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Aus für „maiLab“, „Kurzgesagt“ und „Simplicissimus“

Öffentlich-rechtliches Netzwerk: Warum laufen Funk die Youtuber davon?

Mai Thi Nguyen-Kim

Mai Thi Nguyen-Kim

Hannover. Sie galt als eine der ganz großen Aufklärerinnen in der Corona-Pandemie: Mai Thi Nguyen-Kim. Während Karl Lauterbach bei Markus Lanz fachsimpelte und Christian Drosten in seinem NDR-Podcast, zerpflückte die Wissenschaftsjournalistin das komplexe Thema regelmäßig für eine jüngere Zielgruppe auf Youtube. Für ihre „Freunde der Sonne“, wie Nguyen-Kim ihre Zuschauerinnen und Zuschauer stets nannte – in rund 20-minütigen Clips, stilecht an einem Schreibtisch mit Regal im Hintergrund.

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Die Folge: enorme Aufmerksamkeit. Hatte das Funk-Format „maiLab“ vor der Pandemie meist sechsstellige Aufrufzahlen, wurde Nguyen-Kims Video „Corona geht gerade erst los“ aus dem April 2020 6,7 Millionen Mal angesehen. Der Youtube-Kanal „maiLab“ hat heute satte 1,47 Millionen Follower, mehrere Millionen Menschen verfolgen regelmäßig Nguyen-Kims Beiträge – auch zu Themen wie Vitamin D, Homöopathie oder Transsexualität.

Nicht alle der Beiträge aus Pandemiezeiten sind aus heutiger Sicht gut gealtert – dennoch ebnete das Thema der 35-Jährigen den Weg zum Wissenschaftssuperstar in den Medien. Ein Weg, der nun enden wird – zumindest auf Youtube.

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Prominente Abgänge häufen sich

Mitte April kündigte Nguyen-Kim an, die Arbeit für ihren Kanal einzustellen. Zuvor waren nur noch äußerst unregelmäßig neue Videos erschienen. Künftig wolle sie sich ihren Sendungen im Fernsehen widmen, das gebe ihr als bald zweifache Mutter mehr Planungssicherheit. Nguyen-Kim ist auch Moderatorin des ZDF-Formats „Terra X“ sowie einer eigenen Wissenschafts-Klamauk-Show bei ZDFneo, namens „MAITHINK X“. Auch der Abgang einer ihrer Redakteurinnen beim SWR habe zu der Entscheidung beigetragen.

Ein Verlust dürfte Nguyen-Kims Abgang nicht nur für die Plattform Youtube sein, auf dem wissenschaftlich fundierte Formate eher rar sind. Er ist auch ein Verlust für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – genauer gesagt für dessen Jugendangebot Funk. Hier war Nguyen-Kim einer der großen Stars.

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Und: Nguyen-Kim ist bei Weitem nicht die einzige Youtuberin mit Followerzahlen im Millionenbereich, die in den vergangenen Wochen ihren Abschied von Funk angekündigt hatte. Die prominenten Abgänge scheinen sich zu häufen. Aber warum?

Funk und die Youtube-Stars

Funk, das ist ein Zusammenschluss ganz unterschiedlicher öffentlich-rechtlicher Formate auf den verschiedensten Plattformen für die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen. 2016 war Funk als Jugendangebot auf Sendung gegangen – allerdings nicht im Fernsehen, sondern auf den Internetplattformen, auf denen sich junge Menschen für gewöhnlich aufhalten. Im Gegenzug wurden die Fernsehsender Eins Plus und ZDF Kultur eingestellt.

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Einige der Funk-Formate werden direkt in den Landesanstalten der ARD oder vom ZDF entwickelt und produziert, andere von externen Produktionsfirmen. Und in nicht wenigen Fällen wirbt Funk auch bereits etablierte Youtuberinnen oder Tiktoker ab, um das eigene Netzwerk zu stärken – Mai Thi Nguyen-Kim gehörte dazu. Sie hatte zunächst privat den Kanal „The Secret Life Of Scientists“ mit rund 66.000 Followerinnen und Followern betrieben.

Funk profitiert von der Bekanntheit der Videomacherinnen und -macher – die wiederum bekommen ein geregeltes Einkommen. Wer privatwirtschaftlich einen Youtube-Kanal stemmt, ist auf die Werbeauszahlungen der Plattform oder externe Sponsoren angewiesen. Diese Einnahmen können – je nach Reichweite der Videos – stark schwanken. Zudem gelten nicht alle Themegebiete als werbefreundlich. Ein Grund, warum in den vergangenen Jahren zahlreiche große Youtuberinnen und Youtuber ins öffentlich-rechtliche Netzwerk wechselten.

Stars wechseln zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Einige Beispiele

  • Die Freunde David und Jonas etwa beglückten ihr Publikum auf dem Kanal „Simplicissimus“ seit 2015 mit Video-Essays zu aktuellen Themen und Erklärstücken zu Laborfleisch, Stürmen, Donald Trump und der Frage „Warum Menschen nicht auf Zebras reiten“. Ab 2019 schlossen sie sich dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF an.
  • Das wissenschaftliche Animationsformat „Kurzgesagt“ existierte bereits seit 2013 auf Englisch und Deutsch, ehe Produzent Philipp Dettmer 2017 mit dem deutschen Ableger zu Funk wechselte.
  • Auch die Comedy-Zwillinge Benni und Dennis Wolter machten sich mit ihrem Kanal „Twin TV“ auf Youtube einen Namen – heute sind sie als „World Wide Wohnzimmer“ bei Funk.
  • Der Comedian Phil Laude wurde zunächst mit dem privat finanzierten Kanal des Trios Y-Titty zum Youtube-Star. Hier wurde sogar regelmäßig scharf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschossen – in einem Y-Titty-Video etwa wird dieser als „staatlich finanziertes Pay-TV bezeichnet“. Seit dem Ende von Y-Titty betreibt Laude sein eigenes Comedy-Format – beim öffentlich-rechtlichen Funk.
  • Der Journalist Mirko Drotschmann erklärte auf seinem Kanal „MrWissen2Go“ jahrelang Schülerinnen und Schülern mit Wissensvideos die Hausaufgaben, ehe auch er mit seinem Kanal 2017 funk beitrat.
  • „Coldmirror“ galt jahrelang als Comedy-Queen der Plattform – sie ist seit dem Start von Funk beim Jugendnetzwerk.
  • Und Videomacher Leeroy Matata interviewte zunächst als privater Youtuber alle möglichen Menschen mit allen möglichen Krankheiten, Jobs und Sexfantasien – 2020 zeigte auch an seinen Videos das öffentlich-rechtliche Netzwerk Funk Interesse.

Wenig Freiheiten

Heute sieht die Lage etwas anders aus. Zwar sind die Youtuber „MrWissen2Go“, das Format „World Wide Wohnzimmer“, „Coldmirror“ und Phil Laude weiterhin beim öffentlich-rechtlichen Netzwerk – alle anderen genannten haben Funk jedoch in den vergangenen Wochen verlassen.

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Die Produzenten von „Simplicissimus“ begründen den Schritt wie folgt: Sie bräuchten mehr „Flexibilität, mehr Ruhe und keine externen Deadlines“, um künftig „wieder mehr experimentieren“ zu können, wie es in einem Video heißt. Funk hingegen sei ein „festes System“ mit „festen Prozessen und Abläufen“. „Wenn man so lange über Jahre in so einem System arbeite, laugt es irgendwann aus.“

Der zweite Punkt: Funk verbietet es, als öffentlich-rechtliches Netzwerk Werbung für kommerzielle Nebenprojekte zu machen, also etwa Merchandising oder andere Youtube-Kanäle. Zudem plane man einen zweiten englischsprachigen Kanal, für den die deutschen Videos übersetzt werden sollen – das funktioniere aber nicht, solange diese für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk produziert werden.

Umstrittener Youtuber sagt Tschüss

Ganz ähnlich klingt die Begründung des Kanals „Kurzgesagt“. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliege gewissen Regeln, die die Produktion eines Videos aufwendiger gemacht hätten, heißt es in einem Video. Der schwerwiegende Grund sei aber auch hier die Werbefreiheit beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Man habe nicht „über die anderen Dinge sprechen“ können, „die wir machen“. Dazu gehöre etwa auch ein Shop mit Produkten von Hoodies bis Plüschtieren.

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Auch der Youtuber Leeroy Matata verkründete in einem Video seinen Abschied vom Netzwerk. Als Begründung erklärt er, dass er durch die Auflagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingeschränkt worden sei. Zum Beispiel habe er keine Spendenaktionen durchführen dürfen. Ob dies wirklich der Grund für die Trennung war, ist jedoch fraglich: Zuletzt hatte es immer wieder deutliche Kritik an dem Format gegeben. Nicht wenige kritisierten, dass Leeroy mit seinen reißerischen Überschriften und mittelmäßig vorbereiteten Interviews nicht zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk passt.

Künftig sollen sowohl „Simplicissimus“ (1,2 Millionen Follower) als auch „Kurzgesagt“ (2 Millionen Follower) und Leeroy (2,43 Millionen Follower) durch Werbung finanziert werden. Dazu gehören die automatisierten Anzeigen auf der Plattform Youtube, aber auch externe Sponsoren. Wie das aussieht, lässt sich in einem aktuellen „Kurzgesagt“-Video beobachten: Hier folgt direkt nach einem Erklärstück über den Klimawandel ein animierter Werbeclip für ein Tool, das dabei helfen solle, den eigenen CO₂-Fußabdruck auszugleichen.

„Irgendwie schade, diese Art und Weise“

Mai Thi Nguyen-Kim ist unter den prominenten Abgängen eine Ausnahme – sie bleibt dem öffentlich-rechtlichen System zumindest im Fernsehen erhalten. Auch das Format „Game Two“ der Gaming-Gruppe „Rocketbeans“, wechselte kürzlich von Funk zu ZDFneo – nach eigenen Angaben war man aus der für Funk relevanten Zielgruppe herausgewachsen.

In der Youtube-Community wird der Schritt der Kanäle mit Interesse verfolgt. Der Youtuber Alex Prinz, auch bekannt als „Der dunkle Parabelritter“ kommentiert in einem Video: „Es ist mal wieder passiert, was immer passiert: Man hat gesagt: Ey, wir haben jetzt Bock auf öffentliche Gelder, wollt ihr uns den Aufbau unseres Kanals (...) querfinanzieren? (...).“ Und nun, wenn der Kanal sich selbst wirtschaftlich trage, etwa durch Werbefinanzierungen, streiche man die Segel. „Irgendwie schade, diese Art und Weise“.

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Auch die Youtuberin Alicia Joe kommentiert in einem Video, es gehe den Abtrünnigen wohl nicht ausschließlich um mehr Freiheit, sondern auch um „das Geld“.

Was sagt Funk?

Weit hergeholt ist die Theorie nicht. Generiert ein Youtube-Kanal zuverlässig und regelmäßig Videoaufrufe im hohen sechsstelligen Bereich oder mehr (beides ist bei „Simplicissimus“ und „Kurzgesagt“ der Fall), dann lassen sich allein durch Youtube-Werbung mehrere Tausend Euro mit einer Produktion verdienen. Hinzu kommen externe Werbepartner, die gewöhnlich noch deutlich mehr Geld für eine Werbeintegration zahlen. Hochgerechnet und zusammengerechnet mit Erlösen aus Merchandise-Artikeln oder Zuschauerspenden lässt sich damit womöglich deutlich mehr Geld verdienen als durch den monatlichen Festbetrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Funk selbst scheint die Abwanderungswelle allerdings nicht zu beunruhigen. Hier sieht man „stetigen Wandel“ als „notwendigen Bestandteil der Funk-Strategie“, wie die Pressestelle dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) auf Anfrage mitteilt. „Nach inzwischen mehr als sechs Jahren am Markt muss funk konsequent auf nachwachsende, junge Zielgruppen setzen, um weiterhin beweglich zu bleiben und das mit nahezu gleichbleibendem Budget.“ Für die abgewanderten Wissenschaftsformate arbeite man bereits an einem Ersatz – das Format „Sonne, Tod und Sterne“ etwa gehöre dazu.

Auf die unterschwellige Kritik in den Statements von „Simplicissimus“ und „Kurzgesagt“ antwortet Funk nur ausweichend. Man gebe den Formaten stets „den inhaltlichen Spielraum“, so die Pressestelle. Eine Auflage für alle Formate sei aber nun mal „das strikte Werbeverbot“.

Wie es mit den übrigen Star-Formaten im Funk-Netzwerk weitergeht, ist noch unklar. Eine Anfrage des RND ließen sowohl Phil Laude als auch „World Wide Wohnzimmer“ unbeantwortet. Nur Mikro Drotschmann alias „MrWissen2Go“ antwortete eindeutig: „Ich fühle mich wohl bei Funk und habe aktuell nicht vor, das Netzwerk zu verlassen. Für die jahrelange gute Zusammenarbeit bin ich sehr dankbar.“

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