gewalt. Dann gibt es Gewalt im familiären Umfeld – weniger in Beziehungen, aber häufiger unter Geschwistern oder im engen Freundeskreis. Das ist dann mit erheblicher Scham verbunden, aber oft auch mit erheblichen Verletzungen. Die meisten, die ich erlebt habe, sind verprügelt, mit Gegenständen bedroht oder auch mit Messern verletzt worden.
Wie erleben Männer Gewalt, wenn sie von Frauen ausgeht? Was geht in ihnen vor?
Wenn ich das vergleiche, dann erleben Männer und Frauen das sehr ähnlich. Sie entwickeln Angstsymptome. Aus dem Gefühl `oh Gott, ich konnte mich nicht wehren – passiert mir das wieder` können sich bei Wiederholungen psychiatrische Erkrankungen entwickeln, wie beispielsweise Traumafolgestörungen. Ein Trauma ist ein bedrohliches Erlebnis und Gewalt zählt dazu. Die Patienten leiden dann unter wiederkehrenden Erinnerungen, die sich aufdrängen. Sie vermeiden die Orte, an denen das Trauma passiert ist und die Menschen und Orte, die mit dem Gewalttrauma in Verbindung stehen.
Wie gehen Männer mit der Situation dann um?
Die Männer, die zu mir kommen, gehen damit noch ganz gut um, weil sie ja zu mir in die Traumaambulanz gekommen sind und Hilfe gesucht haben. Oft ist dem aber ein langer Weg vorangegangen. Dabei ist mir auch aufgefallen, dass Männer offenbar schlechter informiert sind, wie und wo sie sich Hilfe suchen können. Und: Die Scham ist bei Männern derart ausgeprägt, dass sie häufiger als Frauen versuchen, damit alleine zurechtzukommen.
Warum ist das so?
Ich denke, da spielt das klassische Rollenmodell in unserer Gesellschaft eine Rolle. Immer noch erwarten viele von Männern, dass sie stärker sind als Frauen und das selber regeln können.
Wie helfen Sie Männern, die mit so einer Erfahrung zu Ihnen kommen?
Ich behandle hauptsächlich erst einmal die Symptome, die daraus resultieren: wenn sie ein depressives Syndrom haben, mit Medikamenten; wenn sie eine posttraumatische Belastungsstörung haben mit Psychotherapie. Dabei sollte man sich auch das soziale Umfeld anschauen und fragen, wie kam es zu der Gewalt. War es ein einmaliges Ereignis? Wie wahrscheinlich ist es, dass es wieder auftritt? Ich versuche dann – wenn der Patient es möchte – gemeinsame Gespräche mit den Tätern anzuregen. Je schwerer die Gewalt war und je stärker das daraus mögliche Strafmaß ist, desto weniger sind die Täter dazu allerdings bereit. Kam die Gewalt aus einer Impulsivität heraus in einer Beziehung, sind nach meiner Erfahrung Frauen in der Regel eher bereit, darüber zu sprechen, was für die Betroffenen entlastend ist.
Wie können sich Männer schützen, in einer Beziehung Opfer zu werden?
Die Frage trifft ja auf Männer und Frauen gleichermaßen zu. Wichtig ist zunächst, dass man sich bei akuter Gewaltandrohung schnell vom Ort entfernt. Wird Gewalt wiederkehrend und chronisch erlebt, muss man sich auch aus dem Umfeld entfernen. Ich rate dann auch, die Polizei einzuschalten, und verweise an den Weißen Ring und ähnliche Beratungsstellen. Gerade bei Gewalt in der Familie oder in Beziehungen ist es wichtig, dass man das Problem offen anspricht. Dabei sollte man auch erörtern, wie es zu der Situation gekommen ist und auch, wie es dem Täter oder der Täterin geht. Ihnen geht es in der Regel auch nicht gut, sie haben oft irgendein Problem. Besonders schwierig ist es übrigens, wenn man den Täter oder die Täterin trotz der massiven Gewaltanwendung liebt. Sich dann fernzuhalten, ist dann besonders schwer und sollte unter bestimmten Umständen sozusagen geübt werden.
Interview: Ulrich Schubert
Hilfe und Beratung
Bei drohender oder akuter Gewalt sollte auf jeden Fall die Polizei gerufen werden. Hilfe finden Opfer häuslicher Gewalt, von chronischer Gewalt im Lebensumfeld sowie von Missbrauch und Gewalterfahrungen in der Kindheit auch bei Beratungsstellen – Männer wie Frauen. – Wege ohne Gewalt (WoGe), 0551/2508799, www.woge-goettingen.de – Frauen Notruf Göttingen, 0551/44684, www.frauen-notruf-goettingen.de – Frauenhaus Göttingen, 0551/5211800, www.frauenhaus-goettingen.de – AWO Kreisverband Göttingen, 0551/50091-41, www.awo-goettingen.de – Pro Familia, 0551/58627, www.profamilia.de – Katholische Hochschulgemeinde, 0551/488760, www.khg-goettingen.de –Evangelische Lebensberatung, 0551/5178120, www.ev-lebensberatung-goe.de
Von Ulrich Schubert