Geht die ESC-Pleiteserie weiter?

ESC-Vorentscheid: Diese acht Künstler wollen für Deutschland nach Liverpool fahren

Sie alle wollen zum Eurovision Song Contest: Die Teilnehmer des deutschen ESC-Vorentscheids „Unser Lied für Liverpool“ im Studio in Köln.

Sie alle wollen zum Eurovision Song Contest: Die Teilnehmer des deutschen ESC-Vorentscheids „Unser Lied für Liverpool“ im Studio in Köln.

Es nützt ja wenig, sich im Elend zu suhlen. Aber diese Zahlen sind schon bitter: Seit zehn Jahren ist Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) überwiegend ein Totalausfall. Dreimal Vorletzter. Dreimal Letzter. Das größte Popspektakel Europas ist für hiesige ESC-Freunde ein stabiles Debakel.

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Am Freitag nun schicken sich in der ARD-Show „Unser Lied für Liverpool“ acht frische Hoffnungsträger an, das zerzauste Fähnchen der deutschen Tonsetzerkunst zum ESC-Finale am 14. Mai nach Großbritannien zu tragen. Und wer auch immer im Vorentscheid das Rennen machen wird: Seit sich Julius Cäsar im Jahr 54 vor Christus nach Britannien einschiffte, ist wohl kaum jemals jemand mit geringeren Hoffnungen auf die Insel gereist als die deutsche ESC-Delegation im Mai 2023.

Ursprünglich sollten es neun Acts sein, doch Alina Süggeler, Sängerin der Band Frida Gold, ist krank. Sie habe keine Stimme, weshalb die Band nicht am Vorentscheid teilnehmen könne, wie der Norddeutsche Rundfunk am Freitag mitteilte.

„Lied mit gutem Text“: Ballermannsänger Ikke Hüftgold bei einer Probe zum deutschen Vorentscheid „Unser Lied für Liverpool“ in den MMC-Studios in Köln.

„Lied mit gutem Text“: Ballermannsänger Ikke Hüftgold bei einer Probe zum deutschen Vorentscheid „Unser Lied für Liverpool“ in den MMC-Studios in Köln.

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Nach allerhand Experimenten mit XXL-Gremien und popmusikalischen Logarithmen setzt man in diesem Jahr erneut auf eine Instanz, die sich bislang verlässlich als ungeeignet erwiesen hat, ein Gespür für die speziellen Anforderungen des Wettbewerbs zu entwickeln: Die hauseigenen ARD-Popradiowellen wählten im Verbund mit „Experten“ aus 548 Einsendungen acht Acts aus. Zusätzlich kürten Tiktok-Nutzer einen neunten Bewerber: Das Rennen machte Schlager­haubitze Matthias Distel (46) alias Ikke Hüftgold, der mit lupenreinem Ballermann-Partytrash („Dicke Titten, Kartoffelsalat“) sehr erfolgreich Massen­besäufnisse musikalisch begleitet. Sein ironisch gemeinter ESC-Beitrag heißt wahrheitswidrig „Lied mit gutem Text“. Ein Auszug: „Wir sagen Danke für zwölf Punkte / Denn Lalala ist international.“ Hier irrt Hüftgold.

Ein fernes Echo der Trash-Nullerjahre

Ein fernes Echo der Trash-Nullerjahre weht also durch den ESC-Vorentscheid 2023. Vor zwanzig Jahren versuchte der NDR, mit allerhand Shit-Show-Personal (Rudolph Mooshammer, Zlatko, „Die Gerd Show“) ein bisschen mediale Erregung zu schüren. Möglich, dass Hüftgold genügend Stammgäste lockt, um das Ticket nach Liverpool zu ziehen. Warum noch mal Liverpool? Weil Großbritannien als zweitplatzierte Nation 2022 mit Sam Ryder die Gastgeberrolle von der siegreichen Ukraine übernahm (Kalush Orchestra). Der ESC auf geheiligtem Popboden also, in der Heimat der Beatles.

Einer von neun: Sänger René Miller („Concrete Heart“) steht bei den Proben zu „Eurovision Song Contest 2023 – Unser Lied für Liverpool“ auf der Bühne.

Einer von neun: Sänger René Miller („Concrete Heart“) steht bei den Proben zu „Eurovision Song Contest 2023 – Unser Lied für Liverpool“ auf der Bühne.

Den Auftakt im Vorentscheid macht der bayerische Sänger Trong, ein 30-Jähriger mit vietnamesischen Wurzeln, mit seinem leicht asiatisierten Diversitäts­discosong „Dare to Be Different“ im Mika-Stil, gefolgt vom Stuttgarter René Miller mit einer ereignisarmen Schmerzens­ballade („Concrete Heart“) und der Sängerin Anica Russo mit der durchaus eingängigen Sechsachteltakt-Ode „Once upon a Dream“. Ihr folgen in der Startreihenfolge dann Punkrock von Lonely Spring („Misfit“) im Stil von Greenday, nur ohne Melodie, und der „The Voice of Germany“-Teilnehmer Will Church mit einer Midtempo­nummer („Hold On“).

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Sängerin Patty Gurdy dreht zu Celtic Folkpop die gute, alte Drehorgel („Melodies of Hope“), und dann feuert Ikke Hüftgold seinen Partyknaller zu branchen­üblichem Stampfbass ab. Zuletzt schließlich geht ein Hamburger Gothic-Metal-Act an die Rampe (Lord of the Lost, „Blood & Glitter“), der doch allzu sehr wirkt wie Måneskin, bei Wish bestellt. Die Italiener hatten den ESC 2021 gewonnen.

Ein Hauch von Greenday: Die Band Lonely Spring bei den Proben zu „Eurovision Song Contest 2023 – Unser Lied für Liverpool“ auf der Bühne in Köln.

Ein Hauch von Greenday: Die Band Lonely Spring bei den Proben zu „Eurovision Song Contest 2023 – Unser Lied für Liverpool“ auf der Bühne in Köln.

Die frühe Prognose muss dann doch erlaubt sein: Es spricht nicht viel dafür, dass sich eine der acht Nummern neben 24 Konkurrenten in Liverpool ins Gedächtnis graben könnte. Wieder tappt der zuständige NDR in die alte Falle: ein Lied zu suchen, das allen ein bisschen, aber niemandem gewaltig gefallen könnte. Statt einer emotionalen Nummer, die ein Wagnis eingeht, den Kontinent abholt und dabei präzise den Zeitgeist einfängt, hofft man auf Spaßpunkte. Doch die Lordi-Phase des ESC ist seit gut zwei Jahrzehnten vorbei. Rezepte von gestern taugen nicht.

Dass der ESC auf der ARD-internen Prioritäten­liste nach hinten gerückt ist, zeigt auch der Sendeplatz: Die Liveshow läuft am Freitag erst um 22.20 Uhr im Ersten und auf One. Barbara Schöneberger moderiert.

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