Mietvertrag läuft im August aus
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Spiel und Spaß in der Flüchtlingsunterkunft am Nonnenstieg.
© Quelle: Swen Pförtner
Göttingen. Die Stadtverwaltung hat damit begonnen, die Räumung und Schließung der Flüchtlingsunterkunft am Nonnenstieg vorzubereiten. Der Mietvertrag zwischen Stadt und EBR Projektentwicklungs GmbH als Eigentümerin läuft im Sommer aus.
„Wir arbeiten darauf hin, dass das angemietete Gebäude zum 31. August 2018 zurückgegeben werden kann. So steht es im Mietvertrag.
So hat es die Ratspolitik im Juni 2017 auf unseren Vorschlag beschlossen“
, erläutert Verwaltungssprecher Detlef Johannson. Mit Blick auf das Mietvertragsende habe es keine weiteren Zuweisungen von Flüchtlingen in die Einrichtung gegeben.
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Das IWF am Nonnenstieg: Noch leben rund 90 Flüchtlinge in dem Gebäude am Nonennstieg. Danach soll es abgerissen werden. Die EBR will dort neue Wohnungen bauen.
© Quelle: Hinzmann
Derzeit wohnen noch rund 90 Flüchtlinge in den Gebäuden des ehemaligen Institutes für den wissenschaftlichen Film (IWF). Zu Spitzenzeiten war die Unterkunft Heimat für weit mehr als 200 Geflüchtete. Inzwischen sind viele der ehemaligen Bewohnern in eigenen Wohnungen oder anderen Unterkünften untergekommen, erläutert Jawed Yazdani, Leiter der von Bonveno betriebenen IWF-Wohnanlage.
„Auf die Siekhöhe soll in der Tat niemand“
Wer von den aktuell 90 Bewohnern weiterhin auf eine Unterbringung in einer städtischen Einrichtung angewiesen sei, erläutert Johannson weiter, für den kämen die Neubauten in der Europaallee, auf den Zietenterrassen, im Albrecht-Thaer-Weg oder im Hagenweg in Betracht. "Auf die Siekhöhe soll in der Tat niemand, das können wir ausschließen", stellt Johannson klar. Er betont, dass der Umzug nicht für alle IWF-Bewohner an einem Tag erfolge, sondern Schritt für Schritt. Das habe sich bewährt, etwa bei den städtischen Flüchtlingsunterkünften an der Gustav-Bielefeld-Straße und in der ehemaligen Voigtschule an der Bürgerstraße.
„Unglückliche“ Kommunikation im IWF
Johannson dementiert vom Arbeitskreis Asyl und von einigen Flüchtlingen in Umlauf gebrachte Vermutungen, dass die Verwaltung geplant hatte, die Unterkunft am Montag zu räumen. Auch einen kompletten Leerzug der Einrichtung bis Mai sei unzutreffend. "Wir haben die Leitung der Einrichtung gebeten, eine Liste zusammenzustellen für einen Umzug von zunächst 20 Personen in die Einrichtung auf den Zietenterrassen zu einem allerdings bis heute noch nicht feststehenden Zeitpunkt. Das scheint in der Einrichtung sehr unglücklich kommuniziert worden zu sein", kommentiert Johannson.
Flüchtlinge schreiben Oberbürgermeister Köhler
Teile der IWF-Bewohner kritisieren die Schließungspläne. In einem Brief haben sie sich am Montag an Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD), das Sozialamt und die Ausländerbehörde der Stadt gewandt. Zuvor waren sie Ende vergangener Woche mit einem Schrieben an die Öffentlichkeit gegangen.
„Diese Art der Verlegung in andere Unterkünfte entspricht nicht unserem Wunsch“, heißt es in dem Schreiben. Viele von ihnen würden nur das Leben in Unterkünften kennen. Die Hoffnung, in einem ruhigen Leben anzukommen, werde durch die ständige Unterbringung in Massenunterkünften fast vollends zunichte gemacht, schreiben die Flüchtlinge weiter.
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Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD)
© Quelle: Christoph Mischke
„Wir haben uns hier im Nonnenstieg ein kleines Leben aufgebaut, Kontakte geknüpft und einige Initiativen und Menschen kennengelernt. Wir wollen nicht schon wieder umverteilt und in eine andere Gemeinschaftsunterkunft verlegt werden. Wir sagen, das Leben in Unterkünften sollte eigentlich nach einer gewissen Zeit aufhören, denn es macht krank“, heißt es weiter.
Die betroffenen Bewohner sehen in einer „besseren Unterstützung seitens der Stadt bei der Wohnungssuche“ die bessere Lösung als die erneute Zuteilung in eine weitere unbefriedigenden Unterbringung.
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Bonveno-Geschäftsführer Michael Bonder
© Quelle: R
Michael Bonder, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft Bonveno kann die Ängste der Flüchtlinge verstehen. Er betont aber auch, dass der Standard etwa in der Unterkunft auf den Zietenterrassen deutlich höher sei als in den IWF-Gebäuden. Die von den Flüchtlingen geforderte und seinerzeit vom Rat beschlossene „dezentrale Unterbringung“ sei angesichts fehlender Wohnungen in der Stadt schwer umzusetzen. Nach seinen Angaben sei es schwer, die Flüchtlinge zu bewegen, aufs Land zu ziehen. Dort gebe es freie Wohnungen.
Dezentrale Unterbringung
Verwaltungssprecher Johannson kommentiert die geforderte dezentrale Unterbringung: „Dass Hunderte von Geflüchteten nicht dezentral in Einzelwohnungen im Stadtgebiet untergebracht werden können, darüber herrschte eigentlich Konsens. Wenn ich nun bedenke, dass wir städtische Einrichtungen am Schützenanger, am Hagenweg, in der Europaallee, im Albrecht-Thaer-Weg , auf den Zietenterrassen, in der Breslauer Straße oder in Herberhausen und (noch) auf der Siekhöhe haben, dass wir weitere Einrichtungen in der Bürgerstraße, in der Gustav-Bielefeld-Straße und in der Großen Breite oder in Geismar hatten – dann ist das schon ziemlich dezentral. Dieses Konzept – wie immer man es auch nennt – hat niemand in Zweifel gezogen.“
„Gewachsene Bindungen und erste Integrationserfolge“
Nach dem Gang der Bewohner an die Öffentlichkeit hatte sich die Ratsfraktion der Göttingen Linken zu der Situation zu Wort gemeldet. "Nun rächt sich der unselige Mehrheitsbeschluss des Rates, in Abwägung der beiden Flüchtlingsunterkünfte IWF und Siekhöhe, die viel besser in der Nachbarschaft verankerte, deutlich individueller ausgestattete und von den allermeisten Bewohnern angenommene als erste zu schließen und kurzfristig zu räumen", heißt es in der Pressemitteilung. Der Protest der IWF-Bewohner sei ein Zeichen dafür, dass sie sich wohl- und angenommen fühlten und im gewissen Grade integriert seien im Wohngebiet am Nonnenstieg. Sie gegen ihren Willen nun in die Einrichtung auf den Zietenterrassen zu verlagern, zerstört gewachsene Bindungen und erste Integrationserfolge.
Linke sieht „materiellen Interessen“
Menschliche Überlegungen träten hinter den materiellen Interessen verschiedener Beteiligter zurück, folgern die Linken. Die EBR woll nun schnellstens das IWF abreißen, um "ihr lukratives Großbauprojekt" zu realisieren. Die Stadt wolle ihrerseits den bis 2021 laufenden Mietvertrag für die Industriehalle auf der Siekhöhe möglichst lange erfüllen und nicht auf den Kosten für Leerstand sitzen bleiben. Und Bonveno als Träger der Einrichtung im IWF und auf den Zietenterrassen sichere sich mittelfristig den Weiterbetrieb einer gut belegten Einrichtung.
EBR sieht „unerhörte Kritik“
Die EBR hat am Monatg die Kritik der Linken als „unerhört“ zurückgewiesen. Bereits seit 2012 plane die EBR Wohnbauprojekt am Nonnenstieg und versuche, eine für alle „akzeptable Lösung“ zu finden, heißt es in einer Mitteilung.
Der Bitte der Stadtverwaltung 2015, die Räumlichkeiten des IWF anmieten zu können, um schnellstmöglich Kapazitäten für geflüchtete Menschen bereitzustellen, sei die EBR nachgekommen. Ein Mietvertrag sei im September 2015 mit einer Mietlaufzeit von drei Jahren abgeschlossen worden – inklusive einer Verlängerungsmöglichkeit zu Gunsten der Stadt Göttingen für weitere zwei Jahre.
Beschluss im Sozialausschuss
„Die Entscheidung das ehemalige IWF ab September 2018 nicht mehr als Flüchtlingsunterkunft nutzen zu wollen, basiert allein auf dem Mehrheitsbeschluss im Sozialausschuss des Göttinger Rates aus dem Juni 2017“, führt die EBR aus. Die Stadt Göttingen habe daher die Verlängerungsmöglichkeit nicht genutzt. Dies habe unter anderem mit rückläufigen Flüchtlingszahlen und zusätzlich geschaffenen Flüchtlingsunterkünften zu tun und stehe in keinem Zusammenhang mit den Planungen der EBR, heißt es weiter.
Die Pläne der EBR stehen am Donnerstag, 8. März, auf der Tagesordnung des Bauausschusses des Rates. Beginn ist um 16 Uhr im Ratssaal des Neuen Rathauses, Hiroshimaplatz 1-4.
Von Michael Brakemeier
GT/ET