Gegen das Vergessen: „Plan A“ erzählt die wahre Geschichte eines Racheversuchs für den Holocaust
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Rückkehr eines Totgeglaubten: Max (August Diehl) hat das Vernichtungslager überlebt, sein Zuhause aber findet er von einer Nazi-Familie besetzt vor. Szene aus dem Film „Plan A – Was würdest du tun?“.
© Quelle: Die Verwendung ist nur bei redaktioneller Berichterstattung im Rahmen einer Programmankündigung ab 2 Monate vor der ersten Auss
Wenn es heute etwas in Deutschland gibt, das völlig unfasslich und verabscheuungswürdig ist, dann ist es die Wiederkehr des Antisemitismus, der konstruierten, seit je grund- und vernunftlosen Verhasstmachung der Menschen jüdischen Glaubens. Nach der Aufarbeitung der Entrechtung und Vernichtung der deutschen und europäischen Juden im nationalsozialistischen Deutschland galt das „Nie wieder“ als für ewig ausgemachter Schwur. Und 2022, in der nunmehr 73-jährigen deutschen Demokratie/West, 33 Jahre nach dem Mauerfall, sind Übergriffe, Demütigungen und Beleidigungen wieder an der Tagesordnung. Wer also sagt: „Es reicht jetzt langsam mit den Filmen über die Schoah“, der muss sich sagen lassen: „Noch lange nicht.“
Und es sind auch beileibe noch nicht alle erzählenswerten Geschichten erzählt aus jener Zeit. „Nach wahren Begebenheiten“ steht dem Film „Plan A – Was würdest du tun?“ der israelischen Regisseure und Brüder Doron und Yoav Paz voran. Die deutsch-israelische Koproduktion handelt von der jüdischen Kampforganisation Nakam (hebräisch für Rache) oder eigentlich Dam Yehudi Nakam (das jüdische Blut wird gerächt werden), von der hierzulande kaum jemand je gehört hat.
Ziel von Nakam war eine Vergeltung für den Holocaust – nicht etwa beschränkt auf die politischen Kriegsverbrecher, die Mörder in den Einsatzgruppen und Vernichtungslagern, sondern erweitert auf prinzipiell alle Deutschen. Für die Nakam bestand für den Millionenmord eine Kollektivschuld – auch die Mitwisser, Dulder und Weggucker waren nach ihrem Dafürhalten Teil des Holocausts gewesen.
Zur Begrüßung einen Schlag mit dem Gewehrkolben
Das Erste, was der Jude Max (August Diehl), der nach dem Krieg in seine Heimat zu seinem Haus zurückkehrt, zu spüren bekommt, ist ein Gewehrkolben zwischen den Augen. „Das ist jetzt mein Haus!“, bellt ihn der Nazi, der sich mit seiner Familie auf seinem Grund breitgemacht hat, auf die Frage an, wieso er Max und seine Familie verraten habe. Um dann unmissverständlich zu drohen: „Glaub ja nicht, dass wir keine Juden mehr töten können, nur weil der Krieg vorbei ist.“
Noch hält Max die Hoffnung zurück, er könne seinen Sohn Benjamin und seine Frau Ruth wiederfinden. Mit dem alten Juden Avram (Yehuda Almagor), den er in den Ruinen der Synagoge trifft, in der er einst geheiratet hat, streift er durchs Land. Der Alte glaubt, im Vernichtungslager den Tod in einem Beutel gefangen zu haben und deshalb unsterblich zu sein. Gemeinsam treffen sie auf die Jüdische Brigade der britischen Armee. Nach Israel solle Max reisen, rät ihm deren Offizier Mikhail (Michael Aloni) – wenn seine Familie die Schoah überlebt habe, würde er sie da treffen.
Max erfährt vom grausamen Ende seiner Familie
Wird er nicht. Eine Frau erzählt ihm vom Tod seiner Lieben. Vom Graben, den sie im Wald ausheben mussten und der zum Grab Zahlloser wurde. Von Erschießungen von Hunderten, und dass die Nazis, als die Munition ausging, mit dem Messer weitergemordet hätten, und als sie dessen wiederum müde wurden, die restlichen Juden lebendig begruben. Noch am Morgen habe sich die Erde bewegt und dann nicht mehr.
Jetzt erscheint die eingangs aus dem Off gestellte Frage, der der Film seinen leider sperrigen Titel verdankt, in ihrer vollen Ungeheuerlichkeit: „Was, wenn ich dir sagen würde, dass deine Familie ermordet wurde? Stell dir das vor – nur für einen Moment. Was würdest du tun?“
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Hat Entsetzliches erlebt: Die Nakam-Kämpferin Ana (Sylvia Hoeks) erzählt Max (August Diehl) ihre Geschichte.
© Quelle: Die Verwendung ist nur bei redaktioneller Berichterstattung im Rahmen einer Programmankündigung ab 2 Monate vor der ersten Auss
Max schließt sich der Brigade an, die ohne Wissen der Briten auf eigene Faust SS-Leute liquidiert – sobald es für deren Untaten zwei unabhängige Quellen gibt. Eines Tages treffen sie auf einen Nazi, der aufgehängt wurde, „wie man Juden im Lager aufgehängt hat“, und der ein Schild mit der Aufschrift „Nakam“ um den Hals trägt. Im Wald begegnen sie dann den grundsätzlich Gleichgesinnten, die allerdings etwas Ungeheuerliches planen: das Trinkwasser großer deutscher Städte zu vergiften.
Für das Volk der Täter soll es keine Stunde eins geben
In farbentsaugten Bildern zeigt Kameramann Moshe Mishali das zertrümmerte Hitler-Reich, aus dessen Scherben schon bald darauf das Wirtschaftswunder erblühen soll mit seinen vergesslichen Schwamm-drüber-Deutschen, die sich dann erst in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren von der Generation ihrer Kinder massiv mit dem Holocaust konfrontieren lassen mussten.
In den Gesichtern der Nakam scheint sich das Wissen um das kommende Fehlen von Schuld, Reue und Sühne ihrer Peiniger als Zorn zu spiegeln. In ihren Träumen sind sie immer noch in den Lagern. Der Stunde null soll dem Tätervolk keine Stunde eins folgen dürfen. Max wird in der Wasserversorgung Nürnbergs eingestellt, bekommt Zugang zur Filteranlage und wird schließlich zum Doppelagenten. „Nie wieder gehen wir wie die Lämmer zur Schlachtbank“ ist das Credo von Nakam-Chef Abba (Ishai Golan), der die Mär vom Volk, das sich nicht wehrt, widerlegen will. Mikhail dagegen verpflichtet Max dazu, den Anschlag, komme was wolle, zu verhindern. „Die Welt würde uns mit anderen Augen sehen. Und wir würden unser Land nicht bekommen.“ Was wird er tun?
Es geht in diesem Mix aus Thriller und Tragödie um Israel, das damals noch zu gründende Land der Zuflucht aller Jüdinnen und Juden. Biblische Motive werden eingewebt. „Auge um Auge“ aus dem Buch Exodus oder die „50 Gerechten“, um derentwillen Sodom hätte verschont werden sollen, aus dem ersten Buch Mose, die aber auch in Nürnberg lange nicht zu finden sind. Dass man als Zuschauerin oder Zuschauer von Beginn an um das Scheitern des Vorhabens weiß – denn kein Geschichtsbuch berichtet von einem solchen Anschlag – macht „Plan A“ (es gab auch einen „Plan B“ der Nakam, von dem ein anderer Film berichten muss) nicht weniger spannend.
Bis zum aufgesetzten Actionfinale ist es die einzige Schwäche des Films, dass alle Figuren jenseits von Max blass und skizzenhaft bleiben. Bis Ana (Sylvia Hoeks) dann zu Fleisch und Blut wird in ihrer Trauer und ihrem Schmerz, ein Nakam-Mitglied, das grausigste Dinge erlebt hat, das von seinen Erinnerungen gequält wird und das trotzdem zum Symbol für Zukunft werden wird.
Und Max? Er öffnet den Beutel, den ihm Avram hinterlassen hat. Ob wohl der Tod herauskommt?
„Plan A – Was würdest du tun?“, 110 Minuten, Regie: Doron und Yoav Paz, mit August Diehl, Sylvia Hoeks, Michael Aloni, Ishai Golan, Yehuda Almagor (ab 10. Juni bei Sky)
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