Berliner „Tatort: Das Opfer“: Kommissar Karow ganz allein
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Camilla (Kim Riedle, r.) schleppt den verletzten Robert Karow (Mark Waschke, l.) zum Auto.
© Quelle: rbb/Stefan Erhard
Schon im ersten Bild schaut Karow, Kommissar im „Tatort“ aus Berlin, so mürbe und fast moribund, als helfe nur die warme Hand vom Christkind. Robert Karow (Mark Waschke) ist ein Überlebender, seine Kollegin Rubin (Meret Becker) ist erschossen worden in der letzten Folge. Er hat sich dieses Überleben nicht gewünscht, weil es hienieden, im Berlin des 21. Jahrhunderts, nicht so viele Gründe gibt, mit einem Lächeln ins Büro zu gehen.
Karow hat noch nie gelächelt, auch im 20. Jahrhundert nicht, um das es immer wieder geht in dieser Folge „Opfer“. Der Ausruf „Opfer“, eher ausgespuckt als wirklich ausgesprochen, zählt zum Slang der Straße, auch unter den Migrantinnen und Migranten, um die es geht in diesem Kriminalfilm, der ein Psychogramm ist.
Zwei Gegenspieler finden zusammen
Einerseits erzählt das Stück von Karow, der inzwischen ein Ermittler wurde, oder immerhin so tut. Andererseits von Mesut Günes (Sahin Eryilmaz), Dealer, Schläger, Chef von einem Oben-ohne-Club, ohne wirklich auf Frauen zu stehen. Zwei Gegenspieler, die zusammenfinden über Maik, das Scharnier in diesem Film. Maik Balthasar (Andreas Pietschmann) ist tot, man findet ihn im Wald. Erschossen. Er war ein Jugendfreund von Karow, damals in der DDR, als die Sonne schien und Autos der Marke Wartburg frisch geputzt in kleinen, aufgeräumten Straßen standen. Die Freunde sahen sich zuletzt vor 30 Jahren, es kam zum Bruch.
Maik war Polizist, hat verdeckt ermittelt, er schlich sich ein bei Günes, diente ihm als Fahrer, um ihn auszuhorchen. Dieser Maik wird in den Rückblenden des Stückes (Regie: Stefan Schaller, Drehbuch: Erol Yesilkaya) derart kernig und doch mondsüchtig, fast wattig eingeführt, dass letztlich unklar bleibt, wem er gehorcht. Seiner Chefin, Staatsanwältin Taghavi (Jasmin Tabatabai), oder doch der eigenen Verzweiflung? Der Mann rennt fort vor einem Trauma, das wir erst erkennen, wenn der Film die schwarze Tinte über seine Bilder kippt. Und keine Sonne mehr im Rückblick auf das Ost-Berlin der frühen Jahre scheint.
Mesut Günes ist ein harter Hund
Mesut Günes ist ein harter Hund, Verrat bestraft er mit dem Tod – deshalb liegt es nahe, ihn als Maiks Mörder zu verdächtigen. Sein Kosmos löst sich auf. Auch das Stripgirl Camilla (Kim Riedle) will fliehen, raus aus Günes’ Nachtclub, ihr verblasstes Blond sehnt sich nach einem bürgerlichen Leben.
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Sie vertraut sich Karow an, einem Mann, der nicht einmal sich selbst vertraut. Er soll sie aus den Fängen dieses Clans befreien, im Gegenzug ist sie bereit, über Günes auszupacken. Wie sie tanzt auf diesem Seil, hier die Gangster, dort die graue Hauptstadt, ist ein furioser, scheuer, hinter Nebel inszenierter Auftritt dieses starken Films, dessen bittere, fein buchstabierte Traurigkeit man sonst am Sonntagabend nur gesehen hatte von Matthias Brandt im „Polizeiruf 110“ aus München, als Kommissar von Meuffels.
Sache kulminiert in einem Lagerhaus bei Lichtenberg
Die Sache kulminiert in einem Lagerhaus bei Lichtenberg, wo sich der „Tatort“ zum Finale eingerichtet hat – doch „Finale“ ist ein großes Wort für eine Story, die keinerlei Erlösung finden kann, weil die Schuld weit hinten liegt, im alten Ost-Berlin, als Karow noch ein Kind mit Locken war – und sein Vater mit der Härte eines Generals durchs Leben lief. Kein Vergleich zum müden Pascha, der er heute ist, der altersmild Frühstück zubereiten will für sich und seinen Sohn. Als sei dadurch noch irgendwas zu retten.
Es gibt Liebe in diesem Film, nicht nur Milieu, Puff und Drogen. Dass diese zarte Pflanze ausgerechnet bei dem jungen Robert Karow wuchs, ist erstaunlich, wie überhaupt das Stück ein tolles, großes Rätsel ist: Es hält sich an das Regelwerk des Film noir, wo Gut und Böse unterm Strich dasselbe sind. Man versteht den Karow plötzlich als Figur der schlecht gelaunten letzten Jahre, all seinen Missmut und die kindliche Cholerik. Dass dafür erst seine Kollegin Rubin sterben musste, und dann Maik, der alte Freund, das ist ein Trauerspiel. Eines der besten, das seit Langem in der ARD zu sehen war.
Der „Tatort: Opfer“ läuft am Sonntag, 18. Dezember, ab 20.15 Uhr in der ARD.