Fall Binkenstein

Göttinger Ratsvorsitzende legt Posten nieder

Sylvia Binkenstein (SPD) legt den Ratsvorsitz nach einer persönlichen Erklärung im Rat nieder.

Sylvia Binkenstein (SPD) legt den Ratsvorsitz nach einer persönlichen Erklärung im Rat nieder.

Göttingen. Sylvia Binkenstein ist nicht mehr Vorsitzende des Göttinger Rates. Die SPD-Abgeordnete hat ihren Posten am Freitag mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Sie ist damit einem möglichen Abwahlverfahren zuvorgekommen.

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Die Ratsgruppe von Piraten und Die Partei hatte gemeinsam mit dem Abgeordneten Torsten Wucherpfennig (Antifa Linke Göttingen) Binkensteins Abwahl beantragt. Bereits im Vorfeld hatte sich dafür eine Mehrheit abgezeichnet – einschließlich der Grünen als Bündnispartner der SPD.

Hintergrund ist die Verquickung von Binkensteins politischem Mandat als SPD-Mitglied mit ihrer Tätigkeit als Anwältin für einen Göttinger Immobilienunternehmer. Als dessen Rechtsanwältin hatte sie dem Ratsmitglied Gerd Nier (Linke) im Februar eine strafbewehrte Unterlassungserklärung überreicht und damit eine Anfrage Niers im Bauausschuss unterbunden. Nier hatte diese zu einer Auseinandersetzung um Sanierungen und Instandhaltungen zwischen dem Vermieter und seinen Mietern eingereicht. Als stellvertretende Vorsitzende des Bauausschusses hatte Binkenstein sich die schriftlich eingegangene Anfrage von der Verwaltung zusenden lassen.

In einer persönlichen Erklärung erklärte Binkenstein: „Ich bin überrascht, betroffen und auch getroffen über die Diskussion, die Sie über mich, meine Arbeit als Ratsvorsitzende und meine Berufsausübung als Anwältin führen.“ Für die gegen sie erhobenen Vorwürfe gebe es „nicht die Spur eines Beweises“. Einem Abwahlverfahren „im Sinne einer vermeintlichen politischen Korrektheit“ wolle sie sich nicht aussetzen. „Sie können über die Funktion des Ratsvorsitzes entscheiden, aber nicht über mich“, fügte Binkenstein an. Sie wolle nicht Objekt derartiger Machtspiele sein.

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Mit Binkesteins Rücktritt hatte sich das angestrebte Abwahlverfahren erledigt. In einer – ebenfalls persönlichen Erklärung – kritisierte ihre Fraktions-Genossin Insa Wiethaup die Antragsteller und anderen Fraktionen. Sie sei zutiefst betroffen darüber, „was in den letzten Monaten passiert ist“. Binkenstein sei kein unrechtes Handeln nachzuweisen. Wenn dennoch in dieser Art eine Abwahl angestrebt wird, schade das nicht nur ihr und der SPD, sondern der gesamten Ratspolitik.

Ähnlich argumentierte der SPD-Vorsitzende Tom Wedrins in einer verschickten Erklärung seiner Fraktion und fügte an: „Wir werden die kluge und neutrale Sitzungsleitung von Silvia Binkenstein vermissen.“

Für die CDU konterte ihr Vorsitzender Hans-Georg Scherer: „Es geht nicht darum, Frau Binkenstein oder die SPD vorzuführen.“ Auch wenn Binkenstein rechtlich nichts vorzuwerfen sei, sei ihr Verhalten moralisch bedenklich. Es gehe darum, „der Öffentlichkeit nicht noch einen weiteren Grund für generelle Angriffe auf die Politik zu liefern.“

Für die Göttinger Linken kritisierte Rolf Ralle kritisierte im Rückblick Binkensteins Verhalten gegenüber Nier. Er hätte erwartet, dass sie eher den Ratskollegen über die Bestrebungen des Vermieters für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung informieren sollen, dass seine Anfrage zu Schwierigkeiten führen könne.

Für die FDP bleibe bei dem Fall „mehr als ein Geschmäckle übrig, auch wenn die Sache für mich jetzt abgeschlossen ist“, sagte die Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg. Zugleich kritisierte sie eine kurze Debatte darüber, ob und wie Ratsmitglieder zum Rücktritt Binkensteins persönliche Erklärungen hätten abgeben dürfen. „Als Rat können wir auf Dauer nicht so miteinander verfahren“, mahnte sie.

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In der Ratssitzung am Freitag

In der Ratssitzung am Freitag.

Der Rat muss jetzt einen neuen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende wählen. Wann und wie er das tun wird, müsse die Politik selbst entscheiden, sagte am Abend Verwaltungssprecher Dominik Kimyon.

Kommentar von Chefredakteur Uwe Graells

Ein besonderer Tag

Sylvia Binkenstein ist nicht mehr Ratsvorsitzende. Die blanke Nachricht ist das eine, die Deutung dieser Entscheidung zum Rücktritt lohnt jedoch für einen detaillierteren Blick. Die Anwältin hat eine strafbewährte Unterlassung persönlich an Gerd Nier, den Fraktionschef der Linken, überreicht. Dabei ging es einfach nur um eine Anfrage Niers, der als Ratsherr seine Rechte nutzen wollte. Und exakt hier beginnt das Dilemma für die SPD-Politikerin Binkenstein.

Die Fragezeichen, woher und wann sie und ihr Mandant von dem Antrag Niers wussten, lässt viel Raum für Spekulationen zu. Und es sind eben keine vorteilhaften Spekulationen.

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Eine Ratsvorsitzende mit Fingerspitzengefühl hätte wissen müssen, dass so ein Vorgehen mehr als nur ein Fettnäpfchen für sie bereithält. Und sie hätte wissen müssen, dass in ihrem Handeln politischer Sprengstoff liegt.

Rein rechtlich mag Sylvia Binkenstein keine Grenzen überschritten haben. Das sollen am Ende Juristen beurteilen. Moralisch hat sie als Politikerin jedoch einen riesigen Fehler begangen. Ihre Verteidigungslinie und der Rückzug auf ein aus ihrer Sicht einwandfreies Handeln haben ihr nicht geholfen.

Das „Geschmäckle“ blieb und der Antrag der „kleinen“ Ratsgruppe von Piraten und Partei sowie des Abgeordneten Wucherpfennig (Antifa Linke Göttingen) mit der Forderung nach Abwahl haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Rat der Stadt lässt sich so etwas eben nicht gefallen.

Besonders bemerkenswert ist die Position der Grünen. Als Bündnispartner der SPD haben sie sich in der Causa Binkenstein klar positioniert und das Verhalten der Ratsvorsitzenden getadelt. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der in den nächsten Tagen und Wochen sicherlich noch für viel Gesprächsstoff innerhalb des Mehrheitsbündnisses sorgen wird. Es zeigt aber auch, wie wunderbar einfach und wirksam Demokratie in einem Organ der kommunalen Selbstverwaltung funktionieren kann. Respekt.

Mit der fehlenden Mehrheit vor Augen hat SPD-Frau Binkenstein das einzig Richtige getan und den Rücktritt vom Ratsvorsitz verkündet. Vorbei ist die Sache damit noch lange nicht. Der Ton und der Umgang werden rauer. Die Sozialdemokraten haben aus ihrer Sicht jetzt eine Rechnung offen, man darf gespannt sein, wie diese beglichen werden soll. Für Sylvia Binkenstein jedenfalls ist Freitag, der 13., ab sofort ein besonderer Tag.

Sie erreichen den Autor unter

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E-Mail: u.graells@goettinger-tageblatt.de

Twitter: @uwegraells

Facebook: https://www.facebook.com/uwe.graells

Von Ulrich Schubert

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