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85.000 unterzeichnen Petition

Ende offen: Fans fordern Fortsetzung der Mysteryserie „1899“

„Manchmal gehen die Dinge nicht den Weg, den man geplant hat“: die „1899“-Macher Jantje Friese (links) and Baran bo Odar am 15. Januar 2023 bei den 28th Annual Critics Choice Awards in der Fairmont Century Plaza von Los Angeles. Anfang Januar hatte der Streamingdienst Netflix bekanntgegeben, ihre Mysteryserie „1899“ nicht zu verlängern.

„Manchmal gehen die Dinge nicht den Weg, den man geplant hat“: die „1899“-Macher Jantje Friese (links) and Baran bo Odar am 15. Januar 2023 bei den 28th Annual Critics Choice Awards in der Fairmont Century Plaza von Los Angeles. Anfang Januar hatte der Streamingdienst Netflix bekanntgegeben, ihre Mysteryserie „1899“ nicht zu verlängern.

Vom ersten Bild an wurde bei der Mysteryserie „1899“ ein Versprechen sichtbar. Man wollte den Zuschauer und die Zuschauerin mit Grauen und Grusel überzeugen. Und das gelang. 1612 Passagiere eines seltsamerweise nach dem Höllenhund Kerberos benannten Ozeandampfers trafen in der Serie von Jantje Friese und Baran bo Odar zur vorletzten Jahrhundertwende auf Kerberos‘ verschollenes Schwesterschiff. Niemand war mehr an Bord, obwohl kurz zuvor von dort ein Funkspruch abgesetzt worden war.

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Die erste „1899“-Staffel endete mit einem Cliffhanger und machte Lust auf mehr

Rätsel türmten sich auf, der hochwirksame Geisterschiffspuk erhielt gegen Ende der ersten Staffel eine reizvolle Sci-Fi-Note. Virtuos beendeten die Serienmacher und Serienmacherinnen alles mit einem satten Cliffhanger. Der Paukenschlag zum Schluss sollte Lust auf die nächste Staffel machen. Doch die kommt nicht.

Denn zum Ärger vieler Fans sagte der Streamingdienst Netflix die Fortsetzung der Serie Anfang des Jahres ab. Konkrete Gründe wurden dabei nicht genannt. Netflix ist diesbezüglich wie eine Festung, die nicht in ihr Inneres blicken lässt und die auch keine Adresse für inhaltliche Beschwerden hat.

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85.000 Fans fordern bisher die Auflösung der Rätsel von „1899“

Dass eine der erzählerisch kunstvollsten und visuell originellsten Netflix-Produktionen von 2022 schon nach sechs Wochen geschasst wurde, erregte allerdings den Unmut der Streamingkundschaft. Der tschechische „1899“-Fan Jiri Matous startete umgehend eine Petition auf der Website change.org. Bis zum 17. Januar hatten sich knapp 85.000 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen für eine Fortsetzung der Serie gefunden. Matous fordert von Netflix die Auflösung all der offen gebliebenen Fragen. „‚1899′ war ganz klar auf mehrere Staffeln angelegt“, schrieb er.

Genau gesagt auf deren drei – wie bei „Dark“, der erfolgreichen Vorgängerserie des deutschen Kreativduos bo Odar und Friese. „Wir kommen vom Film – wir sind eine Drei-Akte-Struktur gewöhnt. Drei Staffeln sind eine gute Zahl, um Mysterygeschichten richtig aufzubauen und gut abzuschließen“, sagte Regisseur Baran bo Odar zum Serienstart in einem Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Und Autorin Friese fügte hinzu: „Man braucht einen Endpunkt, ein Ziel. Im Ende liegt ja stets der Trieb für den Anfang. Es wäre sehr schwierig, loszulaufen, ohne eine Idee zu haben, wo man hinwill.“ Genau das möchte nun Matous‘ Petition erreichen: „Wir fordern eine Weiterführung der Serie und ein angemessenes Ende der Geschichte“, heißt es da.

Immer mehr Netflix-Serien enden zu früh

Bo Odar und Friese – deren Produktionsbüro Dark Ways auf eine aktuelle Gesprächsanfrage mitteilte, die beiden befänden sich bis Ende der Woche nicht erreichbar in den Vereinigten Staaten – hatten ihr Bedauern direkt nach der Absetzung kundgetan. „Schweren Herzens müssen wir euch mitteilen, dass ‚1899‘ nicht verlängert wird“, hieß es da. „Manchmal gehen die Dinge nicht den Weg, den man geplant hat. So ist das Leben.“ Kaum vorstellbar, dass den beiden Serienschöpfern das Herz seither leichter geworden ist. Von „so vielen Ideen“ hatten die beiden im RND-Gespräch geschwärmt.

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Netflix ist zwar nicht der einzige Streamingdienst, der seine Geschichten mittendrin abschneidet, aber doch mittlerweile einigermaßen berüchtigt dafür: „Die Bande aus der Baker Street“, „Cowboy Bebop“ oder die George R. R. Martin-Verfilmung „Nightflyers“ waren nur einige der Serien, bei denen Fans nach nur einer Staffel in der Luft hängen blieben. Die Zombieserie „Santa Clarita Diet“ mit Drew Barrymore brach ebenso nach drei Staffeln ab wie die Politserie „Designated Survivor“, die Netflix nach zwei Staffeln vom US-Network ABC übernommen und gerettet hatte, um die Fans dann neuerlich nach der dritten Staffel hängen zu lassen. Dass jetzt zeitgleich zum Aus für „1899″ auch das Ende des ziemlich wild zusammengepanschten deutschen Netflix-Endzeitmumpitzes „Tribes of Europa“ bekannt wurde, ist den Fans kein Trost.

Netflix macht seine Abonnenten vorsichtiger – und reagiert dann darauf

Die äußern ihren Unmut auch bei den Twitter-Accounts #save1899 und #renew1899. „Bringt ‚1899‘ zurück!“, wendet sich ein Chief Commander Cole direkt an Netflix. „Ihr könnt das – wir wissen, dass ihr das könnt.“ „Wir wurden beraubt“, ist in einem der Tweets zu lesen. „Verlängert die brillante, intelligente Serie ‚1899‘“, fordert eine Userin namens Asya. Und eine Daphne verkündet, sie werde so lange zum Thema twittern, „bis ‚1899‘ durch eine andere Plattform übernommen wird oder Netflix seine Entscheidung rückgängig macht.“ Ein User namens Matthew Ewald äußert sich am Dienstag ironisch: „Warte … Netflix (…) – das ist doch nicht etwa ein verrücktes Verhaltensexperiment, oder?“

Im Wirtschaftsmagazin „Forbes“ wird Ewalds ironische Mutmaßung anlässlich der Absetzung von „1899“ unterfüttert. Der Autor Paul Tassi schreibt, dass es sich bei Netflix „fast nicht lohnt, Zeit in eine Serie zu investieren, bevor sie nicht beendet ist und man auch sicher weiß, dass sie einen richtigen Abschluss und eine abgerundete Handlung hat.“ Würden genügend Serienfans entsprechend zögerlich vorgehen, wäre die Einschalt- oder Klickquote zu Beginn einer Serie sehr niedrig. Was dann umgehend zu deren früher Absetzung führte. Damit sei der Kreislauf geschlossen – beim nächsten Mal seien dann noch mehr Menschen vorsichtig, wem sie ihre Zeit schenkten, so Tassi.

Medienwissenschaftler wartet, „bis es zwei, drei Staffeln gibt“

„Am Anfang hat man Netflix unterstellt, die neue Kunst des Quality-TV zu bewahren und zu entfalten“ sagt Rainer Winter, Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt im Gespräch mit dem RND. Er verweist aber darauf, dass Netflix nicht die einzigen Umschwenker seien, dass selbst die US-Nobel-TV-Marke HBO inzwischen Serien oft schon nach einer Staffel absetzt. „Das muss Zuschauer enttäuschen, die Erwartungen aufbauen, die mit den Figuren leben.“ Er selbst hätte sich über die Absetzung von „1899“ geärgert, wäre er bereits eingestiegen gewesen, so Winter. Er warte aber immer erst, „bis es zwei, drei Staffeln gibt“.

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„Das Prinzip von HBO war anfangs eine Anarchie, die Serien wie ‚Die Sopranos‘ oder ‚Six Feet Under‘ möglich machte“, sagt Winter. „Man begann, dieses Fernsehen als eine Form der Kunst zu betrachten, es mit einem Roman zu vergleichen.“ Diese Kunst sei am Schwinden. „Inzwischen werden digital ermittelte Indikatoren ins Feld geführt, die gegen die Fortführung einer Serie sprechen – weil das kommerziell nicht rentabel ist.“

Winter: Datenanalyse widerspricht Zuschauerinteressen

Ein durch die Auswertung von digitalen Daten bestimmter Erfolg sei das Kriterium, so Winter. „Eine algorithmische Analyse der Daten steht im Zentrum. Das widerspricht den Interessen der Zuschauer, die eine längere Zeit brauchen, um sich mit einer Serie vertraut zu machen. Selbst ‚Die Sopranos‘ war nicht von Anfang an ein Erfolg.“ Der Abbruch nach Datenauswertung bedeute dabei langfristig einen Schaden fürs eigene Geschäftsmodell. „All das Künstlerische zählt nicht mehr für die Netflix-Macher. Man enttäuscht die Zuschauer, scheint auch nicht an einem direkten Kontakt mit ihnen interessiert – die Daten reichen doch.“

Netflix und so mancher Mitbewerber säßen dem Irrglauben auf, Daten seien mit Zuschauerinteressen und -bedürfnissen gleichzusetzen. „Indem man nur noch darauf blickt, was früher erfolgreich war, zerstört man aber den kreativen Raum.“ Dieses Kreativkonzept sei faszinierend gewesen. „Heute“, so der Medienwissenschaftler, „finde ich bei Netflix kaum noch etwas, dass mich vom Hocker reißt. Sondern oft das Immergleiche, immer Mainstreammäßigere: ähnliche Figuren, ähnliche Handlungen …“

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Mit Netflix‘ Geschäftsmodell sei etwas nicht in Ordnung, befindet auch „Forbes“-Autor Tassi: „Das Kernkonzept des Streamingdienstes war, dass man sich ansehen konnte, was man wollte und wann man es wollte. Aber jetzt ist es nicht nur eine Option, eine Serie am Eröffnungswochenende zu sehen, sondern fast schon eine Pflicht, damit die negativen Daten nicht ein schlechtes Licht auf eine Serie werfen, die man sonst vielleicht mögen würde.“ Tassi spricht von einem „Serienfriedhof“. „Ich glaube nicht, dass sie (Netflix) kapieren, was sie ihrer eigenen Marke da antun.“

Eine Petition für „1899″ könnte durchaus erfolgreich sein

Dass eine Petition „1899“ zum Streamingdienst zurückholen könnte, ist für Rainer Winter durchaus vorstellbar. Und blickt man auf die TV‑Seriengeschichte, wird das bestätigt, brachte doch die Petition des „Star Trek“-Fans Bjo Trimble 1968 – in prädigitalen Zeiten, mit einer klassischen Briefkampagne – nicht nur eine Verlängerung der Serie um eine dritte Staffel, sondern stand am Anfang des langlebigsten Sci-Fi-Franchise aller Zeiten. „Wenn Netflix eine solche Petition als wichtiges Datenmaterial ansieht, kann es schon sein, dass man darauf reagiert“, meint Winter. „Wahrscheinlich müssten nur noch viel mehr Menschen unterschreiben.“

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„Game of Thrones“ - acht Staffeln, dann ein bitteres Ende

Geschichten komplett zu erzählen ist seit den Lagerfeuerzeiten der Menschheit eine Selbstverständlichkeit für Geschichtenerzähler. Dass indes auch im besten Fall einer aufwendigen und staffelreichen Stoffverfilmung am Ende nicht immer Glorreiches herauskommt, bewiesen die Macher der lange Zeit als „beste Serie aller Zeiten“ apostrophierten HBO-Fantasysaga „Game of Thrones“ (2010-2019). Die dann in der letzten von acht Staffeln in Hauruckmanier finalisiert wurde. Weil George R. R. Martin, der Autor der Romanvorlagen sein Epos nicht rechtzeitig (und bis heute nicht) voranbrachte und die Serienmacher David Benioff und D. B. Weiss in Gedanken offenbar schon bei einem – dann aber nie realisierten – „Star Wars“-Projekt waren, als sie sich die Erfüllung der Schicksale von Jon Snow, der Khaleesi und vielen anderen liebgewonnenen Charakteren einfallen ließen.

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Eine entsprechende Petition, die achte Staffel noch einmal neu zu drehen, läuft bei change.org bis auf den heutigen Tag. Stand 14.50 Uhr hatten 1.858.164 „GoT“-Fans unterschrieben.

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