Landarztmangel: Kooperationen sind ein mögliches Modell
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Rund um die Uhr im Einsatz: Ärzte in ländlichen Regionen.
© Quelle: r
Göttingen. Ältere Menschen sind historisch gesehen noch nie so gesund und selbstständig aktiv wie heute. Sie haben feste Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten möchten. Möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können, ist eine davon. Aber auch die wohnortnahe Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und die Hausarztversorgung spielen eine wesentliche Rolle. Aber gerade mit der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich sieht es nicht gut aus.
Bundesweit fehlen nach Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 3000 Ärzte im niedergelassenen Bereich, bis 2020 wird diese Zahl noch steigen. Jeder dritte Hausarzt in Niedersachsen ist 60 Jahre oder älter und diese sind entweder schon heute oder in den nächsten Jahren auf der Suche nach einem Praxisnachfolger – oder einer Nachfolgerin, denn seit geraumer Zeit ist die Mehrzahl der Medizinstudenten weiblich. "Die Ärztinnen wollen heute nicht mehr sieben Tage die Woche rund um die Uhr arbeiten, sondern sie wollen sich auch um ihre Familie kümmern", sagt Harald Jeschonnek, Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Bezirksstelle Göttingen. "Ein mögliches Modell sind Kooperationen. Viele möchten sich aber auch einfach nur auf das Medizinische beschränken und lassen sich anstellen", berichtet Jeschonnek. Denn die Anteile der in Teilzeit arbeitenden sowie der angestellten Ärzte nehmen zu, die durchschnittlichen Arbeitszeiten sinken. Diese geänderten Rahmenbedingungen führen dazu, dass im Durchschnitt für jeden Hausarzt des "alten Modells" zwei bis drei Ärzte ausgebildet werden müssen, das lässt sich dem Daseinsvorsorge-Atlas in der Region Göttingen entnehmen.
Intakte Infrastruktur
"Bei uns in der Region ist das ein noch nicht so akutes Problem, aber der Bedarf ist natürlich vorhanden", berichtet Corinna Morys-Wortmann, Leiterin der Geschäftsstelle Gesundheitsregion Göttingen. Ein wichtiger Faktor, damit es sich für junge Ärzte lohnt, sich in einer ländlichen Gegend niederzulassen, ist ihrer Meinung nach eine intakte Infrastruktur. Denn tendenziell sind Städte für junge Menschen deutlich attraktiver. Im Emsland beispielsweise gehen die Überlegungen noch weiter. "Dort gibt es ein Modellprojekt, bei dem es darum geht, auch die Kompetenz der Apotheken zu nutzen", erläutert Morys-Wortmann.
Jann-Olav Backhaus hat eine Landarztpraxis in Seulingen. 2016 übernahm der damals 40-jährige die Praxis von seiner Kollegin Marion Winkler, die sie zuvor fast 32 Jahre lang betrieben hatte. „Alt werden im Dorf ist schön, aber auch schwierig“, sagt Backhaus, dem es in Seulingen sehr gefällt. Inzwischen ist auch seine Frau, die ebenfalls Ärztin ist, in die Praxis mit eingestiegen.
Vor Augen hat er inzwischen noch ein weiteres Modell. Im Nachbarort Seeburg wurde händeringend ein Nachfolger für die Hausarztpraxis von Otto Gleitze gesucht, der 2016 seine Praxis geschlossen hat. Backhaus (Facharzt für Innere Medizin) erarbeitete gemeinsam mit Seeburgs Bürgermeister Martin Bereszynski (CDU) eine Lösung. Und holte die Allgemeinmedizinerinnen Dr. Uta Annweiler und Dr. Renate Lingen aus Waake sowie die Allgemeinmedizinerin Dr. Melanie Nettelmann mit ins Boot, die in Kooperation eine gemeinsame Praxis eröffnen wollen. Diese soll im alten Schulgebäude in Seeburg ansässig sein. Allerdings muss noch umgebaut werden. „Wir haben den Umbau nur verschoben, da es einen neuen Fördertopf gab, auf den wir gern zurückgreifen wollten“, erläuterte Bereszynski. Er hofft, dass die neuen Praxisräume noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden können.
Auf die Ärzte einlassen
Die Praxisgemeinschaft umfasst eine gemeinsame Nutzung der Räumlichkeiten und Geräte. Dabei werden die Praxis Backhaus in Seulingen und die Gemeinschaftspraxis Waake eigenständig bleiben. „Der Umbau wird nach den Wünschen der Ärzte erfolgen. Denn bei einem solchen Modell muss man sich schon auf die Ärzte einlassen“, verdeutlichte der Seeburger Bürgermeister. An gewissen Tagen in der Woche werden die Ärzte vor Ort sein. Je nachdem wie das Modell angenommen wird, lassen sich die Zeiten entsprechend anpassen.
Die Landesregierung Niedersachsen versucht mit einem Bündel von Maßnahmen die Ausbildung zum Allgemeinmediziner wieder lukrativer zu machen. Nach dem Studium sollen Ärzte mit Niederlassungsförderungen und befristeten Budgetgarantien für eine Tätigkeit im ländlichen Raum gewinnen. Geplant ist unter anderem, das sogenannte Hausarzt-Stipendienprogramm auszubauen. Zurzeit werden Studenten mit 400 Euro monatlich gefördert. Allerdings müssen sie zusagen, für eine gewisse Zeit als Hausarzt im ländlichen Raum zu arbeiten.
Von Vicki Schwarze