Kunstquartier: „Ein magischer Punkt für Göttingen“
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Gespräch zum KuQua mit Verleger Gerhard Steidl und ottobock-Chef Hans-Georg Näder.
© Quelle: Foto: Pförtner
Göttingen. Was könnte beim Bau des KuQua noch zum Problem werden? Wie soll die Strahlkraft dieses “Leuchtturmprojektes” erzeugt werden? Gerhard Steidl und Hans Georg Näder erläutern im Tageblatt-Interview mit Christoph Oppermann und Nadine Eckermann ihre Vorstellung von der Realisation und der Anziehungskraft des Kunsthauses im Göttinger Kunstquartier.
Tageblatt: Erst einmal vielen Dank für die Chance zu diesem Gespräch. Es ist ja eine sehr ungewöhnliche Konstellation, in der wir hier sitzen. Wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Allianz?
Näder: Ungewöhnliche Allianzen gab es in der Region schon öfter. Die letzte große in Richtung Göttingen war eigentlich die Sternwarte, da war die Situation ähnlich. Bürgerschaftliches Engagement hat, damals getrieben von Sigrid Lüttge, die Renovierung dieser doch einmaligen Sternwarte angeschoben hatte. Ich handele seit Jahren, sowohl lokal wie regional und betrachte die Region Südniedersachsen auch in einem größeren Kontext: Sie liegt mitten in Deutschland, mitten in Europa, mit viel Genius Loci, viel regionaler DNA, mit Kunst, Kultur, Wirtschaft, Historie und Wissenschaft. Bin ich in Tokio oder irgendwo in Shanghai, kennen alle Göttingen. Je näher wir allerdings an Göttingen heranrücken, desto mehr löst sich das positive Bild wieder in Sternenstaub auf. Es wird zu oft gemäkelt, zu wenig gemacht. Dabei ist die Wahrnehmung von außen so einmalig.
Ähnlich ist das mit Herrn Steidl: Seit vielen Jahren bin ich, auch bevor wir uns überhaupt persönlich kannten, ein großer Steidl-Fan. Ich habe viele Kunst-Kataloge und Kunst-Bücher, die im Steidl-Verlag entstanden sind, und erlebe auch immer wieder auf den Reisen durch die ganze Welt, welch World-Champion der Buchdruck-Kunst und - ich nenne es mal Papierkunst - hier in Göttingen arbeitet, der allerdings gar nicht so richtig zum Tragen kommt. Aber auf der ganzen Welt bei den feinsten Publikationen eben eine ganz, ganz große Rolle spielt. Die Diskussion über das KuQua wird in meiner Wahrnehmung zu schmal geführt: Ohne überhaupt über Content, Ausstrahlung, Wirkung und Nachhaltigkeit nachzudenken, geht es in den politischen Kreisen vorwiegend um die Kosten. Deshalb habe ich gedacht: Wir machen wir das jetzt gängig, wie wir im Eichsfeld sagen, und habe mich dann spontan - unabgesprochen - entschieden, die Zusage zu machen, eine mögliche Finanzierungslücke bis zu einer Million Euro zu decken. Nicht zuletzt, damit auch die Bundesmittel nicht verloren gehen. Das wäre Frevel.
Die Idee des KuQua reiht sich ein in die Gedanken, die wir uns mit dem Gründer des PS-Speicher in Einbeck, Karl-Heinz Rehkopf, gemacht haben über eine Perlenkette, die in Berlin anfängt mit den einmaligen musealen Angeboten, aber auch mit großen deutschen Galerien wie Judy Lybke oder Galeristen wie Annette Kicken oder vielen anderen mehr. Und die man dann weiterziehen kann über Leipzig, über Weimar und über Erfurt nach Duderstadt, von Duderstadt nach Göttingen, dann nach Nörten-Hardenberg , von Nörten-Hardenberg über Einbeck, Hannover, Wolfsburg auch mit dem Kunstmuseum und dann wieder nach Berlin. Solche Dinge betrachte ich gern aus einer gewissen Flughöhe: Schaue ich aus einem Meter auf die Welt, dann sehe ich nur die Pfütze, wenn ich aber 50.000 Fuß hoch fliege, dann überblicke ich den größeren Kontext. Deshalb freue ich mich, persönlich die Möglichkeiten zu haben, dieses tolle Projekt zu unterstützen und einfach die Steidl’sche Leuchtkraft mit einer kleinen Batterie aus dem Eichsfeld final zum Leuchten zu bringen. Das Ganze ist eingebunden in weitere Projekte, die wir gerade verfolgen: Die Medienpartnerschaft mit dem Tageblatt zu 100 Jahren Ottobock, unser Buchprojekt „Futuring Human Mobility“ , das wir zum 100-jährigen Firmenjubiläum 2019 mit Herrn Steidl machen wollen, ein Buchprojekt über Kunstsammler, ihre Kunsthallen und Galeristen. Alles Dinge, die wir in den kommenden Monaten umsetzen wollen.
Steidl: Zwischen dem Näder'schen und meinem bescheidenen "Imperium" gibt es ja durchaus Ähnlichkeiten. Hans-Georg Näder lebt in einer Stadt, die man – und das ist ganz wertfrei gemeint – als Provinz bezeichnen kann, auch Göttingen ist Provinz. Er hat dort sein Arbeitsfeld, und von Duderstadt aus geht er in die Welt. Ich gehe von Göttingen aus in die Welt. Näder hat einen ganz entscheidenden Vorteil: Er besitzt eine hervorragende Kunsthalle. Ein guter Raum für erstklassige Ausstellungen. Sachverstand gepaart mit guter Haustechnik: Licht, Klimatisierung, Luftbefeuchtung ermöglichen es international Kunstwerke zu akquirieren. Und dazu kommen seine Kontakte zu Künstlern und Galerien. Das ist eine Parallele zu mir. Tag für Tag, Woche für Woche kommen Künstler aus aller Welt hierher in den Verlag. Das sind Kontakte, die sich aus meiner Arbeit ergeben und die aufzubauen man als Kurator oder Museumsdirektor normalerweise ein ganzes Leben braucht. Hier sind sie einfach vorhanden und man kann sie nutzen. Näder und ich denken auch ganz ähnlich, was Bürgerengagement angeht. Von dem, was wir haben, geben wir etwas an die Allgemeinheit zurück.
Eigentlich haben wir bereits 1970 angefangen, für dieses Kunsthaus zu arbeiten. Damals habe ich mit dem Kulturdezernenten Konrad Schilling ein Konzept entwickelt: Weil es auch da schon Vorbehalte gegen eine feste Einrichtung gab, haben wir den Göttinger Kunstmarkt gegründet. Dieser war für uns ein Experimentierfeld. Wir wollten zeigen, was es an zeitgenössischer Kunst gibt, wie man sie präsentiert und wie die Göttinger damit umgehen. Er wurde sehr gut angenommen, schlief aber nach einigen Jahren ein, weil die Möglichkeiten, wenn man kein festes Gebäude hat, begrenzt sind. Nun muss man die ganze Geschichte nicht wiederholen. In den letzten Jahren ist viel geschehen, das Kunstquartier mit dem Kunsthaus Göttingen steht vor der Realisierung. Weil das Konzept gut und weittragend ist, wurde es im Rahmen der Förderung im Deutschen Städtebau mit einem großen Zuschuss ausgestattet. Das Planungsprojekt Kunstquartier, in dem das Kunsthaus liegt, wurde von den Entscheidern hochgelobt. Die ausgezeichneten Projekte, hier zitiere ich: „zeichnen sich durch einen besonderen Qualitätsanspruch (“Premiumqualität“) hinsichtlich des städtebaulichen Ansatzes, der baukulturellen Aspekte und von Beteiligungsprozessen aus, verfolgen die baupolitischen Ziele des Bundes und weisen Innovationspotenzial auf.“ Die Stadt hat 4,5 Millionen Euro vom Bund bekommen. Dieser Betrag ist für das gesamte Kunstquartier einschließlich des Kunsthauses gedacht, und dass er jetzt nicht ausreicht, liegt nicht etwa daran, dass an dem Gebäude noch teure Veränderungen vorgenommen wurden (im Gegenteil, es wurde gespart), sondern schlicht an einer allgemeinen Steigerung der Baukosten. Damit muss die Deutsche Bahn leben, der Straßenbau, alle privaten und öffentlichen Gebäude, die Herstellkosten explodieren im Moment. Wir können nun aber auch nicht das ganze Projekt stilllegen und einfach die Baugrube stehen lassen. Das könnte man zwar, aber das würde auch in der Folge bedeuten, dass 1,5 bis 2 Millionen Euro, die jetzt schon verbaut sind, von der Stadt an den Bund zurückgezahlt werden müssen. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: die Mittel sind zweckgebunden.
Wie sind Hans-Georg Näder und ich jetzt beim Kunsthaus zusammengekommen? Wir kennen uns und interessieren uns für die Arbeit des anderen. Wir hatten auch bei der Ausstellung und dem Buch „Wounded“ von Bryan Adams miteinander zu tun. Näder hat genau im richtigen Moment und ohne Anfrage gewusst, was zu tun ist, um dem ganzen Projekt wieder flotte Fahrt zu geben. Das ist ein hochwillkommener Beitrag. Aber der Geldbetrag von bis zu einer Million Euro, der das Ganze jetzt wieder vereinfacht - und ich hoffe, dass die politischen Parteien in Göttingen das anerkennen - ist nur die eine Sache. Was mir viel wichtiger ist: Sein Herz schlägt für dieses Kunstquartier und dieses Kunsthaus. Wir können seine Kontakte nutzen für Ausstellungen, für Künstlerbegegnungen. Einen Austausch zwischen Duderstadt und Göttingen fände ich fantastisch. Das brächte das Ganze meilenweit voran. Ein Quantensprung.
Näder: Diese Melange funktioniert auf eine Art, wie sie mir persönlich am besten gefällt:. Keiner will vom anderen was. Wir machen einfach das, was wir so oft besprochen haben: Stattdessen stärken wir Stärken. Es sind Stärken in der Region vorhanden, die sich finden und die sich gegenseitig verstärken, ohne dass da einer den anderen dominiert. Jeder hat seine Projekte und seine Themen, die sich gegenseitig beflügeln. Bei mir gibt es eben die kleine Kunsthalle in Duderstadt, die beizeiten eine Erweiterung bekommt. Ich muss mein Kunstlager erweitern, weil so viel schöne Kunst auch zugänglich sein muss. Wir erleben in Duderstadt, dass Weltklasse-Kunst ohne Berührungsängste stattfindet. Dort haben wir tolle Ausstellungen gemacht und einfach die Öffentlichkeit eingeladen. Es kamen Menschen, die vorher mit großer Kunst nichts zu tun hatten, die aber diese Aura, dieses Erlebnis als wunderschön empfunden haben. Jetzt stehen die nächsten Schritte an. Ohne irgendwelche großen Meetings oder stundenlanges Palaver. Herr Steidl weiß wie kein anderer, wie er dieses Thema Buchdrucker-Kunst inszenieren kann. Dabei entstehen nicht nur Bücher, sondern Kunstwerke an sich. Diese Manufaktur ist so einmalig. Mir persönlich ist es eine Herzensangelegenheit, dass wir beiden Freaks, wenn ich das mal so sagen darf, uns gegenseitig ein wenig befeuern und damit auch die politische Riege hinter die Lokomotive bekommen. Es hat ja lange genug gedauert, bis wir uns am Flughafen kennengelernt haben und der Steidl sagt: "Sie sind doch Herr Näder", und der Näder sagt: "Sie sind doch Herr Steidl". Wir haben schon 50 Jahre voneinander gehört, uns aber noch nie getroffen, obwohl wir nur ein paar Kilometer auseinander sind.
Tageblatt: Ohne das Engagement, dass Sie beide zeigen, schmälern zu wollen: Wäre das Kunstquartier nicht ein Projekt gewesen, was normalerweise eine Kommune auch hätte selbst stemmen können? Beziehungsweise ist der Umkehrschluss: Wenn ich solche Projekte realisieren will oder überhaupt erdenken und dann umsetzen will, schafft das eine Kommune alleine oder ist dazu tatsächlich Input von außen, von ganz anderer Seite, die nichts mit öffentlicher Hand zu tun hat?
Näder: Also der Herr Steidl und ich sind ja viel in New York. Gehen wir dort in die großen Museen, dann sind das keine kommunalen Museen, sondern das sind alles Stiftungen. Dort betätigen sich die erfolgreichen Unternehmer als Philanthropen, gibt es die großen Familienstiftungen. Zur Art Basel in Miami muss ich gar nicht mehr, weil im Vorfeld die großen Stiftungen mit ihrem Budget alles Spannende abgeräumt haben. Dort bekomme ich vielleicht nur einen kleinen Mosaikstein. Diese großen Museen machen vor, wie es gehen kann. Auch in Berlin gibt es dafür gute Beispiele. Ich finde, dass sich die Sammler, die Engagierten, auch mit finanziellen Mitteln einsetzen sollten. Und das ist in einer Stadt wie Göttingen unterentwickelt. Ich weiß, wo hier in Göttingen die schönen Neo Rauchs hängen - zu Hause, und da bleiben sie auch hängen. Und manch einer, der in Göttingen die finanziellen Mittel hätte, sich auch in so einem Projekt zu engagieren, der hält sich - wie meine Mutter immer gesagt hat - vornehm zurück.
Steidl: Was wir hier in Göttingen momentan haben, ist so etwas wie der Elbphilharmonie-Effekt. Die ganze Stadt redet nur über die gestiegenen Baukosten eines Gebäudes oder über Betriebskosten, nicht über Inhalte. Unsere kleine Baustelle kann man natürlich nicht mit der Elbphilharmonie vergleichen. Wir bauen hier ein sehr bescheidenes Objekt. Aber man muss davon wegkommen, nur über die Kosten zu diskutieren. Dieses hier ist eine Zukunftsinvestition in Kultur, und die Baukosten spielen in dem Moment, in dem das Haus eröffnet ist, keine bedeutende Rolle mehr. Und was weitere Kosten angeht, so haben wir dankenswerterweise noch einen Partner an Bord, der bereit ist, sich sehr zu engagieren. Das ist Dr. Joachim Kreuzburg von Sartorius. Er hat bereits im September letzten Jahres zugesagt, freien Eintritt zu ermöglichen und ist hierzu auch in Kontakt mit der Stadt. Das heißt, jeder Besucher, der in das Haus geht, bekommt eine Eintrittskarte. Die ist in Wahrheit aber von Sartorius bezahlt. Wir möchten gern, dass die Menschen die Gelegenheit haben, das Kunsthaus kennenzulernen. Viele Leute, die einfach nur durch die Stadt schlendern und reinschauen wollen, werden diese Möglichkeit wahrnehmen. Sartorius möchte sich darüber hinaus an der Museumspädagogik und -didaktik beteiligen. Seminarprogramme werden dadurch ermöglicht, dass Referentengelder, Reisekosten und so weiter von Sartorius getragen werden. Das ist ein ganz wichtiger Block.
Und jetzt kommen wir zu Ihrer Frage, ob sich diese Stadt so ein Haus überhaupt leisten kann. Die Finanzierung des Gebäudes ist durch den Bund und Hans-Georg Näder gesichert. Betriebsmittel steuert wie erwähnt Sartorius bei, und es gibt weitere Gespräche mit möglichen Unterstützern. Das Einzige, was schwieriger zu handhaben ist, ist das Direktorium eines solchen Hauses, und die Kuratoren. Nehmen wir mal das Beispiel New York. In den USA werden in öffentlichen Museen diese Posten von Mäzenen oder Stiftungen finanziert. Weil Geld keine große Rolle spielt, kann man sich die besten Leute leisten. Deshalb gibt es in New York diese geballte Ansammlung von Kultur. Das werden wir hier natürlich nicht hinbekommen. Aber man müsste es vielleicht ähnlich angehen wie die Stadt Goslar es mit der Vergabe des Kaiserringes gemacht hat. Goslar ist eine Kleinstadt und nicht gerade berühmt für zeitgenössische Kunst. Man hat angefangen, an die besten Künstler dieser Welt wie Joseph Beuys, Richard Serra oder Gerhard Richter, den Kaiserring zu verleihen. Ein wirklich erstklassiger Preis, der damit ausgelobt wurde. Und es gab einen Domino-Effekt, denn in der Folge hat natürlich niemand den Kaiserring abgelehnt. Die bekanntesten Künstler sind nach Goslar gereist und haben ihn in Empfang genommen. Eine solche kuratorische Anschubleistung schwebt uns auch für Göttingen vor. Ist das Kunsthaus erst etabliert, wird es eine Pflicht sein, in Göttingen Halt zu machen, weil die Ausstellungen so gut sind. Wir wollen hochkarätige, internationale Kunst präsentieren. Der Fokus liegt auf dem Wort international und global. Das heißt aber nicht, dass nicht auch heimische Angebote berücksichtigt werden. Die Ideen des Kunstvereins Göttingen sind hervorragend, die machen erstklassige Ausstellungen. In den Sammlungen der Universität oder der einzelnen Institute sind verborgene Schätze zu heben. Zum Beispiel im Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Wie viele in dieser Stadt wissen, dass dieses Institut die Marssonden-Mission ausgestattet hat? Die Kameras wurden hier entwickelt, die Objektive, die Software. Alle Fotos vom Mars sind hier auf den Rechnern des Max-Planck-Instituts gelandet. Das ist eine unglaubliche Sammlung an erstklassigen Fotos, die man im Kunsthaus Göttingen natürlich ausstellen kann. Das ist hochkarätig, das ist international, das ist eine globale Leistung, weil Amerikaner und Deutsche zusammengearbeitet haben und weil ein kultureller Schatz entstanden ist, den man auch in 100 Jahren noch begutachtet wird. Und es ist im Grunde ein Kunstwerk, das in Göttingen entstanden ist. Ein anderes Beispiel ist der amerikanische Fotograf Edward Curtis, der durch seine Fotos nordamerikanischer Indianer bekannt geworden ist, Porträt-Studien, aber auch Landschaftsaufnahmen. Die Universität hat das weltweit größte Archiv von Curtis-Fotografien. Hat jemand in Göttingen schon mal eine Ausstellung mit Curtis-Fotografien gesehen? Nein! In amerikanischen Großstädten gibt es alle paar Jahre Ausstellungen mit einem im Grunde kleinen Bestand von Curtis-Fotos. Wir haben eine viel größere Sammlung in unserer Stadt, aber sie wird nicht gezeigt, weil es keine geeignete Ausstellungsfläche gibt.
Diese als Beispiel genannten Ausstellungen sind nicht besonders kostspielig zu produzieren und für meine Arbeit als Gründungsdirektor verlange ich nichts. Klar ist aber auch, dass ich den Stab in absehbarer Zeit an einen zu benennenden Direktor weitergebe, und diese Person muss natürlich ein Gehalt bekommen. Aber bis dahin, da bin ich mir sicher, wird die Stadt mit dem laufenden Ausstellungsbetrieb, den sonstigen Einnahmen und Sponsorengeldern das entsprechende Budget zur Verfügung haben.
Näder: Ich habe vorhin auf dem Weg hierhin zum Steidl Verlag nochmal über die Sartorius-Idee nachgedacht, für einen gewissen Zeitraum die Eintrittsgelder zu stiften. Davor hatte ich ein Gespräch mit Rüdiger Krumes, dem Geschäftsführer von Sycor. Wir haben darüber gesprochen, dass die Sycor vor ungefähr 20 Jahren als erstes Start-Up aus der Ottobock Gruppe ausgegründet wurde. Und wir haben festgestellt, dass wir nächstes Jahr wahrscheinlich die Umsatzmarke von 100 Millionen Euro überschreiten und mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigen werden. Daher denke ich, kann ich mal als Sycor-Eigentümer auch etwas zu den Betriebskosten beitragen. Sartorius übernimmt die Eintrittsgelder, Sycor hilft an anderer Stelle, zum Beispiel bei der Technik.
Steidl: Danke, tausend Dank für Ihr Angebot. Wissen Sie, das geht jetzt in eine sehr schöne Richtung. Gehen wir aber noch mal einen Schritt weiter. Ich bin mir ganz sicher, wenn dieses Gebäude fertig ist und die Ausstellungen hängen, und es dazu einen aufwändigen Seminar- und Bildungsbetrieb gibt, dann wird das Kunsthaus auch ein Anziehungspunkt für Veranstaltungen sein. Man kann ein gesetztes Dinner inmitten der Kunst veranstalten, eine Party feiern, einen Empfang machen. Es wird ein sehr aufregendes Ambiente sein, ein magischer Punkt für Göttingen. Hier in Göttingen und auch in Duderstadt arbeiten mittlerweile Hunderte, Tausende von Menschen, die hungrig sind nach Kultur. Es gibt viele kulturelle Angebote, aber nur sehr wenige im Bereich der visuellen Künste. Wir konkurrieren mit Kassel, Hannover oder Wolfsburg und werden durch die Aktivitäten der Universität und durch das Kunsthaus in Zukunft an Attraktivität gewinnen. Wir haben ja auch den Vorteil einer sehr guten Infrastruktur: ICE-Bahnhof mit vielen Stopps, erstklassige Autobahnanbindung, viele Hotelneubauten. Das wird ganz sicher dazu führen, dass Menschen, die sonst in andere Städte reisen, und allenfalls in Göttingen übernachten, in der Stadt bleiben - und damit auch Geld hier lassen.
Tageblatt: Sie haben vorhin angesprochen, dass Sie den inhaltlichen Anschub nicht ewig machen wollen. Haben Sie dafür den Zeitplan und gibt es schon konkrete Vorstellungen, in welchem organisatorischen Rahmen das Ganze hinterher gefasst sein soll?
Steidl: Also, auf ewig will ich das nicht machen, weil es auch einen Generationswechsel geben muss. Es müssen neue Ideen kommen. Und schon gar nicht möchte ich den Eindruck erwecken, dass ich mit meiner Steidl-Kultur dem Kunsthaus Göttingen irgendeinen Stempel aufdrücken möchte. Und so haben wir es ja auch von vornherein so angelegt, was vielleicht nicht allen ganz bewusst ist. Es gibt einen Gründungsdirektor, das bin ich, diese Aufgabe habe ich als Ehrenamt übernommen, weil ich zig Museen in der Welt kenne, dort Ausstellungen kuratiere und etwas vom Ausstellungsbetrieb verstehe. Dann haben wir Ute Eskildsen gewinnen können. Sie war über 30 Jahre Leiterin der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang in Essen und hat außerdem den gesamten Chipperfield-Neubau dort begleitet. Ihr Wissen hat dazu beigetragen, dass das Museum so erfolgreich und so schön ist. Sie hat ein blendendes Gespür, wie man ein solches Haus herrichten muss, damit es attraktiv ist, und auch dafür, wie man es bespielen muss. Sie wird ihr Wissen als Kuratorin einbringen. Außerdem habe ich einen jungen Mann angesprochen, den ich in New York kennengelernt habe. Es ist Joshua Chuang. Er war Chefkurator der Yale University Art Gallery und ist heute der Direktor der Fotografischen Sammlung der New York Public Library. Über ihn haben wir Zugang zu echten Schätzen. Was in der Library lagert, ist unglaublich. Wir werden also zu dritt ein Programm machen, und andere sind eingeladen, daran teilzunehmen. Die Ideen von Näder finde ich brillant, darauf wird man zu einem späteren Zeitpunkt noch zu sprechen kommen. Und dann natürlich auch noch das Engagement des Kunstvereins, des Literaturherbstes, des Literarischen Zentrums, alles das wird ja einfließen. Wir werden schon ein Feuerwerk entfachen.
Näder: Auch mit Blick auf die Architektur. An der ein oder anderen Stelle würde Göttingen ein guter Architekt gut tun.
Steidl: Wenn ich abends mit meiner Teekanne nach Hause schleiche, sprechen mich in der Düsteren Straße seit vier, fünf Monaten jeden Abend Leute an und sagen "Hoffentlich kriegen Sie das durch, dass das Haus gebaut wird und nicht eine Baugrube bleibt. Dann haben wir endlich mal ein modernes Haus in der Göttinger Innenstadt." Denn es gibt wenig moderne, zeitgenössische, gute Architektur in unserer Stadt. Was schade ist. Und was man auch nicht ganz aus den Augen verlieren darf: Nebenan ist noch eine Baustelle. Dieses kleine begrünte Minigrundstück. Dort hat Nina Holland aus Los Angeles, die inzwischen in Göttingen lebt und arbeitet, den Schweizer Architekten Peter Zumthor für den Entwurf eines Hauses gewinnen können. Es wird einen Verlag und eine Druckerei beheimaten mit dem Namen "Little Steidl" – dort werden Künstlerbücher für Kinder verlegt und gedruckt. Wir haben dann mit dem Kunsthaus Göttingen und dem Zumthor-Haus zwei architektonische Glanzstücke in der Düsteren Straße.
Tageblatt: Die Deckungslücke, was den reinen Baubetrieb angeht, scheint im Moment geschlossen zu sein, die Anschubfinanzierung, was Eintrittsgeld anlangt, und die Betriebskostendeckung sind um mindestens ein Aspekt erweitert worden. Haben Sie denn beide, jeder für sich, eine Mutmaßung, ob es noch irgendeinen Stolperstein bei der Realisierung des Projektes geben kann?
Steidl: Wenn der Rohbau vergeben ist, ist der größte Stolperstein beseitigt. Den kompliziertesten Teil des Neubaus haben wir hinter uns, die Baugrube ist ausgehoben. Auf der einen Seite steht eines der ältesten Häuser Deutschlands, aus dem Jahr 1310, das Grass-Archiv, das mit einem Millionen-Aufwand von uns hergerichtet wurde. Und auf der anderen Seite steht ein ebensolches Baudenkmal. Etwas jünger, aber es ist ein unglaublich schönes Gebäude, das Haus Düstere Straße 8. Diese beiden Juwelen durften natürlich nicht in eine Baugrube fallen. Es wurde dort ungefähr zwölf Meter in die Erde gegraben, und es durfte nicht abrutschen. Diese Baugrube ist aufwendig gesichert worden. Das Haus Nummer 8 wird von der Stadt Göttingen in liebevoller Weise und in Kleinarbeit hergerichtet, so dass es als Baudenkmal die Stadt genauso schmücken wird wie das Grass-Archiv. Das ist nun alles geschafft, und jetzt geht es wirklich nur noch darum, die Wände hochzuziehen. Und sowie der Auftrag vergeben ist, ist das wohl eine Sache von einem Jahr. Wir haben jetzt Sommer 2018, dann wird das Haus Herbst 2019 ein Dach haben. Die Technik wird drin sein, dann werden Feinarbeiten gemacht. Der Plan ist, Anfang 2020 die erste Ausstellung dort zu haben. Und auch an der Ausstellungsplanung verändert sich nichts.
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Von Christoph Oppermann und Nadine Eckermann
GT/ET