Auf Kufen durch die Hölle: Netflix’ „Operation Schwarze Krabbe“
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Lebensgefährliche Mission: Das Team der „Operation Schwarze Krabbe“ skatet los. Szene aus dem Film von Adam Berg.
© Quelle: netflix
Die ersten Bilder des Films sind verwirrend und sollen auch verwirren. Eine Frau mit ihrer Tochter in einem Auto in einem Tunnel. Schüsse. Zugwaggons voller Menschen. Hungrige. Heimatlose. Stacheldraht. Ein Winterland. Ein Wundenland. Die Frau wird aus dem Zug herausbefohlen. Flüchtlinge ziehen dahin, der „Süden“ wird vage als Richtung angegeben, wohin man sich noch retten kann. Rauchsäulen steigen aus Hochhäusern auf. Es sind Bilder, die uns derzeit aus den Nachrichten vertraut sind und beklommen machen. Die Bilder einer aufgelösten Ordnung, eines in Chaos und Zerstörung gestürzten Landes, eines vom Glück verlassenen Volkes, das beschossen und bombardiert wird.
Die Lage ist ernst in diesem Krieg, die Niederlage der Angegriffenen scheint unmittelbar bevorzustehen. Abzuwenden ist sie offenbar nur noch durch eine Heldentat. Zwei Zylinder müssen 100 Kilometer tief ins Feindesland geschafft werden. Der einzig mögliche Weg ist nachts übers tauende Eis, das zu dünn ist für Fahrzeuge und zu dick für Boote.
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Selbstmordkommando: „Solange es nur einer schafft“
Dass Caroline Edh (Noomi Rapace), die Heldin des Netflixfilms „Operation Schwarze Krabbe“, aus dem Evakuierungszug geholt wurde, hat seinen Grund. Sie ist eine Meisterin im Schlittschuhlaufen und kennt den Archipel wie ihre Westentasche. Sechs Männer und Frauen, Eishockeystars wie Malik (Dar Salim) darunter, sollen die vom Feind überwachten Fjorde überwinden.
„Ein Selbstmordkommando“, konstatiert Edh nicht nur wegen der Cyanidkapsel, die jedes Teammitglied erhält. „Solange es nur einer schafft“, räumt der befehlende Oberst (David Dencik) ein. Man gewinnt Edh durch das Versprechen, sie könne dann am Zielort ihre Tochter Wanja wiedersehen, die damals im Tunnel aus dem Auto heraus entführt wurde. Offenbar wurde sie befreit, konnte aber durch die feindlichen Linien nicht zurück nach Hause gebracht werden.
Sechs schwarze Schatten schlittern in der Dunkelheit los, illuminiert von den orangeroten Feuern der Gefechte. „Operation Schwarze Krabbe“ heißt die Mission, und kaum ist man auf den Kufen, bricht auch schon eine der Beteiligten ein. Edh stürzt sich ins Eisloch. Die Kameradin ist nicht mehr zu retten, wohl aber ihr Rucksack mit einer der beiden geheimnisvollen Kapseln. Da waren‘s nur noch fünf.
„Schwarze Krabbe“ ist das Filmdebüt von Adam Berg
Regisseur Adam Berg (bisher hat er Musikvideos unter anderem für Bands wie A-ha oder die Cardigans gemacht) und sein Co-Autor Pelle Radstrom haben aus dem Roman von Jerker Virdborg einen fesselnden Thriller geschaffen – mit ein paar Änderungen gegenüber der Vorlage. Aus dem Protagonisten Karl Edh wurde Caroline. Immer wieder geraten Caroline und ihre Kameraden in haarsträubende Situationen. Da waren‘s nur noch vier. Da waren‘s nur noch drei.
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Begibt sich für ihre Tochter auf ein Himmelfahrtskommando: Caroline Edh (Noomi Rapace).
© Quelle: krabbe 2
Kein Land wird je benannt. Aber es deutet alles darauf hin, dass das der Angegriffenen in diesem schwedischen Film das Nicht-Nato-Mitglied Schweden ist. Und dass der Aggressor derselbe ist, der jüngst die Ukraine überfallen hat, Russland, dessen Kriegsziel auch in einer europäischen Destabilisierung zu liegen scheint. Der Filmkrieg auf skandinavischem Boden wird ebenfalls rücksichtslos geführt, auch hier sind offenbar Unbewaffnete das Ziel von Raketenangriffen. Eines der Bilder dieser lebensgefährlichen Rutschpartie wird der Betrachtende denn auch nicht mehr so schnell loswerden.
Antikriegsbotschaft: Inhalt der Kapseln weckt Zweifel an der Mission
Der Twist der Geschichte kommt nicht völlig unerwartet. Granvik (Erik Enge), Jüngster im Team, will (wie auch der Zuschauende) wissen, was sich in den Kapseln befindet. Unter der Schutzhülle finden sie eine milchige Flüssigkeit, der Glasbehälter ist versehen mit dem Warnzeichen vor biologischen Kampfstoffen.
Zwar kommt Malik zu der Schlussfolgerung, die erfolgreiche Durchführung des Auftrags, wie er sich nach dieser Entdeckung darstelle, bedeute „nicht das Ende des Krieges“, sondern „das Ende von allem“. Aber noch wirken Soldatenethos und Aussicht auf Wiederherstellung familiären Glücks. „Wir tun nur, was man uns sagt“, beschwört Edh das militärische Prinzip Befehl – Gehorsam. Man zweifelt allerdings keinen Augenblick, dass sie ihre Einstellung noch ändern wird. Der Film ist ein Thriller mit Antikriegsmessage. Man will die Sinnlosigkeit des Kriegführens zeigen und aus dem Krieg zugleich seine Spannung ziehen. Eine Gratwanderung.
Auch wenn der Ausgang der Mission dann nicht durchweg plausibel gerät, ist die Ausführung des Films doch gelungen und sind seine Botschaften, dass Krieg nicht auf Kosten der Zivilbevölkerung gehen darf, und dass es Preise gibt, die zu hoch sind für einen Sieg, unüberhörbar.
Zieht der tatsächliche Krieg Kriegsfilme nach sich?
Zieht der Krieg, mit dem Putin die Ukraine überzogen hat, entsprechende Programmschwerpunkte bei Streamingdiensten nach sich? Innerhalb von nur einer Woche ist „Operation Schwarze Krabbe“ nach „Schatten in meinen Augen“ schon der zweite Kriegsfilm, der – ohne in der März-Vorschau von Netflix angekündigt gewesen zu sein – im Programm auftaucht. Ole Bornedals Weltkriegsdrama stand nur eine Woche nach seinem Start auf Platz drei der Netflix-Top-Ten, die „Operation Schwarze Krabbe“ befindet sich heute (21. März) auf diesem Platz. Die seltsamen Auswirkungen von Krisen auf Sehbedürfnisse konnte man schon einmal erleben: Nach Ausbruch der Pandemie wurden Virenthriller wie „Contagion“ (2011) und „Outbreak“ (1995) Streaminghits.
„Operation Schwarze Krabbe“, Film, 114 Minuten, Regie: Adam Berg, mit Noomi Rapace, Jakob Oftebro, Dar Salim, Erik Enge, (streambar bei Netflix)