„Unser Star für Oslo“

Fräulein Wunder: Wie Lena Meyer-Landrut zum Star wurde

Es ist die totale Reizüberflutung. Dieser Kokon aus Aufmerksamkeit, der dich plötzlich umgibt. Die Fotografen im hannoverschen Brauhaus Ernst August, die dich beim Feiern knipsen. Die Typen, die merkwürdige Sachen über dich ins Internet schreiben („Als Gott dich gemacht hat, hatte er echt ‘nen geilen Tag“). Die Fans, die dich schon jetzt zur größten Grand-Prix-Hoffnung seit Nicole erklären. Die unausgesprochenen Erwartungen. Und dazu die Kerle bei Facebook, die meinen, dich zu kennen, weil sie dich drei Minuten lang hüpfen und tanzen gesehen und singen gehört haben.

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„Mit 41 bin ich ja eigentlich zu alt für sowas“, hat neulich einer geschrieben, „aber für Dich würde ich noch mal den Schlafsack vor der Konzerthalle ausrollen, um dann am nächsten Tag in der ersten Reihe hysterisch zu kreischen und Stofftiere zu werfen.“ Plötzlich redet Marius Müller-Westernhagen über dich, und du bist in der „Bunte“.

Eine dreiminütige One-Girl-Show in Stefan Raabs „Unser Star für Oslo“ genügte, um aus einer niedersächsischen Abiturientin eine deutsche Pophoffnung zu machen. Wie soll man da nüchtern bleiben? Lena Meyer-Landrut steht inmitten des Trubels. Wollmütze auf dem Kopf, schwarze Klamotten. Sie lacht, sie trinkt Bier, aber nur, wenn die Fotografen es nicht sehen. Der Wahnsinn macht ihr Spaß, das kann man sehen. Sie wirkt fröhlich, cool, unverkrampft, als sei sie es gewohnt, heimlicher Mittelpunkt einer Party zu sein. Aber das hier, die Sache mit dem Eurovision Song Contest, ist doch eine Nummer größer. „Ich habe nicht mit so viel Resonanz gerechnet“, sagt sie. „Eher mit gar nichts.“

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Was jetzt passiert, ist das Gegenteil von „gar nichts“. Deutschland hat sich in eine 18-Jährige aus Hannover verknallt und nimmt teil an ihrer öffentlichen Popstarwerdung. Wie fühlt sich das an? „Ich wusste ja ungefähr, worauf ich mich einlasse“, sagt sie. Aber: Plötzlich Fans zu haben – ein merkwürdiges Gefühl. Ja, sie will singen. Ja, sie will mit ihrer Musik Erfolg haben. Aber so ist das mit der Liebe: Sie hält sich nicht an Grenzen. Und plötzlich ist auch ihr Liebesleben ein Thema in der Straßenbahn, und Hunderte diskutieren bei YouTube über ihren staubtrockenen, etwas rumpeligen Nora-Tschirner-Humor. „Die Leute sollen meinen Gesang toll finden“, findet Lena, „und nicht meine persönliche Geschichte“. Man könne, glaubt sie, „seine Persönlichkeit präsentieren, ohne sein Privatleben auszubreiten“. Das klingt mehr nach Hoffnung als nach Gewissheit, und natürlich hat sich die Berliner „B.Z.“ schon nach dem tieferen Sinn des kleinen Lilien-Tatoos auf ihrem linken Oberarm und nach eventuellen Liebschaften erkundigt.

„Normal bleiben, zufrieden sein“ – das sind so die Ziele, die Lena Meyer-Landrut sich vorgenommen hat. Sie mag Kate Nash und Wir sind Helden, Clueso und eben die britische Songschreiberin Adele, deren Titel „My Same“ sie vor 14 Tagen in Raabs Show sang. Das war ihr Fernseh-Urknall, trotz der Aufgeregtheit („Es war, als hätte ich 38 Mettklopse im Hals.“) Sie hatte Ballettunterricht, sie tanzt, seit sie fünf ist. Aber viel mehr will sie nicht sagen.

Natürlich hat sie sich schon selbst gegoogelt und dabei festgestellt, dass 98 Prozent der Menschen sie mögen, Privates und Professionelles aber nicht so leicht zu trennen sind. Das Publikum hat sich daran gewöhnt, beides zu bekommen – und drängt gleichzeitig auf den Erhalt des raren Gutes „Natürlichkeit“. Je künstlicher die Helden der Gegenwart, desto angenehmer die sympathische Unbekümmertheit einer jungen Newcomerin. Und so soll Lena beides sein: glamourös und normal, fröhlich und ernsthaft, cool und kokett, Abiturientin und Superstar. „Werd’ reich und berühmt, aber bitte nicht eingebildet“, fordert ein Fan. Man braucht schon viel Stabilität, um dabei nicht wunderlich zu werden. Die Produktionsfirma Brainpool ahnte früh ihren Starappeal und hat sich die Internetadresse www.lenameyerlandrut.de schon im November gesichert.

„Von null auf hundert berühmt zu werden, ist die irrste Bewusstseinsexplosion, die man sich vorstellen kann“, hat Robbie Williams mal gesagt. Nun ist es noch ein weiter Weg von Castingkandidatin Lena Meyer-Landrut zu Superstar Robbie Williams. Aber: Erfolg ohne Ruhm – das wäre die ideale Formel für beide. Singen, Platten verkaufen, in Shows auftreten, aber in Ruhe gelassen werden. Das wär’s. An dem Versuch, Image und Selbst in Einklang zu bringen, ist schon mancher gescheitert. Lena Meyer-Landrut versucht, erst gar kein Image entstehen zu lassen, immer sie selbst zu sein, keine Kunstfigur. Zuschauer mögen das, Medien nicht. Sie suchen nach Schubladen, Schemen, Mustern. Genau aus diesem Grund hätte sie bei „Deutschland sucht den Superstar“ niemals teilgenommen, sagt sie.

„Man kann sich wehren“, sagt einer, der die Achterbahnfahrt von null auf hundert und zurück schon hinter sich hat: Max Mutzke aus Krenkingen in Südbaden, einst Sänger der Funkband Project Five, den Stefan Raab 2004 in „Stefan sucht den super Grand Prix Star“ (SSDSGPS) entdeckte. Die Vereinnahmung durch die Öffentlichkeit, sagte Max damals, müsse nicht sein. Konsequent verweigerte er sich den Styling-, Image-, PR- und Frisurenprofis. Ebenso wie Raabs zweite Entdeckung Stefanie Heintzmann, die gleichfalls sie selbst zu bleiben versucht, samt Piercing und Brille.

Der heute 28-Jährige Max, der damals wie Lena mitten im Abitur steckte, erlebte die Wochen seines Siegeszuges wie im Rausch – auf dem Höhepunkt wurde er mit Raabs sanftem Titel „Can’t wait until tonight“ in Istanbul Achter. Hartnäckig ignorierte damals die „Bild“-Zeitung – die mit Raab traditionell auf Kriegsfuß steht – seinen Höhenflug. Und als dann endlich doch mal eine „Bild“-Geschichte erschien, da war es ein „Skandal“, bei dem Max angeblich als „Zechpreller überführt“ worden war. Alles gelogen. „Bild“ musste eine Gegendarstellung drucken. Ein Angebot von „Bild“ über 5000 Euro lehnten Raab und Max ab. Da müssen sie richtig Spaß gehabt haben. Soll heißen: Man muss das Spiel nicht mitspielen.

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Max' Schicksal ist die Blaupause für Lenas Leben in den nächsten Wochen. "Ich denke immer nur bis zum nächsten Punkt. Sonst wäre es für mich selber nicht gut", hat er damals gesagt. Er hat zwei mittelgute und ein sehr gutes Album ("Black Forest") gemacht und steht heute nicht schlecht da. Zurzeit ist er für sein viertes Album im Studio.
Und Lena? Irgendwas ist dran an dieser 18-Jährigen, das einen glauben lässt, dass sie den Wirbel unbeschadet überstehen kann. Sie hat noch nicht gewonnen. Aber verlieren kann sie auch nicht mehr.

„Unser Star für Oslo“ mit Lena Meyer-Landrut und dem zweiten hannoverschen Kandidaten Cyril Krüger, Dienstag, 20.15 Uhr, PRO7.

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