Doppelagenten der Comedy
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Es sind die Autorenteams, die Oliver Welke (Foto) in der ZDF-„heute-show“ und Christian Ehring in der - gerade nach nur 38 Jahren ins Erste aufgerückten - NDR-Satireshow „extra 3“ gut aussehen lassen.
© Quelle: Willi Weber
Schon klar, Reiner Calmund ist dick, Angela Merkel macht diese Sache mit den Händen, und Philipp Lahm ist der kleinste Abwehrrecke der Welt. Claudia Roth nervt, die Bahn kommt zu spät, und Veronica Ferres kann’s nicht. Hat jeder „Kennt ihr das?“-Komiker und Kirchenkreis-Kabarettist drauf. Als Stand-up-Comedian kann man über Jahre mit dem ewig gleichen „Kennstekennstekennste?“ die Hallen füllen, aber bei wochenaktueller TV-Satire muss ständig neuer Stoff her, frische Running Gags für die gefräßige Scherzmaschine. Die Halbwertzeit von Nachrichtensatiren ist kurz, manchmal endet sie schon, während die Nummer noch läuft.
Es sind die Autorenteams, die Oliver Welke in der ZDF-„heute-show“ und Christian Ehring in der - gerade nach nur 38 Jahren ins Erste aufgerückten - NDR-Satireshow „extra 3“ gut aussehen lassen. Natürlich sind beide auch außerdienstlich keine miesepetrigen Bestattertypen. Man kann ja nur mit Humor überleben, wenn man - wie Welke - als Kind sein Gesicht für die Wurstmarke „Knacker Einfach“ hergeben musste. Für die Grundlast an konstruktiver Häme allerdings sind Autoren zuständig. Und die sind bei den beiden erfolgreichsten TV-Satireshows des Landes nicht selten dieselben.
Es gibt halt nicht viele Gute. Die politische Spaßindustrie hierzulande ist ein kleiner, tapferer Haufen wehrhafter Recken, die im Dienste der Satire munter die Lager wechseln. „Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Ehring. Daran ist nichts auszusetzen, die Kinder schreien nach Brot - und warum nicht die Besten nehmen, wenn man die Besten kriegen kann? Aber die Doppelbuchungen werfen ein Schlaglicht auf den Mangel an guten Comedy-Autoren im Land.
Dietmar Jacobs etwa, einer der profiliertesten deutschen Gagautoren (der zum Thema „Das Kabarett der DDR in der Ära Honecker“ promovierte und einst die ZDF-Sitcom „Das Amt“ mit Jochen Busse erfand), schreibt für „heute-show“ und „extra 3“. Auch der Filmemacher und Autor Andreas Coerper - der für seine dreiteilige ZDFneo-Serie „Sonneborn rettet die Welt“ gerade einen Grimme-Preis bekam - arbeitet für beide Shows. Den sichtbarsten Job als Doppelagent macht Christian Ehring, der nicht nur jeden Donnerstag im NDR und einmal monatlich in der ARD „extra 3“ moderiert, sondern freitags auch noch nebenan in der „heute-show“ auftritt. „Für ,extra 3‘ brauche ich gut vier Tage in der Woche“, sagte er dem Branchendienst DWDL.de. Am Donnerstag - während er in Hamburg „extra 3“ aufzeichnet - kommen per Mail aus Mainz seine Texte für die „heute-show, die er tags darauf dreht. „Ich war etwas unsicher, ob ZDF und NDR keine Probleme damit haben würden“, sagt er. Hatten sie nicht. Das nennt man wohl: Narrenfreheit.
Auch Micky Beisenherz, der gefragteste deutsche Gagautor, tanzt auf vielen Hochzeiten: Er schreibt im wöchentlichen Wechsel für die „heute-show“ und neuerdings für „extra 3“, sein größter Erfolg aber ist das „Dschungelcamp“. Dass selbst gestandene „FAZ“-Redakteure sich das RTL-Trashspektakel zum Feuilletonevent schöngrübeln, ist vor allem seinen tödlichen Sottisen zuzuschreiben.
Und die anderen? Der „heute-show“-Fieldreporter Lutz van der Horst schrieb schon für die „Wochenshow“, „Rent a Pocher“, „TV total“, „Switch reloaded“, „Sechserpack“ und „Harald Schmidt“, ließ sich bei Raab als Blasehase und in der Reihe „Günnis letzte Chance“ fröhlich demütigen - und war auch zu Gast bei „extra 3“. Neben seinem aktuellen ZDF-Job arbeitet er als Außenreporter bei „Zimmer frei“ - im WDR. Martina Hill („Tina Hausten“ in der „heute-show“) wurde bei „Switch“ (Pro7) zum Star, ebenso der begnadete Parodist Max Giermann, inzwischen für Pro7 und den NDR aktiv. Ralf Kabelka („Dr. Udo Brömme“), Ex-Redaktionsleiter bei „Schmidt & Pocher“, arbeitet für die „heute-show“ und das „Neo Magazin“. Und „heute-show“-Chefautor Morten Kühne aus Bad Pyrmont war Kameramann bei Truckrennen, bevor er für „Ladykracher“, „Switch“ und Bastian Pastewka textete. „Viele Comedians kommen aus der Provinz“, sagt er. „Vielleicht entwickelt man da den nötigen Zynismus.“ Die öffentlich-rechtliche Spaßguerilla ist ein kleiner Zirkel.
In einem Land, in dem „Humor“ als Schmuddeldisziplin gilt wie weiland der Tanz, in dem Kabarettzuschauer „huuh!“ machen, wenn einer „Hitler“ sagt, gibt es keinerlei Scherzhandwerkstradition wie im Angelsächsischen. Comedy galt als ein Job für Langschläfer, Schulabbrecher und Headbanger. Es sind seltsame Vögel, so viel steht fest.
„Berufshumoristen arbeiten immer die Demütigungen des Schulhofs ab“, sagte Welke in einem Interview. Er selbst, Oliver Kalkofe und „heute-show“-Kollege Dietmar Wischmeyer sind die drei erfolgreichsten Ex-Protagonisten des unvergessenen „Frühstyxradios“ bei Radio ffn. Solche Schmieden braucht das Land.
Und der Nachwuchs heute? Manche machen aus der Not eine Tugend. Thomas Rogel etwa, seit 2009 Autor der „heute-show“ und Geschäftspartner von Lutz van der Horst im Autorenbüro N20 (die chemische Formel für Lachgas), gibt selbst Seminare unter dem Motto „Comedy - aber lustig“. Die Themen: „Sketche aus dem Nichts“, „Der Aufzieher-Sketch“, „Das unangemessene Verhalten“, „Die Eskalation“, „Figuren-Sketche“. Ein Wochenende kostet 240 Euro. Dafür musste man früher zwei bis drei Gags an Harald Schmidt verkaufen. Über Reiner Calmund zum Beispiel. Der ging immer.