Nonnenstieg-Deal in Göttingen: Politik sehr verstimmt
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/4AJQW6KECTFOSJ7NZLO7SFS554.jpg)
Das Hauptgebäude auf dem ehemalige IWG-Gelände am Nonnenstieg. Inzwische hat die EBR einen Großteil an eine Münchner Firma gekauft.
© Quelle: Markus_Hartwig
Göttingen. Die Göttinger Linke spricht von "Bodenspekulationen" und einer "willfährigen" Stadtverwaltung. Die Grünen sind "schon sehr erbost". Und alle – einschließlich CDU und SPD – bangen jetzt um eines der größten Wohnungsbauprojekte in der Stadt. Seit am Wochenende bekannt wurde, dass die Göttinger EBR Projektentwicklungs GmbH zwei Drittel des ehemaligen Geländes des Institutes für den Wissenschaftlichen Film (IWF) an die Münchner Wertgrund Immobilien AG verkauft hat, schlagen die Wellen hoch. Auch bei der EBR, die ihre Entscheidung in einer Stellungnahme an die Ratsfraktionen begründet.
Hintergrund: Vor mehr als sechs Jahren hat die EBR das 23 000 Quadratmeter große Gelände am Nonnenstieg gekauft. Sie wollte dort ein Wohnungsprojekt umsetzen – gegen das es vor allem aus der Nachbarschaft viele Einwände gab. Und die Politik wollte sicherstellen, dass am Nonnenstieg bezahlbarer Wohnraum entsteht. Nach sechs Jahren Planung und erbittert geführten Diskussionen hatte der Rat im vergangenen April schließlich mit einem geänderten Bebauungsplan grünes Licht gegeben. Wesentlicher Bestandteil: Ein städtebaulicher Vertrag zwischen der EBR und der Stadt, in dem sich das Unternehmen verpflichtet, 30 Prozent der Wohnungen zu sozialverträglichen Mieten anzubieten."
Ein Fall von „Bodenspekulation“
Vor diesem Hintergrund überraschte jetzt viele, dass die EBR 17 350 Quadratmeter inzwischen verkauft hat. Die Göttinger Linke sieht darin einen Fall von Bodenspekulation und wirft dem Unternehmen vor, dass es sich von der Verpflichtung, günstigen Wohnraum zu schaffen, "freikauft".
„Natürlich sind wir von dieser Entwicklung gar nicht begeistert“, kommentierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rolf Becker, die Entwicklung – „das hat uns schon sehr erbost“. Und es sei „schon komisch“, dass die EBR nach dem langen Planungsverfahren „aussteigt, als alles in trockenen Tüchern ist“. „Wir hatten eigentlich damit gerechnet, dass die jetzt bald bauen“, fügte er an.
Soziale Verpflichtungen übernommen
Zuvor hatten EBR-Geschäftsführer Borzou Rafie Elizei und Göttingens Stadtbaurat Thomas Dienberg versichert, dass die Wertgrund mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages im vergangenen August auch alle Verpflichtungen aus Bebauungsplan und städtebaulichem Vertrag übernommen habe. Einen Gewinn von knapp drei Millionen Euro durch den Teilverkauf des Grundstückes für acht Millionen Euro wollte Rafie Elizei am Donnerstag nicht bestätigen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/M4O4MHJOIMSVXTBAKRGTOX3OR4.jpg)
Das IWF-Gelände am Nonnenstieg
© Quelle: Christina Hinzmann
Unabhängig von den genauen Zahlen stellte die SPD am Mittwoch mit kritischem Unterton fest: „Wenn die EBR auf den Bau von Wohnungen verzichtet und einen Teil ihres Grundstücks (...) verkauft, um dabei einen Kaufpreis zu erzielen, der exorbitant den (...) Kaufpreis übersteigt, dann ist das eine rechtlich zulässige Handlung, die gleichwohl den Verkäufer kennzeichnet.“ Unzweifelhaft sei, dass die Explosion des Kaufpreises negative Folgen für den Wohnungsbau hat, so der Fraktionsvorsitzende Tom Wedrins.
Grundsätzlich habe jeder Eigentümer das Recht, Grundstücke auch weiter veräußern zu dürfen, solange vertraglich nichts anderes geregelt wird, erklärt CDU-Fraktionschef Olaf Feuerstein. Allerdings bringe jede weitere Veräußerung „unweigerlich auch eine Steigerung der Gesamtbaukosten mit sich“.
FDP begrüßt Absicherung
Die FDP im Rat begrüßt, dass die städtebaulichen Verpflichtungen beim Verkauf des IWF-Geländes bestehen blieben, betont die Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg. Da die städtebaulichen Verpflichtungen offenbar bestehen blieben, sei eine soziale Absicherung auch bei Weiterverkauf gegeben, erklärt der sozialpolitische Sprecher, Thorben Siepmann.
In der langen Debatte um das IWF-Areal sei letztlich die Zusage des Bauherrn, sozialen Wohnraum zu schaffen, ausschlaggebend für die Verkaufs-Entscheidung des Rates gewesen, erklären Dana Rotter und Helena Arndt von der Ratsgruppe aus Piraten und „Die Partei“. Nun werde der Eindruck geweckt, „dass der Rat an der Nase herumgeführt wurde“.
Von Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) und Stadtbaurat Thomas Dienberg gab es bis zur Drucklegung dieser Ausgabe keine Stellungnahme.
EBR steht zum sozialen Bündnis
In einer Stellungnahme an die Ratsfraktionen, die dem Tageblatt vorliegt, weist die EBR den Vorwurf, sich mit dem Verkauft des Teilgrundstückes von den festgeschriebenen Sozialverpflichtungen freizukaufen, zurück. Der Käufer habe sich verpflichtet, „alle städtebaulichen, ökologischen und sozialen Ziele des beschlossenen Bebauungsplans einzuhalten“. Zudem erklärt die EBR, sie wolle auf ihrem Grundstück 31 Wohnungen bauen und prüfe, ob sie 20 Prozent davon im Sinne des „Göttinger Bündnisses für bezahlbares Wohnen“ realisieren könne.
In dem Papier erklärt die EBR auch ihre Motivation für den Verkauf: Dieser sei die Konsequenz aus dem langen Verfahren, das neben viel Geld und Zeit auch geprägt gewesen sei durch „Beleidigungen und Einschüchterungen“ seitens einer Bürgerinitiative. Inzwischen gebe es auch zwei Klagen gegen den Bebauungsplan. Daher habe die EBR entschieden, ihre Energie anderweitig einzusetzen. Zugleich verweist Rafie Elizei auf das soziale Engagement des Unternehmens – unter anderem im Kitabau und für das Boat-People-Projekt am Nonnenstieg.
Von Ulrich Schubert und Matthias Heinzel
GT/ET