Blondinen bevorzugt: Die rasante Karriere der Michelle Hunziker
Man muss ihr Schaffen nicht mögen. Man darf ihr offensives Lachen ablehnen, ihre permanente Fröhlichkeit, ihren zwanghaften Hang, jeden mittelmäßigen Scherz von Thomas Gottschalk für einen Brüller zu halten. Dafür wird sie schließlich vom ZDF bezahlt. Aber man kann nichts dagegen sagen, dass diese Frau Erfolg hat. Es ist freilich eine Dieter-Bohlen-Variante des Erfolgs: Nicht Qualität, Phantasie, Einfallsreichtum zählen, nicht Kritikerlob oder Kunstfaktor, wichtig sind einzig und allein: Quoten, Zahlen, Zuschauer. Das aber dafür in weiten Teilen Europas.
Michelle Yvonne Hunziker hat das Multinationale in den Genen: Geboren wird sie 1977 im Tessin in der italienischen Schweiz. Sie wächst in Ostermundigen bei Bern auf – demselben Ort, aus dem auch Bond-Girl Ursula Andress stammt, noch so eine globale Musterblondine. Ihre Mutter ist Holländerin, ihr Vater Deutschschweizer, ein Kunstmaler, der 2001 starb. Nach der Scheidung der Eltern ziehen Mutter und Tochter nach Bologna, dann nach Mailand. „Es war ein Drama“, sagt Hunziker, „ein echtes Trauma für mich. Ich konnte kein Italienisch, mein Schulabschluss war nichts wert, ich fühlte mich als Fremde und wusste nicht mehr, wer ich bin.“ Sie sucht das Scheinwerferlicht, offensiv. „Diesen Beruf wählt man nur, wenn man Zuneigung sucht. Ich suchte die Bestätigung, dass mich irgendjemand liebt.“ Mit 17 Jahren posiert Michelle 1994 als Model für Armani und La Perla. Wenig später wird ihr Po zum „schönsten Italiens“ gekürt. Wochenlang ist Mailand zugepflastert mit Fotos ihrer Rückansicht im Stringtanga.
Es folgt: eine ziemlich heftige Liebesgeschichte zwischen dem traditionell blondinenversessenen Italien und dieser schönen Schweizerin, über die ZDF-Fernsehkoch Horst Lichter vor ein paar Tagen sagte, an ihr habe Gott gezeigt, „wie es gehen könnte“. Schnell zeigt sich damals, dass Hunziker mehr kann (und will) als die anderen platinblonden TV-Assistentinnen in ihren dünnen Kleidchen, die scharenweise das Berlusconi-Fernsehen überschwemmen.
Sie nimmt Schauspielunterricht in Los Angeles, sie moderiert diverse Shows und Festivals – bevor sie am 13. August 1995 in einer Mailänder Diskothek dem Mann begegnet, dessen Songs sie auswendig kennt, den sie anhimmelt, seit sie ein Teenager war: Popstar Eros Ramazotti. Was folgt, ist ein Fest für den Boulevard: große Gefühle, Liebesschwüre, eine pompöse Hochzeit mit Gaststar Tina Turner, die Geburt der Tochter Aurora Sophie 1996 – und dann Streit, Tränen, Trennung, Scheidungskrieg, ausgerechnet im verflixten siebten Jahr. Das Drama gipfelt 2002 in einem bösen Satz des auf die rasante Karriere seiner Frau eifersüchtigen Italo-Machos Ramazotti: „Mit einer Italienerin wäre das nicht passiert.“
Die Klatschpresse bleibt dran: Der neue Mann an Hunzikers Seite wird 2002 ihr früherer Chauffeur Marco Sconfienza. Die Sache hält nur knapp drei Jahre. Ramazotti bleibt, wie Hunziker vor ein paar Wochen wieder sagte, „mein Lebensmensch, meine einzige große Liebe“. Und auch er bekannte: „Seit der Scheidung hatte ich zwar oft Sex, aber am Ende war ich einsamer als vorher.“
Schon 1998 feiert Hunziker ihre Fernsehpremiere in Deutschland: Mit Gottschalk moderiert sie damals die Verleihung der „Goldenen Kamera“ im ZDF. Ihren Durchbruch schafft sie hierzulande dann 2002 als Komoderatorin der ersten beiden Staffeln der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“. 2007 moderiert sie das Musikfestival von San Remo – Italiens Antwort auf den Eurovision Song Contest, dem sich das Land beharrlich verweigert. Hunziker kassiert für fünf Abende 1,6 Millionen Schweizer Franken (1,09 Millionen Euro). Spätestens jetzt ist sie angekommen auf dem europäischen Fernseholymp.
Flops? Gibt es auch. Ihre Sangesbemühungen scheitern, ihr Debütalbum „Lole“ von 2006 wird wohl ihr einziges bleiben. Für ihre Vorher-Nachher-Show „Cinderella“ kassiert sie heftige Prügel in der Schweiz – ungewohnt für sie, nachdem sie in Italien vor Liebe erdrückt worden war. „Mit Kritik“, sagt die 33-Jährige, „kann ich seitdem gut umgehen“. Seit Oktober 2009 soll sie als dekorative Bereicherung dem alternden Gottschalk in „Wetten, dass...?“ auf die Sprünge helfen. Viel mehr als „Hahaa! Thomaass!“ war zunächst nicht von ihr zu hören, auch quotenmäßig riss der ZDF-Klassiker zuletzt selten die Zehn-Millionen-Marke. Und dennoch: Hunziker ist angekommen im ZDF.
Ihr Geheimnis: Sie funktioniert überall. Sie verkörpert die Essenz dessen, worauf sich Europa bei der TV-Unterhaltung einigen kann, quasi den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Portugal und Polen: blond, schlau, dauerfröhlich, ohne Ecken und Kanten. Sie ist die prototypische Euro-Blondine. Sie tut nicht weh, sie schmückt jede Show, sie ist klüger, als sie tut. Eine ganze Batterie von weiblichen paneuropäischen Stars funktioniert inzwischen nach diesem Schema – von Heidi Klum bis Claudia Schiffer, von der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin bis zu der schwedischen Leichtathletin Carolina Klüft, von der Holländerin Linda de Mol bis zur ewig lächelnden Fußballergattin Sylvie van der Vaart, die selbst ihre Brustkrebserkrankung europaweit zum Boulevardthema machte. Während die Politik noch nach einer gemeinsamen europäischen Medienidentität sucht, quasi einem übernationalen Nachrichtenkosmos, kristallisiert sich im Entertainment langsam eine europäische Öffentlichkeit heraus mit Stars, die sich über Landesgrenzen hinweg vermarkten und sich auf den roten Teppichen in Rom, Berlin oder Amsterdam gleichermaßen zu Hause fühlen.
Hunziker hat dieses Prinzip perfektioniert. Sie spricht fließend Deutsch, Italienisch, Französisch, Niederländisch und Englisch. Sie kommt gerade Recht auf einem Fernsehmarkt, der nicht mehr nur fröhlich Formate austauscht, sondern die Stars gleich mit. John Travolta, der sie kürzlich für einen Werbespot buchte, nachdem er sie bei Youtube tanzen gesehen hatte, nennt sie „ein vollständiges Showgirl“.
„Ein Star ist ein Mensch, der überall zu Hause ist, nur nicht bei sich selbst“, hat Sammy Davis Jr. mal gesagt. Das galt einst auch für Michelle Hunziker. Inzwischen aber scheint sie da ganz bei sich selbst zu sein, wo Ländergrenzen verschwimmen.