Podiumsdiskussion im Neuen Rathaus

Rege Debatte über Idee einer autofreien Göttinger Innenstadt

Bei einer autofreien Innenstadt würde es wohl auch keinen Stau mehr vor den Parkhäusern geben – zumindest nicht vor denen in der City.

Bei einer autofreien Innenstadt würde es wohl auch keinen Stau mehr vor den Parkhäusern geben – zumindest nicht vor denen in der City.

Göttingen. Schöner, attraktiver und verkehrsberuhigter soll Göttingens Innenstadt werden, sogar gänzlich autofrei. Dieses Ziel verfolgt die grüne Ratsfraktion. Am Donnerstagabend diskutierte sie mit Bürgern im Saal des Neuen Rathauses darüber, wie dieses Anliegen umgesetzt werden könnte. Knapp 100 Menschen beteiligten sich an der Debatte – mit interessanten Ergebnissen.

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An Ideen mangelte es jedenfalls nicht. Es entspann sich eine sehr rege Diskussion, moderiert von der Journalistin Sybille Bertram. Als Referenten sprachen zu Beginn der Veranstaltung der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne) sowie Benni Leemhuis aus dem niederländischen Groningen.

Rad-Parkplätze werden knapp

Die nordholländische Stadt verfolgt bereits seit 1977 konsequent eine Umstrukturierung des Straßenverkehrs. Leemhuis, der für die GroenLinks-Fraktion im Rat der Stadt Groningen sitzt, verwies auf eine vor 42 Jahren noch von Kraftfahrzeugen hoch belastete Innenstadt, durch die sich quasi der gesamte Verkehr der gleichnamigen Provinz quälte. Damals hätten sich einige junge Stadträte gesagt, dass mehr Platz her müsse – und zwar für die Menschen, nicht für Autos.

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Heute sind Kraftfahrzeuge aus diesem urbanen Bereich verbannt, Fahrradfahrer dürfen hingegen überall fahren, sagte er. Und das geschehe auch: „Bei uns werden die Rad-Parkplätze knapp. Wir müssen uns nach neuen Lösungen umsehen“, so Leemhuis. Selbst Busse dürfen die Innenstadt nur noch tangieren. Und auch diese Regelung soll noch weiter eingeschränkt werden. Über einen Beamer zeigte er Fotos von damals und heute.

Laut Gesetz haben Autos Vorrang

Angesichts dieser Bilder sagte der Bundestagsabgeordnete Gelbhaar: „Am liebsten würde ich jetzt darüber abstimmen lassen, welches Groningen Ihnen besser gefällt.“ Im deutschen Verkehrsrecht, so der Sprecher für städtische Mobilität und Radverkehr der grünen Bundestagsfraktion und Obmann im Verkehrsausschuss, hätten Autos Vorrang. Die Straßenverkehrsordnung sei darauf ausgelegt, den Kraftverkehr am Fließen zu halten. Es sei also gar nicht so einfach, rein rechtlich gesehen andere Modelle zu realisieren. Die Verkehrsplaner einer Stadt könnten sich nicht einfach neue Regelungen oder Verkehrsschilder ausdenken.

Dennoch warb er dafür, die Idee einer autofreien Innenstadt in Göttingen umzusetzen, weil damit, neben dem Umweltaspekt, auch Geld gespart werden könne. „Weniger Autoverkehr bedeutet weniger Abnutzung der Straßen. Und die Gewerbeeinnahmen steigen, weil die Menschen sich wohler fühlen und mehr Zeit in der Stadt verbringen“, so Gelbhaar. In Paris, so sein aktuelles Beispiel, habe es großen Widerstand gegen die Sperrung des rechten Seine-Ufers gegeben. Mittlerweile sei genau dieser Bereich höchst attraktiv für Einwohner und Touristen. Was er aber klarstellte: Einen Rest an Kraftverkehr – nämlich durch Fahrzeuge der Müllentsorgung oder Rettungswagen – werde es immer geben. Und es bestehe kein Zweifel daran, dass der Mensch, ganz gleich welches Verkehrsmittel er benutzt, ein Rüpel sein könne.

Kurze Wege ohne Auto

Ulrich Holefleisch, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Ratsfraktion, sah vor seinem geistigen Auge bereits die Goethe-Allee frei von Autos. „Wie schön wäre gerade diese Straße dann“, meinte er und formulierte die über dem gesamten Thema autofreie Innenstadt stehende Frage des Abends: „Wie kann man das Mobilitätsbedürfnis der Menschen anders stillen?“ Eine Frage, die viele weitere auslöste. Was ist zu tun, damit weniger Personen aus dem Umland mit dem Auto in die Göttinger Innenstadt fahren und wie können die Anwohner davon überzeugt werden, dass sie für kurze Wege nicht das Auto nehmen? Wohin mit den Fahrzeugen der Anwohner, wenn die Innenstadt tatsächlich autofrei ist? Wie soll der Einzelhandel beliefert werden? Und wer kontrolliert das alles?

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In der Kritik stand auch der gegenwärtige Busverkehr in Göttingens Innenstadt. Von 21 Tageslinien würden 15 durch das Zentrum fahren. Ein Teilnehmer der Veranstaltung sagte, dass in Spitzenzeiten nach eigener Zählung in einer Stunde 36 Busse die Jüdenstraße entlang fahren würden.

Veranstaltung „Wege zur autofreien Innenstadt“ am 24

Veranstaltung „Wege zur autofreien Innenstadt“ am 24. Januar 2019 im Ratssaal des Neuen Rathauses.

Das sind die Vorschläge Göttinger Bürger

Die Anwesenden im voll besetzten Göttinger Ratssaal waren aufgerufen, an sieben Tischen über die aufgeworfenen und weitere Fragen zu diskutieren sowie Vorschläge zu unterbreiten, wie die Idee einer autofreien Innenstadt umgesetzt werden kann. An den Tischen entspann sich eine lebhafte Unterhaltung, Diskussionsleiter nahmen die Vorschläge schriftlich auf. Wer wollte, konnte den Tisch wechseln und sich zu einer anderen Fragestellung äußern.

Ein Parkleitsystem müsse her, hieß es beispielsweise. Zudem müsse Park & Ride so günstig sein, dass die Menschen dieses Angebot tatsächlich nutzen, etwa durch einen Pendelverkehr alle zehn Minuten. Die Buspreise müssten deutlich preiswerter sein als die Parktickets. Die bereits vorgeschlagene und in der Öffentlichkeit diskutierte Poller-Regelung, mit der es unmöglich würde, bestimmte Bereiche der Innenstadt zu befahren, sollte umgehend kommen, damit würde bereits viel Durchgangsverkehr vermieden, hieß es.

Woche der Verkehrskultur

Weitere Vorschläge waren: Schulung der Erstsemester für mehr Rücksichtnahme gegenüber Fußgängern und Fahrradfahrern; Waren für den Einzelhandel an einem Ort sammeln und von dort aus mit Lastenfahrrädern und E-Autos ausliefern; doppelstöckige Fahrradabstellanlagen; Fahrradboxen zum Abschließen; bisherige Pkw-Parkplätze in Fahrrad-Parkplätze umwandeln, eine bestimmte Zone zur Radverkehrszone erklären; einmal jährlich eine Woche der Verkehrskultur ausrichten mit ADAC, ADFC, Uni, Fahrradläden, Polizei; konsequent kassieren bei Regelverstößen; blaue Plaketten für Anwohner; ein Kennzeichenlesegerät, um die Zufahrt zur Innenstadt zu überprüfen; altersgerechte Busse, die auf Linien fahren, an denen Seniorenheime liegen; ein solidarisch finanziertes ÖPNV-Konzept durch Mobilitätsgebühr für alle (Bus-Groschen); Ampelvorrang für Busse.

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Referent Benni Leemhuis aus Groningen (l) ist Mitglied im Rat der Stadt Groningen, die als Weltfahrradhauptstadt bekannt ist

Referent Benni Leemhuis aus Groningen (l.) ist Mitglied im Rat der Stadt Groningen, die als Weltfahrradhauptstadt bekannt ist.

Bei allem aber müsse, so der allgemeine Tenor, der Mensch im Mittelpunkt stehen. Ein Argument, das der Geschäftsführer des Unternehmens YourCar Göttingen, Boris M. Hillmann, spontan aufgriff: „Genau. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Nicht das Auto“, unterschied er ausdrücklich.

Ideen für Innenstadt-Leitbild

Alle diese Vorschläge und etliche weitere werden jetzt von der grünen Ratsfraktion zusammengetragen und auf der Fraktions-Homepage präsentiert. Außerdem, so Holefleisch, solle die Göttinger Stadtverwaltung gebeten werden, die während der Podiumsdiskussion geäußerten Ideen auf eine mögliche Umsetzung zu prüfen, schließlich sollen sie in das Innenstadt-Leitbild einfließen. Allen Bedenkenträgern schließlich möchte der Holländer Benni Leemhuis gern ins Stammbuch schreiben: „Probiere so viel wie möglich. Erst dann weißt du, was geht.“

Was sagen Sie zur Idee einer autofreien Göttinger Innenstadt? Schreiben Sie uns gerne an redaktion@goettinger-tageblatt.de, auf Facebook oder per Twitter an @goetageblatt.

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Von Ullrich Meinhard

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