Gegnerschaft zur Weimarer Republik und Nationalismus, Führerkult und Antisemitismus – das Göttinger Tageblatt unter seinem Chefredakteur Viktor Wurm war seit den 1920er-Jahren ganz auf Linie der Nationalsozialisten. Beispielhaft zeigt sich das an der Berichterstattung rund um die Pogromnacht am 9. November 1938.
Göttingen.Es ist das am Ende tödliche Attentat auf den deutschen Botschaftsangehörigen Ernst von Rath durch den polnischen Juden Herschel Grünspan, das die Schlagzeilen des Göttinger Tageblattes am 8. und 9. November 1938 beherrscht. Es ist dieses Attentat, das die nationalsozialistische Führungsriege mit Hinweis „die Jüdische Weltverschwörung“ als Vorwand benutzt, um mit Gewalt gegen Juden, ihre Geschäfte und Gotteshäuser vorzugehen. Nach ersten Übergriffen am 8. November, brennen in der Nacht vom 9. auf den 10. November in ganz Deutschland die Synagogen – auch in Göttingen.
In der Ausgabe vom 10. November schreibt das Tageblatt auf der Titelseite: „Die Mordtat ist also planmäßig und bewusst von der jüdischen Verbrecherclique in Paris vorbereitet worden. Und das Judentum wird nun auch die Folgen dieses neuen gemeinen und hinterhältigen Meuchelmordes tragen müssen.“ Auf Seite 3 folgt dann ein ausführlicher Bericht zu den Göttinger Feierlichkeiten zum gescheiterter Putschversuch der NSDAP unter Adolf Hitler und Erich Ludendorff am 9. November 1923 in München. Noch um Mitternacht feierten in der Nacht vom 9. auf den 10. November SS-Bewerber ihre Vereidigung auf dem Göttinger Marktplatz. Mitglieder der SS setzten gegen ein Uhr die Synagoge an der Unteren Maschstraße in Brand.