Wer folgt auf Peter Urban beim ESC? Diese Namen sind im Gespräch
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Peter Urban – die deutsche Stimme des ESC.
© Quelle: NDR/Christian Spielmann
Es ist eine Strecke, die jedem Zuschauer Respekt abnötigen muss: Stolze 25-mal hat Radiolegende Peter Urban den Eurovision Song Contest (ESC) seit 1997 kommentiert. Seine honigwarme Samtstimme ist für ARD-Zuschauerinnen und -Zuschauer untrennbar mit dem Spektakel verbunden. Und es waren sogar deutlich mehr als 25 Shows, denen Urban seine Stimme und Expertise schenkte. Denn seit 2004 gibt es beim ESC zwei Halbfinals – zusätzlich zum großen Finale. Insgesamt hat Urban also durch 57 Eurovisionssendungen geführt – sanft tadelnd, gelegentlich keck, aber immer durchdrungen von einem ehrlichen Interesse am größten Musikevent der Welt.
Nun also ist Schluss. Der ESC in Liverpool ist sein letzter. „Natürlich tut es auch ein bisschen weh“, sagte er im Abschiedsgespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Aber ich bin nach zehn Hüftoperationen auch nicht mehr so mobil.“ Sich in riesigen Arenen über oft abenteuerliche Gerüstkonstruktionen zu den Kommentatorenkabinen unter dem Hallendach hochzuwuchten, dazu all die Reiserei, die vielen Stunden in mieser Luft, und das alles mit 75 Jahren – irgendwann wurde es zu viel, bei aller Liebe zum ESC.
„Bitte kein marktschreierischer Radiomoderator“
Wer also soll ihm nachfolgen? Beim zuständigen Norddeutschen Rundfunk hüllt man sich zu dieser Frage in Schweigen. Kein Mucks dringt nach draußen. Die interne Kommentatorenfindungskommission, so scheint es, ist noch zu keinem endgültigen Ergebnis gelangt. Urban selbst hat vor allem eine klare Vorstellung davon, wer ihm bitte nicht nachfolgen möge: „Ich fände es schlimm, wenn es einer dieser marktschreierischen Radiomoderatoren würde, mit dieser grässlichen Zwangsfröhlichkeit, die so viele haben“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bei Kaffee und Kuchen. „Das wäre ein Fehler. Es sollte auch kein detailversessener ESC-Statistiker sein. Und er oder sie sollte den Wettbewerb mögen. Es nützt nichts, als ESC-Kommentator nur sarkastisch und zynisch zu sein. Es darf gern lustig oder ironisch sein, na klar, aber eine Grundsympathie für den ESC wäre schon wichtig.“
Sicher ist: Es ist kein einfacher Job. Viele Empfindlichkeiten sind zu berücksichtigen, viele Mitentscheiderinnen und Mitentscheider bei der ARD haben eine Meinung. Und auch das Publikum nimmt viel schneller (und viel gnadenloser) übel als noch vor einigen Jahren. Social Media hat eine aggressive Giftigkeit in jede öffentliche Debatte gebracht. „Man traut sich ja kaum noch, eine Sängerin aus Serbien ‚höchst attraktiv‘ zu nennen“, sagt Urban. „Manchmal ist das auch traurig, weil es dadurch langweiliger wird. Aber für vieles habe ich großes Verständnis.“
Gesucht: Diplomatie, Humor und Fachkenntnis
Was es also braucht für einen guten ESC-Kommentator: diplomatisches Geschick, pophistorische Kenntnisse, Chuzpe, Humor, Lust auf den ESC, die richtige Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie. Und die Bereitschaft, Unterhaltung zu machen, keine musiktheoretischen Seminare.
Wer kann das? In der deutschen ESC-Gemeinde sind die Spekulationen auch in Liverpool in vollem Gange. Genannt werden zum Beispiel folgende Kandidaten:
Thomas Hermanns
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Interessiert am ESC: Thomas Hermanns.
© Quelle: IMAGO/STAR-MEDIA
Der erfahrene Comedian, Stand-up-Gastgeber und „Vater Teresa“ der deutschen Komikerszene liebt den ESC und ist Dauergast in hiesigen Eurovisionssendungen, strahlt aber eine altmodische Käseigelromantik aus, die eher zum plüschigen Grand Prix der Siebzigerjahre passt als zum bombastischen Popevent der Neuzeit. Mit Retrocharme allein wird man nicht weit kommen.
Olli Schulz und Jan Böhmermann
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Fühlen in diesem Jahr als Kommentatoren schon mal vor: Jan Böhmermann (rechts) und Olli Schulz.
© Quelle: dpa
Der gelegentlich anstrengende Chefmoralist des deutschen Fernsehens und sein launiger Counterpart Schulz bewerben sich in ihrem Podcast „Fest & Flauschig“ seit Längerem darum, den ESC mal öffentlich kommentieren zu dürfen. In diesem Jahr endlich gönnte man ihnen eine entsprechende Radioshow im Sender FM4. Urban hält aber wenig davon, dem Duo den Job zu übertragen: „Olli Schulz ist ja wenigstens noch lustig“, sagte er im „Stern“. „Jan Böhmermann finde ich zu verkniffen. Ich glaube, er hätte keinen Spaß an der Sache. Er würde alles nur niedermachen. Den ESC muss jemand kommentieren, der das Ganze mit dem nötigen Humor sieht, aber es dennoch mag.“
Ulf Ansorge
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Hat den ESC einmal kommentiert: Radiomoderator Ulf Ansorge.
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress
Urbans einstiger Kollege beim Popsender NDR 2 hat den ESC bereits kommentiert – aber nur ein einziges Mal: 1996 wurde der deutsche Teilnehmer Leon (der „singende Friseur“) von einer internationalen Jury vor dem großen Finale aussortiert. Es war der bisher einzige ESC ohne deutsche Finalteilnahme. Beleidigt verbannte man bei der ARD die Liveübertragung in die dritten Programme – und setzte Ansorge ans Mikrofon. Er überriss. Seine hämischen Kommentare verstörten das Publikum, das damals (zwei Jahre vor der großen Erneuerung mit Guildo Horn und Stefan Raab) noch vorwiegend aus Traditionalisten bestand. Oder wie Urban im Rückblick sagt: „Ulf Ansorge war so satirisch und knallig, dass die Fans entsetzt waren. Da kam ich ins Spiel.“ Ein Comeback für Ansorge? Unwahrscheinlich.
Lukas Heinser
Seit auch schon wieder zehn Jahren ist der Medientausendsassa Lukas Heinser inzwischen der Assistent von Peter Urban beim ESC und sitzt mit ihm in der Moderatorenkabine. Heinser ist ein überaus patenter Problemlöser, Rechercheur, Fachmann, Popnerd und Autor eines äußerst lesenswerten, prall gefüllten Buches über den Song Contest („Eurovision Song Contest – Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“, Klartext-Verlag, 16,95 Euro). Heinsers Leidenschaft für den ESC wurde schon im Lena-Jahr 2010 sichtbar, als er mit Stefan Niggemeier das unvergessene, von vielen Fans schmerzlich vermisste ESC-Videoblog „Oslog“ moderierte (gefolgt von „Duslog“ 2011 und dem „Bakublog“ 2012 aus Aserbaidschan). Wird Lukas Heinser zum Hansi Flick der Eurovision? Zum Assistenten also, der direkt dem Chef folgt?
Michael Schulte
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War Vierter beim ESC: Sänger Michael Schulte.
© Quelle: Carmen Jaspersen/dpa
Seit seinem vierten Platz beim ESC 2018 hat Schulte Carte blanche beim NDR. Man gönnt ihm dort jede Sendeminute. Schulte verfügt über eine stabile Musikerkarriere. Es ist unwahrscheinlich, dass er sich mittelfristig an den ESC binden würde, genau wie Lena Meyer-Landrut, die das Event doch ziemlich weit hinter sich gelassen hat. Schulte ist überdies bisher nicht als Popwissensmaschine oder Entertainer mit Worten aufgefallen. Aber man kann sich alles anlesen. Immerhin: 2019, ein Jahr nach seinem ESC-Erfolg, kommentierte er an der Seite von Urban den deutschen Vorentscheid. Eine Duolösung scheint aber ohnehin kein gutes Modell für den ESC – zwischen den Acts bleiben jeweils nur gut 30 Sekunden Zeit für Moderation. Da kommt man schon allein kaum zu Wort.
Constantin „Consi“ Zöller
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Schon für den NDR beim Eurovision Song Contest im Einsatz: Constantin Zöller.
© Quelle: picture alliance/dpa
Der Radiomoderator und ESC-Fan kommentierte bereits zweimal den Junior Eurovision Song Contest im Kika. Er ist auch für den NDR im Einsatz – zum Beispiel als Scherzkanone bei ESC-Partys im Stil der „heute show“-Schmerzensmänner Lutz van der Horst oder Fabian Köster. Nüchtern muss man konstatieren, dass er zwar seine Momente hat, ihn aber bei Weitem nicht alle durchgehend lustig finden. Zöller polarisiert. Das ist als Komiker sicher unvermeidlich, als ESC-Kommentator sollte man aber keine allzu großen Risiken eingehen. Das heißt: Wenn „Consi“ nicht „Consi“ sein kann, weil er zu viele Kompromisse eingehen müsste, würde er sich vermutlich allzu sehr verbiegen müssen – und damit jede Natürlichkeit verlieren.
Tim Frühling
Ein einziges Mal seit 1997 musste Peter Urban als Kommentator aussetzen – wegen einer unaufschiebbaren Hüftoperation 2009. In diesem Jahr sprang Kollege Tim Frühling vom Hessischen Rundfunk für ihn ein. Ihm erging es dabei wie zuletzt vielen deutschen ESC-Teilnehmern von Ann-Sophie bis Levina: Er machte einen stabilen Job, hinterließ aber keinen bleibenden Eindruck. Eine Neuauflage des Engagements wäre eine Überraschung.
Anke Engelke und Bastian Pastewka
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Eingespieltes Duo: Anke Engelke und Bastian Pastewka.
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress
Den größten Unterhaltungswert hätte ohne Zweifel das schlicht fantastische Komikerduo Engelke/Pastewka. Beide haben eine Affinität zum ESC, beide sind musikalisch bewandert (und als Pop-Parodisten ungeschlagen). Die Frage ist bloß, ob der NDR die beiden bezahlen kann oder will.
Thorsten Schorn
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Beim ESC 2011 im Einsatz: Moderator Thorsten Schorn während des Deutschen Radiopreises 2020 in Hamburg.
© Quelle: picture alliance / xim.gs
Schorn ist ein erfahrener Radiomoderator und Fernsehmann – mit Eurovisionserfahrungen: Beim ESC 2011 in Düsseldorf war er als Reporter für das tägliche Magazin im ARD-Vorabend unterwegs und trat als ESC-Experte bei Phoenix auf. Mit Tim Frühling moderierte er zudem Eurovisions-Sondersendungen. Entertainment kann er: 2017 war er auf RTL plus als Co-Moderator in der Neuauflage von „Der Preis ist heiß“ zu sehen. Seit August 2018 ist er bei RTL Spielleiter der Samstagabendshow „Denn sie wissen nicht, was passiert“. Schorn ist definitiv in der Verlosung.
Sabine Heinrich
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Hat ebenfalls bereits ESC-Erfahrung: Moderatorin Sabine Heinrich.
© Quelle: picture alliance / AAPimages/Timm
Die WDR- und ZDF-Moderatorin ist eine ausgewiesene Popfachfrau. Sie moderierte mit Matthias Opdenhövel mehrere Eurovisionsshows, darunter „Unser Star für Oslo“, wo Lena Meyer-Landrut gekürt wurde. Heinrich ist in Humor- und Musikfragen über jeden Zweifel erhaben. Es gilt, was 2005 bei der Bundestagswahl galt: Warum nicht mal eine Frau?
Oder doch: eine künstliche Intelligenz?
Letzte Variante für die Nachfolge von Peter Urban: eine künstliche Intelligenz mit seiner Stimmfarbe und seinem Witz. „ChatGPT – bitte kommentiere den ESC im Stil und Tonfall von Peter Urban“ – nicht ausgeschlossen, dass eine solche Lösung eines Tages eine echte Option sein wird.