Weender SPD-Chef Reinert tritt zurück
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Wohnanlage Zimmermannstraße 58-64: Arbeiten an den Häusern empören die Mieter. Weil die Badezimmer nicht benutzbar sind, müssen die Bewohner auf die Container ausweichen.
© Quelle: Bänsch
Weende/Göttingen. Die seit mehreren Wochen schwelenden Mietstreitigkeiten zwischen dem Vermieter Klaus Schneider und den Bewohnern der Häuser Zimmermannstraße 58 bis 64 spitzen sich zu. Inzwischen beschäftigt der Streit um Sanierungen und Instandhaltungen mehrere Anwälte, die Stadtverwaltung und die Ratspolitik. In Weende ist deswegen der SPD-Ortsvereinsvorsitzender Horst Reinert zurückgetreten.
„So einem Widerstand habe ich gar nicht erwartet“, sagt Schneider gegenüber dem Tageblatt. „Ich tue doch keinem etwas Böses. Ich will Schaden von den Gebäuden und Mietern abwenden.“ In einer zweiseitigen Erklärung hat sich Schneider am Montag an die Öffentlichkeit gewandt und Fakten zu den Sanierungen genannt.
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„Mit einem Aushang Anfang Januar dieses Jahres habe ich allen Mietern, die in der Folge an uns häufig gerichteten Fragen beantwortet. Hier habe ich insbesondere erklärt, dass keine Mieterhöhung aufgrund der Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten erfolgen wird.“ Klaus Schneider, Hausbesitzer
© Quelle: Christina Hinzmann
Schneider will alle wasserführenden Leitungen in den acht Häusern in der Zimmermannstraße mit ihren 95 Wohnungen schrittweise sanieren und die Bäder instand setzen. Grund sei der schlechte Zustand der Leitungen. In den vergangenen zwei Jahren habe es rund 20 Wasserschäden gegeben, zwei erst in diesem Jahr. Seine Investitionen in die Häuser beziffert er auf 500 000 Euro für diese Sanierungen.
„Nach 14 Tagen wieder nutzbar“
Über die Bauarbeiten hat Schneider die Mieter am 18. Dezember informiert. Einen Tag später die Mieter des Hauses Nummer 62 darüber, dass die Arbeiten in ihrem Haus am 15. Januar beginnen. Pro Arbeitsabschnitt an einem Leitungsstrang seien, so Schneider, jeweils immer nur vier bis sechs Mieter betroffen. Nur die Mieter, die akut von den Bauarbeiten betroffen sind, hätten einen Schlüssel zu den beiden aufgestellten Sanitärcontainern vor den Häusern. Jeder Container hat vier Toiletten und zwei Duschen. Dreimal wöchentlich würden diese gereinigt. Unterlagen über die Ausstattung der Container mit Heizungen und einen entsprechenden Reinigungsvertrag hat Schneider am Dienstagabend gegenüber dem Tageblatt dokumentiert.
„Keine Mieterhöhungen“
Nach Schneiders Darstellung ist die Nutzung der Küchen für zwei Tage, die der Bäder für maximal zehn Tage eingeschränkt. „Nach 14 Tagen sind die Wohnungen wieder uneingeschränkt nutzbar“, so Schneider. „Die Beeinträchtigung wäre deutlich höher, wenn ein Wasserrohrbruch eintritt“, sagt Schneider. „Mindestens vier bis sechs Wochen“, argumentiert er.
Schneider sichert zu, dass es wegen der Sanierungs- und Instandshaltungsarbeiten keine Mieterhöhungen geben wird. Er legt Wert darauf, dass die Gebäude sich in seinem Privatbesitz befinden und nicht seiner Firma Cubus GmbH gehören. Die Verwaltung habe die „Klaus Schneider Hausverwaltung“ übernommen. Er habe die Immobilien 2013 von einem Immobilienfonds gekauft. „Meine Absicht ist es, diese Immobile langfristig und in gepflegtem Zustand in meinem Besitz zu halten.“
Massive Beschwerden
Dieser Stellungnahme vorausgegangen waren teils massive Beschwerden der Mieter. So seien aus ihrer Sicht zu wenig Ersatz-Sanitäreinrichtungen vorgehalten, wenn bis zu acht Wohneinheiten gleichzeitig saniert werden. Auch sei bei der derzeitigen Witterung mit Schnee, Regen, Sturm und Minusgraden der Weg von den Häusern zu den Sanitärcontainern und die Benutzung unzumutbar. Angemerkt wurde weiter die mangelnde Sicherheit bei nächtlicher Benutzung vor allem für Frauen. Als unzumutbar halten die Mieter die Benutzung der Container für Familien mit kleinen Kindern.
"Zwei Tage ohne Wasser ist blöd", räumt Schneider ein. In Paragraf 555a des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es: "Der Mieter hat Maßnahmen zu dulden, die zur Instandhaltung oder Instandsetzung der Mietsache erforderlich sind (Erhaltungsmaßnahmen)." Dazu gebe es genügend Urteile, sagt Schneider. Cornelius Blessin vom Mieterverein Göttingen hält die Containerlösung in dem vorliegenden Fall für zulässig.
Fristlose Kündigung für „Rädelsführer“
Weiter behaupten die Mieter, dass die Wasserqualität nicht geprüft werde und die Container teilweise auf Rettungszufahrten stehen. Weiterer Kritikpunkt ist die Informationspolitik seitens des Vermieters Schneider etwa über den genauen Zeitpunkt der Sanierung und über die Reinigung der Sanitärcontainer.
Inzwischen hat Schneider gegen drei von ihm als „Rädelsführer“ bezeichneten Mietern nach vorheriger Abmahnung eine fristlose Kündigung ausgesprochen - wegen Störung des Hausfriedens durch „Rufmord“ und die Verbreitung „falscher Tatsachen“. Schneider berichtet von einer schlechten Bewertung der Firma Cubus auf Facebook und Google. Anonyme Briefe mit Drohungen hätten ihn erreicht.
Recht auf Meinungsfreiheit
Alle drei gekündigten Mieter lassen sich von Anwälten vertreten. Er habe der Kündigung widersprochen, sagt der von einer Mietpartei eingeschaltete Anwalt Reiner Fuellmich. Seine Mandantin habe am 31. Januar die Kündigung erhalten, mit der Aufforderung, die Wohnung zum 2. Februar zu räumen. Zu einer Störung des Hausfriedens gehöre „ein bisschen mehr“, als sich zu solidarisieren. Fuellmich beruft sich auf das Recht seiner Mandantin auf Meinungsfreiheit.
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Zurückgetreten: Horst Reinert, Vorsitzender des SPD-Ortsverbandes Göttingen-Weende
© Quelle: Peter Heller
Diese hatte, wie sie gegenüber dem Tageblatt angibt, den Vorsitzenden des SPD-Ortsverbandes Horst Reinert informiert und um Unterstützung gebeten zu haben, auch weil sie selbst SPD-Mitglied ist. Auch Weendes SPD-Ortsbürgermeister Hans-Albert Ludolph sei von einem Mieter per E-Mail informiert worden. Ludolph habe versucht, zwischen Mietern und Vermietern zu vermitteln. Seine Auffassung: Schneider ist rechtlich auf der „sicheren“ Seite. Die Atmosphäre sei aber schon vergiftet gewesen, als er eingeschaltet wurde. Bei einer Diskussion im Ortsverband sei er, so Ludolph, nicht anwesend gewesen.
Inzwischen hat sich auch die Linke im Rat der Stadt Göttingen des Themas angenommen. Doch eine für die Bauausschusssitzung am Donnerstag geplante Anfrage zu dem Thema will Gerd Nier, Fraktionsvorsitzender der Linken, zurückziehen. Ihm ist am Dienstag eine Unterlassungserklärung zugestellt worden. Seine Anfrage enthalte „unwahre Tatsachenbehauptungen“. Er kündigte an, trotz der zurückgezogenen Anfrage, die Entwicklung in der Zimmermannstraße zu beobachten.
SPD Weende gerät ins Trudeln
Die Rechtsanwältin Sylvia Binkenstein hat Nier die Verfügung nach seinen Angaben persönlich zugestellt. Die SPD-Ratsfrau und Ratsvorsitzende Binkenstein vertritt die „Klaus Schneider Hausverwaltung“ schon seit Längerem juristisch.
Unterdessen gerät die Weender SPD im Zusammenhang mit dem Streit zwischen Mietern und Vermieter an der Zimmermannstraße ins Trudeln: Ihr langjähriger Ortsvereinsvorsitzender Horst Reinert und einer seiner beiden Stellvertreter, Kris Runge, haben am Montagabend ihre Ämter niedergelegt und sind aus dem Vorstand ausgeschieden.
Reinerts Rücktrittsankündigung auf Facebook
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Zimmermannstraße
© Quelle: FACEBOOK
Vorausgegangen war nach Reinerts Darstellung die Bitte einer der betroffenen Mieterinnen und SPD-Genossin an ihn als Vorsitzenden um Unterstützung durch die Partei. Darauf habe der Vorstand im kleinen Kreis per Mail darüber diskutieren wollen, ob und wie sich die Weender SPD in den Streit einmischen sollte. Diese Mails sind unmittelbar darauf auf bisher unbekanntem Weg an den kritisierten Vermieter weitergeleitet worden.
„Maulwurf“ im Vorstand
Reinert und Runge vermuten den „Maulwurf“ in der eigenen Vorstandsreihe. Beide sehen darin einen massiven Vertrauensbruch und Verrat. „Das ist sehr unschön und geht gar nicht“, sagte Reinert. Bewohner des Mietobjektes und SPD-Mitglieder fühlten sich verraten. Diese „Indiskretion“ habe inzwischen einzelnen Personen unter den Mietern massiv geschadet, auch dem Ansehen der Partei und dem Ortsvereinsvorstand.
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Kris Runge
© Quelle: r
Reinert weiter: „Ich weiß nicht, wo die undichte Stelle ist und wem ich im Vorstand noch über den Weg trauen kann. Auf jeden Fall sehe ich damit keine Vertrauensbasis mehr für eine weitere Zusammenarbeit.“
Ähnlich argumentiert Runge. Er sei „maßlos enttäuscht über das Verhalten eines unbekannten Genossen“. Zugleich wolle er jetzt seine Solidarität mit Reinert zeigen.
Runges Rücktrittsankündigung auf Facebook
„Gezielte Indiskretion“
Der ausgeschiedene Vorsitzende geht - auch in den Sozialen Medien - von einer „gezielten Indiskretion aus den Reihen des Vorstandes“ aus, ohne weitere Details dazu zu nennen. Runge will „nicht darüber spekulieren, ob dahinter ein persönliches Interesse oder der Versuch steht, dem Vorsitzenden gezielt zu schaden“. Beide aber haben nach eigenen Angaben vor ihrem Rücktritt mehrfach an das namentlich nicht bekannte Vorstandsmitglied appelliert, „sich zu outen und Verantwortung zu übernehmen“. Das sei bisher nicht passiert - darum ihr Rücktritt.
Zu den Mitgliedern des Vorstandes und dem Verteilerkreis der E-Mails gehören außer Reinert und Runge der zweite stellvertretende Vorsitzende Edgar Kulp, der Finanzbeauftragte Hans-Albert Ludolph, die Beisitzer Helmut Maier und David Hunt sowie der kooptierte Mitgtliederbeauftragte Florian Bunes.
„Miethaie“ und „Mediation“
In diesem E-Mail-Verkehr und in weiteren Gesprächen sei konkret diskutiert worden, wie sich Vorstand und Partei im Mieter-Vermieter-Streit positionieren wollen. Ergebnis: „Wir wollten als neutrale Instanz in einer Art Mediation vermitteln und Mieter und Vermieter an einen Tisch holen“, erklärte Runge. „Das sollte sachlich und neutral diskutiert werden, bevor es eskaliert“, ergänzte Reinert.
In einem Mailausschnitt, der dem Tageblatt vorliegt, schlägt Bunes allerdings auch vor, das Vermieterverhalten in Sozialen Medien reißerisch zu skandalisieren und mit Geld aus dem Budget des Ortsvereins zu bewerben. Eine seiner Überschriften-Ideen: „Miethaie mobben Weender aus ihren Wohnungen“. Diese E-Mail, so Vermieter Schneider, sei ihm zugespielt worden. Allerdings nicht aus dem ursprünglichen Verteilerkreis aus dem Ortsvereinsvorstand, sondern von einem „normalen Mitglied“.
„Aufforderung zum Rufmord“
„Das war natürlich nicht ernst gemeint“, kommentierte Reinert diese Vorschläge des Vorstandsmitgliedes Bunes. Im Mittelpunkt der Diskussionen habe ein sachliches und vermittelndes Vorgehen gestanden.
Reinert und Bunes habe er, so Schneider, eine strafbewährte Unterlassungserklärung und eine einstweilige Verfügung zustellen lassen. „Wegen Aufforderung zum Rufmord“, sagte Schneider.
Die SPD in Weende muss jetzt einen neuen Vorstand wählen. Wann das unter Einhaltung vorgegebener Ladungsfristen an die Mitglieder sein wird, ist offen.
Kommenden Dienstag wird während einer bereits terminierten Versammlung zunächst ein Ersatzmitglied für den kürzlich ausgeschiedenen Finn Saxen gewählt - und über die GroKo-Verhandlungen diskutiert.
In einer früheren Version des Artikels stand: „In den vergangenen 20 Jahren habe es rund 20 Wasserschäden gegeben, zwei erst in diesem Jahr.“ Der Satz ist in „In den vergangenen zwei Jahren habe es rund 20 Wasserschäden gegeben, zwei erst in diesem Jahr.“ korrigiert worden.
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Michael Brakemeier
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Von Ulrich Schubert und Michael Brakemeier