Historiker macht sensationellen Bücherfund
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Offenbarung des Johannes: Eine Seite aus der deutsprachigen Bibel, die 1485 in Straßburg erschienen ist..
© Quelle: r
Duderstadt. Einer der bedeutendsten Bücherfunde der vergangenen Jahre ist dem Erfurter Wissenschaftler Frank-Joachim Stewing in Duderstadt gelungen. In einem Keller entdeckte er 37 Drucke aus dem 15. Jahrhundert.
Eine „wissenschaftliche Sensation“ sei der Fund derart vieler Bände aus den ersten 50 Jahren nach Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg, meint Falk Eisermann. Er leitet bei der Staatsbibliothek zu Berlin den Gesamtkatalog der Wiegendrucke der 450.000 der weltweit 500.000 solcher Frühdrucke verzeichnet. In der Regel, so Eisermann, tauchten mal ein, zwei oder auch mal vier, fünf dieser Werke auf. Duderstadt sei zudem bisher ein „weißer Fleck“ auf ihrer Landkarte gewesen.
Jurist Johannes Steinberg
Eine Urkunde gab dem Historiker und Buchwissenschaftler Stewing einen Hinweis auf die Schätze in der Brehmestadt. Das Dokument berichtet über die 1511 erzielte Einigung über den Verbleib von 108 Büchern aus dem Besitz des Erfurter Hochschullehrers und Juristen Johannes Steinberg. Der gebürtige Duderstädter hatte sie seiner Familie vermacht. Die Stadt Duderstadt setzte durch, dass sie in die Pfarrbibliothek von St. Cyriakus aufgenommen wurden.
Galluschke: „Wir haben da etwas im Keller.“
„Obwohl in Deutschland während der 1980er- und 90er-Jahren historische Buchbestände systematisch erfasst worden waren, fand sich kein Hinweis auf Duderstadt“, sagt Stewing. Das Bistum Hildesheim verwies ihn an Sandra Kästner vom Duderstädter Heimatmuseum. Sie vermittelte den Kontakt zu Propst Bernd Galluschke. Der sagte zu Stewing: „Wir haben da etwas im Keller.“
Vergessene Bibliothek mit 800 alten Büchern
Einige Zeit später stand der Erfurter im Archiv der Propstei staunend vor fast 800 alten Bücher. Mit stockendem Atem stellte er fest, dass knapp 70 Werke aus dem 16. Jahrhundert, 37 Drucke aus dem 15. Jahrhundert und eine Handschrift aus dem Mittelalter stammte. Nur eines der Bücher stammt allerdings von Steinberg: ein 1436 im italienischen Perugia geschriebener Kodex mit einem Kommentar zum römischen Recht.
Zwei Frühdrucke waren der Wissenschaft bisher unbekannt
Zwei weitere Frühdrucke spürte der Erfurter im Duderstädter Ursulinenkloster, einen im Stadtarchiv auf. „Zwei der auch als Inkunabeln bezeichneten Bücher sind bisher nur in Fragmenten überliefert gewesen“, sagt der Wissenschaftler. Von der Existenz von zwei weiteren Inkunabeln habe die Forschung nichts gewusst.
Deutschsprachige Bibelausgabe von 1485
Unter den Funden hebt der Buchwissenschaftler eine deutschsprachige Bibelausgabe hervor, die 1485 in Straßburg erschienen ist. „Als Martin Luther Anfang des 16. Jahrhunderts die Bibel ins Deutsche übersetzte, gab es bereits 14 solcher Übertragungen“, erklärt der Erfurter. Katholische Geistliche hätten sie für lesekundige Laien, die des Lateinischen nicht mächtig waren, angefertigt. Die Kirche als Ganze habe aber solchen Übersetzungen bis ins 18. Jahrhundert skeptisch gegenüber gestanden.
Spital für Leprakranke
Im Ursulinenkloster stieß Stewing auf ein schön illustriertes und liebevoll restauriertes Messbuch von 1488. Verwendet wurde es einst in der Kapelle des St.-Martin-Spitals für Leprakranke, das außerhalb der Stadtmauern stand. Ein Buch stammt aus der Druckerei, die der gebürtige Duderstädter Albert Kunne mehr als 30 Jahre lang in Memmingen betrieben hat.
Ablassbriefe
Zum Teil finden sich in den Bänden Einblattdrucke. So gibt es einen Almanach, der für das Jahr 1495 astrologisch bestimmte Termine etwa für den Aderlass, das Abstillen oder die Schweineschlachtung aufführt. Mit einem Butterbrief erlaubte der Papst einem Gläubigen im Gegenzug für eine entsprechende Bezahlung, dass dieser in der Fastenzeit und an Fastentagen Milchprodukte essen durfte. Ein Kreuzzugsablass von 1480 versprach Christen gegen Geld die Vergebung ihrer Sünden. „Schon damals gab es Kritik am Ablasswesen“, berichtet Stewing. Luther habe sie Jahrzehnte später mit neuer Schärfe aufgegriffen.
Schimmel und Wurmfraß
„Die Lagerbedingungen in der Propstei sind gut“, betont der Wissenschaftler. Schimmel und Wurmfraß an die Büchern zeigten aber, dass dies nicht immer so gewesen sei. Bei einzelnen Bänden seien Erhaltungsmaßnahmen „dringend erforderlich“. Der Buchbestand sei zu erfassen, seine Herkunft zu klären und schließlich wissenschaftlich auszuwerten.
So sehen die Bücher aus:
Ausstellung zeigt Bücherfunde
Das Heimatmuseum Duderstadt widmet dem sensationellen Bücherfund eine Ausstellung, die am Dienstag, 19. Juni, um 20 Uhr in der St.-Cyriakus-Kirche eröffnet wird. Frank-Joachim Stewing aus Erfurt spricht über seine Entdeckung. Ein Grußwort kommt vom Hausherren, Propst Bernd Galluschke. Er kannte die Bibliothek im Archiv der Propstei und hat die Bücher sogar von einem befreundeten Archivar im Ruhestand ordnen lassen. Beide erkannten den Wert der Sammlung nicht, sagt Galluschke.
Bei der Ausstellungseröffnung kommt Bürgermeister Wolfgang Nolte (CDU) zu Wort. Die Funde öffneten ein Fenster, das den Blick weit zurück in die Vergangenheit fallen lasse, sagt er. Begrüßen wird die Gäste zudem Gerold Wucherpfennig, der Vorsitzende des Heimatvereins Goldene Mark.
Die Ausstellung zeigt unter dem Motto „Von Butterbriefen, Aderlass und Seelenheil – Spätmittelalterliche Bücherschätze aus Duderstädter Sammlungen“ ausgewählte Stücke. Dazu gibt es Leihgaben aus Erfurt und Mühlhausen zu sehen. Besuchen lässt sich die Ausstellung vom 22. Juni bis 23. September freitags bis sonntags von 11 bis 16 Uhr im Museum, Bei der Oberkirche 3.
Um die sichere Unterbringung der Funde dauerhaft zu garantieren, hat die Sparkasse Duderstadt der St.-Cyriakus-Gemeinde zwei Tresore zur Verfügung gestellt. Vorstandsmitglied Markus Teichert übergab sie Propst Bernd Galluschke und Kirchenvorstand Alfons Merten. „Ich habe die Sparkasse gefragt, ob sie uns helfen könne, die wertvollen Bücher zu schützen“, sagt der Propst.
Historiker Stewing träumt davon, in Duderstadt einen Raum zu schaffen, in dem die alten Bücher dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Bistum Hildesheim habe bereits signalisiert, dass die Bücher auf alle Fälle vor Ort bleiben sollten.
Zur Ausstellungseröffnung erscheint ein Buch von Stewing. Die Duderstädter Grafikerin Christiane Mosler gestaltete den reich bebilderten Band, der im örtlichen Verlagshaus Mecke erscheint. mic
Frank-Joachim Stewing: „Dem Vergessen entrissen!“ Duderstadt, 2018, 67 S. 14,95 Euro.
Von Michael Caspar
GT/ET