Festival des Fremdschämens

Riemann vs. Baumgarten: Die Ehrliche ist die Dumme

Foto: Riemann vs. Baumgarten – es ist das TV-Duell der Stunde, ein Festival des Fremdschämens.

Riemann vs. Baumgarten – es ist das TV-Duell der Stunde, ein Festival des Fremdschämens.

Hamburg. Versetzen wir uns kurz in den Kopf von Katja Riemann. Es ist Donnerstagabend, es nieselt in Hamburg, die Bernhard-Schlink-Verfilmung, die wir zu promoten haben, ist eher so mittelmäßig. Wir sind Schauspielerin, wir haben feine, kluge Filme gemacht, aber alle Welt erinnert sich bloß an „Abgeschminkt!“, „Stadtgespräch“ und „Bandits“, das war vor ungefähr 20 Jahren. Vielleicht war auch irgendwas Doofes im Kaffee, jedenfalls sitzt da dieser blonde Typ, der früher mal Super!Hit!Ansager beim Privatradio war, im fliederfarbenen Hemd auf dem roten Sofa im NDR-Studio und sagt „Musik“. Und das soll jetzt tatsächlich eine Frage sein. Musik? Eh? Wie heißt noch mal die Sendung? „DAS!“? Was soll das überhaupt heißen? Was tue ich hier? Wer bin ich? Und wenn ja, wie lange noch?

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Riemann vs. Baumgarten – es ist das TV-Duell der Stunde, aber auch ein Dokument der Authentizität, dessen Reiz in der Tatsache liegt, dass hier ein Blendermedium für Augenblicke die Maske sinken lässt. Dass hier zwei Menschen zu reden versuchen, denen es nicht gelingt, im Rahmen der üblichen professionellen Reflexe ihre Antipathien zu verbergen. In der sekundengenau durchgetakteten TV-Welt ist kaum Raum für Unperfektes, umso größer die diebische Freude des Publikums an jedem Moment der Entlarvung. Nein, es ist nicht schön, sich diese Ruine von Gespräch anzuschauen, ans Licht geholt von Medienjournalist Stefan Niggemeier. Und doch taten es bis Donnerstag knapp 1,2 Millionen Menschen bei YouTube. Und Tausende kommentieren den kommunikativen Totalschaden – so viele, dass Riemann ihr Facebook-Konto sperrte, um nicht vom Shitstorm davongespült zu werden.

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Es treten auf: ein schlecht vorbereiteter Parlando-Generator namens Hinnerk Baumgarten, der sich nie vom trivialen Drei-Superhits-am-Stück-Ton des Privatradios gelöst hat und vom Vogelforscher bis zur Ballerina mit monotonem Minimalaufwand jeden Gast weg interviewt, der neben ihm Platz nimmt. Sein ganzer Habitus fordert: Komm’ Mädel, mach’ dich mal locker, ist doch nur ein Späßchen hier. Und eine Schauspielerin, die offenbar erwartet hatte, hier bei James Lipton in „Inside The Actors Studio“ zu sitzen. Die einfach nicht in der Stimmung ist, sich auf Kosten der Kunst in die Niederungen der Massenverblödung herabzulassen. Und die dafür jetzt tausendfach mit dem Stempel „Zicke“ abgestraft wird. Obwohl sie in diesem „Gespräch“ die bessere Figur abgibt.

"Ich bin sehr, sehr froh, dass Sie Ihre blonden Locken haben", wanzt sich Baumgarten heran. Im Film "Das Wochenende" nämlich trägt Riemann glatte, braune Haare. Für Baumgarten ein Mirakel. "Wie haben Sie das gemacht, mit diesen Haaren?"
Riemann, irritiert: "Das ist eine Perücke!". Sie lacht ungläubig.
Baumgarten: "Ganz einfach?"
Riemann: "Äh, ganz einfach, ja."

Stellenweise guckt sie Baumgarten an wie etwas, das heute morgen noch tot auf der Bundesstraße lag

Und so geht das weiter, minutenlang. Baumgarten wirft verzweifelt immer neue Stichworte in den Ring („Musik!“), um Riemann mehr zu entlocken als ein amüsiert-irritiertes Grinsen („Die Frage verstehe ich nicht“). Und die lässt freundlich lächelnd  keinen Zweifel daran, dass sie dem Mann, der doch bloß so gerne ein paar bunte, unverbindliche Sätzlein hören würde, weit überlegen ist („Haben Sie diese Frage jetzt ganz im Ernst gestellt?“). Stellenweise guckt sie Baumgarten an wie etwas, das heute morgen noch tot auf der Bundesstraße lag.

Was für eine Gefühllosigkeit, einen Filmbeitrag über die gerade verstorbene Rosemarie Fendel einzubauen und dann voll auf Riemanns Tränen zu zoomen. Was für ein Machismus, auf Riemanns blonden Locken herumzureiten, als sei das hier ‘ne Stranddisco am Ballermann. Aber auch: Was für ein Irrtum von Riemann, hier mehr zu erwarten als den Austausch von Plattitüden. In einer Stellungnahme warf sie Baumgarten mit infantilem Trotz vor, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben, was der NDR zurückwies. Im Übrigen, piesakt Riemann weiter, sei es „irre lustig, wenn ein Moderator zwischen den Gesprächen sich in der Kamera spiegelt und laut äußert, wie geil er aussieht“. Und ja, sie habe schon bessere Interviews gegeben – aber: „It needs two to Tango, das ist klar!“ Nimm das, Hinnerk.

Auch Götz George tappte 1998 in die Anspruchsfalle

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Und so reiht sich diese verbale Karambolage ein in den Reigen unvergessener Talkshow-Streitszenen, die das rätselhafte Medium Fernsehen gleichermaßen entzaubern und mystifizieren. Auch Götz George tappte 1998 in die Anspruchsfalle, als er auf Thomas Gottschalks „Wetten, dass...?“-Sofa pöbelte: „Komm auf den Film zu sprechen, der ist mir wichtiger, als was du redest...“. 2003 kam es zur Fortsetzung  des Streits (Gottschalk: „Dann mach’ du deine Kunst und ich mach’ meinen Quark hier!“) – aber diesmal nur gespielt.

Der gemeinsame Nenner aller Protagonisten: das Gefühl des Missverstandenwerdens. Der Eindruck, unter Wert behandelt zu werden, fehl am Platz zu sein, wie ein Diamant im Kaugummiautomaten. So war es jüngst bei Katrin Sass, die in der ZDF-Show von Markus Lanz „Dschungelkönig“ Peer Kusmagk angiftete, weil der die Chuzpe besaß, hier überhaupt anwesend zu sein („Das wird mal Zeit, dass du dir mal überlegst, was du hier überhaupt machst!“). So war es bei Ton-Steine-Scherben-Manager Nikel Pallat, der sich 1971 in „Je später der Abend“ nach einem Streit mit Musikproduzent Rolf-Ulrich Kaiser mit einem Beil vergeblich um die Zertrümmerung eines ärgerlich stabilen Tisches bemühte. So war es bei Nina Hagen, als Jutta Ditfurth sie bei Sandra Maischberger als „etwas esoterisch“ belächelte. So war es bei Klaus Kinskis unvergessenen Ausfällen („Analphabetin!“). So war es 2003 bei Rudi Völlers Weißbier-Ausraster mit Waldemar Hartmann („Ich kann diesen Käse nicht mehr hören. So ein Scheiß!“). Und so war es, als Marcel Reich-Ranicki, angeekelt durch Heerscharen von Fernsehköchen, nach vielen Stunden auf einem harten Sessel zwischen klimpernden Soapsternchen und Pseudoglitzer, 2008 den Deutschen Fernsehpreis ablehnte. Die Tatsache, dass wir uns an derlei Szenen erinnern, zeigt etwas im Grunde Trauriges: Dass TV-Entertainment und Ehrlichkeit zu oft ein Widerspruch sind.

Nein, der Auftritt von Katja Riemann war nicht skandalös. Skandalös ist die Erwartung, ein „Star“ müsse doch bitte überall willens und in der Lage sein, aufs Stichwort die üblichen Plattitüden abzukippen. Skandalös ist die Erwartung, man könne als Moderator mangelnde Empathie mit Schleimerei kaschieren. Skandalös ist die Tatsache, dass der Zorn Riemann trifft und weite Teile des Publikums nach Jahren entsprechender Konditionierung finden, nichts dürfe die TV-Inszenierung irritieren – und wer es dennoch tue, sei eine zickige Diva. Und skandalös ist die Auffassung, man dürfe das Publikum am Vorabend nicht mit Relevanz und Tiefe überfordern.

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