Enissa Amani kontert den WDR: Eine Lehrstunde für Almans
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Enissa Amani auf dem roten Teppich bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises 2019 im Admiralspalast in Berlin.
© Quelle: picture alliance / Eventpress
Berlin. Was tut man, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Talkshow vergeigt, damit Rassismen fördert und die Sache dann einfach auf sich beruhen lässt? Man produziert einen Gegenentwurf. Auf eigene Fast, mit eigenem Budget, ohne großen Sender, aber mit Gästen, die deutlich mehr zu sagen haben als Jürgen Milski.
Die Komikerin Enissa Amani hat genau das getan. Ihre Youtube-Talkshow „Die beste Instanz“ feierte am Dienstagabend Premiere und wurde inzwischen rund 80.000-mal abgespielt. Der Name des Formats ist eine Anlehnung an die verunglückte WDR-Sendung „Die letzte Instanz“, in der sich unter anderem Milski und seine Kollegin Janine Kunze dafür starkgemacht hatten, für Paprikasoße doch bitte weiterhin einen rassistischen Begriff verwenden zu dürfen.
Mehrfach habe Amani auf Social Media darum gebeten, dass ein Fernsehsender doch bitte eine Show ausstrahlen möge, in der ein diverses Panel geladen werde, das sich mit der Thematik des Rassismus und diskriminierender Sprache auch tatsächlich auskenne. Passiert sei das nicht. „Also hab ich gesagt: Ich mach‘s selber“, erklärt die 39-Jährige gleich zu Beginn der Sendung.
Worte, die traumatisieren
Geladen sind der Publizist Max Czollek, die Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Natasha A. Kelly, Nava Zarabian von der Bildungsstätte Anne Frank, der Comedian und Aktivist Gianni Jovanovic sowie der Journalist Mohamed Amjahid. Und was folgt ist eine erleuchtende Erklärstunde zum Thema rassistische Sprache für Jürgen Milski und Janine Kunze. Oder für die weiße „Mehrheitsgesellschaft“ oder „Dominanzkultur“, wie einige Teilnehmer sie bezeichnen. Oder, um es mit den Worten des Journalisten Amjahid auszudrücken: für die „Almans“.
Gianni Jovanovic, selbst Roma, erläutert zunächst die Problematik mit der Schnitzelsoße. Das „Z-Wort“ habe mit dem Genozid an den Sinti und Roma zu tun, bei dem zwischen 1939 und 1945 mindestens eine halbe Million Menschen ihr Leben verloren, wenn nicht mehr. „Sie wurden deportiert, das Wort wurde Menschen in die Haut eintätowiert, man hat sie gekennzeichnet. Darum ist es so gewaltvoll und retraumatisierend für mich“, erklärt er.
Sicherlich habe man in Deutschland die Möglichkeit, alles zu sagen, was man wolle. Es gebe aber verletzende und traumatisierende Sprache, die andere als „Untermenschen“ definiere. Diese Art von Rassismus werde von der Mehrheitsgesellschaft schlicht legitimiert.
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Die Sprache ist nur der Anfang
Warum das überhaupt passiere, versucht Max Czollek zu erklären: „Das Interessante an der Dominanzkultur ist die Arroganz, mit der sie die Gegenwart wahrnimmt.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass es eine Verletzung gebe, die andere betrifft, aber nicht sie selbst. Natasha A. Kelly meint: Die Dominanzgesellschaft spreche aus einer vermeintlich neutralen Position und verleihe sich selbst eine gewisse Objektivität. „Und die Bewertung dessen, was gesagt wird, liegt auch bei ihnen.“
Das sei aber höchst problematisch. Der Journalist Mohamed Amjahid ist sich sicher: Bei Sprache endet es nicht. „Heute sagst du das Z-Wort, morgen tätowierst du es einer bestimmten Minderheit in den Arm, übermorgen haben wir ja gesehen, was passiert ist. Wichtig ist zu sehen, dass die Diskussion um inklusive Sprache nicht als Selbstzweck dient. Wir haben nicht einfach zu viel Zeit und Bock oder nichts Besseres zu tun (...). Hier geht es um Existenzen, um eine Selbstverteidigung, weil diese diskriminierende und ausgrenzende Sprache in einen Machtmissbrauch mündet.“ Dieser sei beispielsweise bei der Polizei erkennbar, etwa wenn Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert würden. Aber auch der rechtsextreme Anschlag von Hanau wird in der Diskussionsrunde häufig genannt.
Die Wut über das Thema ist in der Diskussionsrunde deutlich spürbar – nicht zuletzt deshalb, weil die Runde es augenscheinlich nicht zum ersten Mal erklären muss. Als es um die Sichtweise der Mehrheitsgesellschaft auf die Black-Lives-Matter-Bewegung geht, bricht es dann aus Amjahid heraus: „Weißt du, was richtig peinlich ist? Almans in general.“
Warum „Alman“ keine Beleidigung ist
Amani will das aber nicht so stehen lassen. Viele ihrer Follower würden argumentieren, dass ja auch Weiße häufig beleidigt würden – beispielsweise durch Begriffe wie eben „Alman“. Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly dementiert.
Bemerkungen wie „Alman“ unterschieden sich ganz eindeutig vom N-Wort oder vom Z-Wort. „Niemand ist gestorben, aufgehängt worden, in Ketten gelegt worden, über die Meere gefahren worden, gelyncht worden, weil er Alman genannt wurde“, betont sie. Letztendlich sei das Wort auch nur eine Übersetzung für „Deutscher“. Und laut Amjahid zudem eine „urbane Art und Weise, genau diesen Unmut zu reflektieren und zu sagen: Hier ist irgendwas nicht okay.“
Ein weiteres Argument ihrer Follower, beobachtet Amani, sei ja auch, dass viele Schwarze selbst ja gar nichts gegen rassistische Begriffe hätten. Als Beispiel zieht sie den Chef eines Kieler Restaurants heran, der selber schwarz sei, sein Restaurant aber dennoch Zum Mohrenkopf nenne.
Auch diese Argumentation will die Kommunikationswissenschaftlerin Kelly nicht stehen lassen. Sie selbst, ebenfalls schwarz, habe sich in ihrer Jugend auch nicht mit der Problematik auseinandersetzen wollen. Dass Sprache in Gewalt münden kann, sei ein Wissen, das nicht angeboren sei und das man sich aneignen müsse. Wenn nun eine schwarze Person keine Probleme mit rassistischer Sprache habe, liegt das laut Kelly daran, dass diese den Rassismus internalisiert haben könnte. Nur weil sich jemand nicht mit dem Thema befassen wolle, heiße das nicht, dass es weniger rassistisch sei.
Fortsetzung ungewiss
Neu sei die Diskussion derweil nicht, ist sich die Runde einig. Allein Kelly forsche schon seit 25 Jahren zu dem Thema. Neu sei jedoch, dass Minderheiten inzwischen auch Widerspruch leisten würden. Vor einigen Jahren sei es noch nicht möglich gewesen, „einfach zu Enissa Amani zu gehen“ und eine Talkshow zu machen, stellt Amjahid fest. Heute ginge das. „Das können wir nicht mehr abschalten.“
Ob ihre eigene Sendung weiter angeschaltet bleibt, lässt Amani zum Ende übrigens offen. „Vielleicht ist das nicht das letzte Mal gewesen. Vielleicht mach ich das jetzt regelmäßig.“ Wünschenswert wäre es, denn in dieser erfrischenden Art und Weise dürfte das Thema rassistische Sprache in 15 Jahren Maischberger, Plasberg und Co. noch nie besprochen worden sein.
Fraglich bleibt am Ende nur, warum Amani diese Runde überhaupt eigenständig ins Leben rufen musste. Denn was eine Komikerin so kurzfristig mit Privatbudget schafft, das hätte der WDR schon lange geschafft. Er hätte es nur wollen müssen.