Wer gehört in die Notaufnahme – und wer nicht?
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Zentrale Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Weende
© Quelle: r / Rampfel
Göttingen / Landkreis. „Auch die Interdisziplinäre Notaufnahme (INA) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist spürbar von dieser Entwicklung betroffen“, sagt die Leiterin der INA, Prof. Dr. Sabine Blaschke. Aber wer „gehört“ denn eigentlich in die Notaufnahme einer Klinik oder eines Krankenhauses – und wer nicht?
Nur für lebensbedrohliche Notfälle gedacht
„In die Notaufnahme einer Klinik und hier einer Uniklinik gehören lebensbedrohliche Notfälle“, betont Blaschke. Ein solcher Notfall liege zum Beispiel bei einem akuten Herzinfarkt oder bei einem akuten Schlaganfall vor. Auch ein sogenanntes Polytrauma nach einem Verkehrsunfall zähle dazu. Von einem Polytrauma spricht man bei mehreren gleichzeitig erlittenen Verletzungen verschiedener Körperregionen, wenn zumindest eine dieser Verletzungen lebensbedrohlich ist. Dr. Marc Wieckenberg, Leitender Arzt der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im Evangelischen Krankenhaus Göttingen-Weende, ergänzt: „Der Patient selber ist oftmals nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine Krankenhausbehandlung notwendig ist beziehungsweise ob ein ,echter’ Notfall vorliegt.“ Es gebe aber oftmals ein starkes Bedürfnis bei den Patienten, bestimmte Erkrankungen und Beschwerden unter Einsatz aller vorhandenen diagnostischen Möglichkeiten im Krankenhaus unmittelbar ambulant abklären zu lassen. „Dies ist nicht die primäre Aufgabe von den Notaufnahmen der Krankenhäuser“, stellt Wieckenberg klar.
Schnell an einen Facharzttermin kommen?
Das sehen die Verantwortlichen im Krankenhaus St. Martini in Duderstadt ähnlich. Christine Kunkis, stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation und Pressesprecherin des Vinzenz-Verbundes Hildesheim, zu dem das Krankenhaus gehört, erklärt: "In die Notaufnahme gehören Patienten, die akut erkrankt sind und durch den Rettungsdienst erstversorgt wurden, beziehungsweise Patienten, die akut erkrankt sind und durch den kassenärztlichen Dienst in das Krankenhaus notfallmäßig geschickt wurden." Auch Patienten, die bei Auftreten einer akuten Erkrankung weder den Hausarzt noch einen niedergelassenen Facharzt oder den kassenärztlichen Notfalldienst erreichen können, könnten laut Kunkis die Notaufnahmen nutzen. "Nicht in eine Notaufnahme gehören zum Beispiel Patienten, die über die Krankenhausnotaufnahme möglichst schnell einen Facharzttermin bekommen möchten", beschreibt sie eines der präsenten Probleme.
Durch ebensolche „Nicht-Notfälle“ entstehen mitunter beachtliche Wartezeiten in den Notaufnahmen. In der INA der UMG betragen sie laut Prof. Blaschke durchschnittlich 30 Minuten bis eine Stunde. „Das ist natürlich abhängig von der Behandlungsdringlichkeit des einzelnen Notfalls“, führt sie aus. Die Ersteinschätzung erfolge mit Hilfe eines international validierten „Triage“-Systems, also einer professionell geschulten Einstufung der Vorfälle – mit eindeutiger Festlegung der maximalen Wartezeiten.
Verweildauern von mehreren Stunden möglich
In der ZNA des Weender Krankenhauses beträgt die durchschnittliche Wartezeit bis zum Erstkontakt etwa 60 bis 70 Minuten; auch hier sei sie abhängig von der Schwere der Verletzung oder Erkrankung, wie Dr. Wieckenberg erklärt: „Die Verweildauer in der Notaufnahme kann allerdings deutlich länger sein, so dass hier Zeiten von vier Stunden und mehr für bestimmte Patientengruppen keine Seltenheit sind. Am Wochenende und an Feiertagen können die Wartezeiten abhängig vom Patientenaufkommen auch deutlich länger sein.“ Wartezeiten von „mehreren Stunden“ nennt auch Kunkis für das Duderstädter Krankenhaus – sofern eine nicht als dringlich eingeschätzte Behandlungsnotwendigkeit festgestellt wurde. Auch in St. Martini werde jeder Patient bei der Ankunft bezüglich der Dringlichlichkeit der Behandlung eingeschätzt.
Zeitliche Spitzen stehen in Zusammenhang mit Öffnungszeiten der Arztpraxen
Das Aufkommen von Patienten in Notaufnahmen ist bundesweit nahezu identisch verteilt, weiß Dr. Wieckenberg zu berichten: „Es findet sich ein erhöhtes Patientenaufkommen ab 10 Uhr und dann wieder ab 18 Uhr.“ In der ZNA in Weende würden sich zwischen 7.30 Uhr und 12 Uhr die meisten Patienten anmelden; ein vermehrtes Aufkommen gebe es auch um 14 Uhr und um 17.30 Uhr. „Es gibt hier einen Zusammenhang mit den gängigen Öffnungszeiten der Arztpraxen“, hat Wieckenberg beobachtet. An den Wochenende würden die meisten Anmeldungen ebenfalls ab 10 Uhr erfolgen. An der INA der UMG liegen die zeitlichen Spitzen laut Prof. Blaschke montags bis freitags von 14 bis 21 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen zwischen 11 und 20 Uhr.
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Notaufnahme der Universitätsmedizin Göttingen (Archivbild).
© Quelle: Christina Hinzmann
Was ist im Notfall zu tun?
Was ist bei einem – und sei es nur „gefühlten“ – Notfall zu tun? Direkt in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses fahren? Die „112“ anrufen? Oder doch besser die Bereitschaftsnummer „116117“ der Kassenärztlichen Vereinigung wählen? Dr. Marc Wieckenberg, Leitender Arzt der Zentralen Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Göttingen-Weende, beschreibt die richtige Vorgehensweise: „Bei schweren und bedrohlichen Notfällen sollte man telefonisch die Notrufnummer 112 wählen. Hier wird durch besonders geschultes Personal über ein geeignetes Transportmittel für die Fahrt in das nächstgelegene Krankenhaus entschieden. In besonderen Fällen wird gleichzeitig ein Notarzt zum Einsatzort entsandt, der die Erstversorgung sicherstellt. Während der Praxisöffnungszeiten ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner für die Sicherstellung der Notfallversorgung. Darüber hinaus gibt es außerhalb der gängigen Praxisöffnungszeiten die Möglichkeit, sich in der Sprechstunde des kassenärztlichen Notdienstes direkt vorzustellen. Alle anderen sogenannten ,gefühlten’ Notfälle sollten sich durch die Bereitschaftsnummer 116 117 beraten lassen, um zu entscheiden, ob eine Krankenhausbehandlung notwendig beziehungsweise welcher Zeitpunkt und Ort für die notwendige medizinischen Versorgung angezeigt ist.“ Hinter der „116 117“ verbirgt sich der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. Patienten, die außerhalb der Sprechzeiten dringend ambulante ärztliche Hilfe benötigen, erreichen seit April 2012 unter der bundesweit einheitlichen Nummer automatisch einen Bereitschaftsdienst in ihrer Nähe. Und das funktioniert so: Wer die „116 117“ wählt, landet je nach regionaler Organisationsform entweder direkt bei einem diensthabenden Arzt oder in einer Bereitschaftsdienst-Leitstelle. Ist eine automatische Weiterleitung technisch nicht möglich, übernimmt ein Service-Center die Vermittlung. Der ärztliche Bereitschaftsdienst wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten organisiert. Er soll bei Erkrankungen helfen, mit denen der Patient normalerweise einen Arzt in einer Praxis aufsuchen würde, bei denen die Behandlung aber nicht bis zum nächsten Tag warten kann. Mögliche Fälle für den Bereitschaftsdienst können zum Beispiel hohes Fieber, anhaltender Brechdurchfall bei mangelnder Flüssigkeitsaufnahme, akute Harnwegsinfekte, akute Bauch- oder Rückenschmerzen sein – aber auch kleinere Schnittverletzungen, bei den einen Pflaster nicht mehr ausreicht. Wer unsicher ist, kann im Zweifelsfall ruhig die „116 117“ wählen, ohne Regressforderungen fürchten zu müssen. Das gilt derzeit auch noch für die Notruf-Nummer „112“. Prof. Dr. Sabine Blaschke, Ärztliche Leiterin der Interdisziplinären Notaufnahme der UMG, bestätigt, dass Patienten nicht damit rechnen müssen, die Anfahrt eines Rettungswagens oder eines Notarztes bezahlen zu müssen, wenn sich herausstellt, dass es sich trotz des Notrufs nicht um einen akuten Notfall gehandelt hat: „Aktuell werden diese Fahrten noch bezahlt“, so Blaschke. Derzeit werde allerdings auf Bundesebene eine Änderung dieses Vorgehens diskutiert. Weitere Infos zum Bereitschaftsdienst gibt es auch online auf 116117.de.
Von Markus Riese
GT/ET