Wie die Youtube-Szene skrupellose Influencer bloßstellt
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Der selbsternannte Millionär Bastian Yotta war mal Kandidat im Dschungelcamp.
© Quelle: MG RTL D / Arya Shirazi
Hannover. Der Beruf des Influencers war schon immer ein schwer greifbarer. Von den einen werden die Onlinestars verehrt, von den anderen verschrien als skrupellose Litfaßsäulen für Make-up- und Bleaching-Produkte. Und in den meisten Fällen bleibt das Treiben der Spezies Influencer medial gänzlich unbeachtet – es gibt schlichtweg viel zu viele von ihnen.
Versuche, sich dem Phänomen kritisch zu nähern, gab es aber immer wieder mal. Jan Böhmermann beispielsweise nahm schon früh in seinem „Neo Magazin Royale“ Youtube- und Instagram-Stars aufs Korn, darunter etwa mehrfach Sami Slimani. Zuletzt sendete der Satiriker ein großes Stück über das Influencer-Paradies Dubai: Hier leben deutsche Onlinestars steuerfrei, solange sie nur kräftig die Werbetrommel für das autoritär regierte Emirat rühren.
In der Corona-Pandemie etablierte auch der Comedian Oliver Pocher ein eigenes Format, indem er die Praktiken der Influencer-Szene anprangerte. In seiner „Bildschirmkontrolle“ geht es etwa um undurchsichtige Gewinnspiele, die in der Szene angeboten werden – oder um Influencerinnen, die ihre Kinder vor die Kamera zerren. Wirklich fundiert ist Pochers Kritik selten, häufig schießt der Comedian bei seinen Tiraden auch weit übers Ziel hinaus.
Influencer werben für Fake Creme
Deutlich aufschlussreichere Einblicke in die Welt der Influencerinnen und Influencer kommen seit Kurzem ausgerechnet von dort, wo man sie am wenigsten vermuten würde: aus der deutschen Youtube-Szene. In gleich mehreren viel geklickten Videos nehmen Videomacherinnen und -macher die Praktiken der Influencer-Branche auseinander. Statt Spott und Häme liefern sie fundierte Recherchen und teils erschreckende Einblicke in die Machenschaften der Social-Media-Stars. Und die Influencer-Szene sieht sich plötzlich mit einem Korrektiv konfrontiert, das es bis dato so nicht gab.
Das prominenteste Beispiel dieser Art stammt von Marvin Wildhage. In einem mehrteiligen Videoexperiment mit inzwischen mehreren Millionen Aufrufen hatte der Youtuber kürzlich gezeigt, wie skrupellos Influencerinnen und Influencer Werbung für Ramschprodukte machen. Dafür heuerte Wildhage in einer monatelangen Undercoveraktion Onlinestars für die frei erfundene Gesichtscreme „Hydro Hype“ an, deren tatsächlicher Inhalt ausschließlich aus Gleitgel besteht. Auf die Verpackung druckte Wildhage noch ein paar heiklere Inhaltsstoffe: Uran, Asbest und „Pipikaka See Oil“.
Insgesamt drei Influencerinnen und Influencer warben am Ende tatsächlich auf ihrem Instagram-Profil für die merkwürdige Fake Creme, darunter Enisa Bukvic (861.000 Follower). Sie postete sogar einen Vorher-Nachher-Vergleich – einen solchen Effekt könne Gleitgel aber gar nicht hervorrufen, analysiert Wildhage. Die Influencerin habe also gemogelt. Bukvic bestreitet das auf ihrem Instagram-Profil: Sie habe ein Foto ohne und ein Foto mit der Creme aufgenommen, weil das vom Kunden so gewünscht war. Der einzige Unterschied sei das Licht gewesen.
Influencerin entschuldigt sich
Auch Fitness-Influencerin Vanessa Mariposa (387.000 Follower) warb für „Hydro Hype“. Sie habe die Creme bei ihrer „Mutter in Salzburg“ entdeckt, erzählt sie in ihrer Instagram-Story. Diese sei „so begeistert“ von dem Produkt gewesen, dass sie es selbst auch ausprobiert habe. Auch das ist glatt gelogen: „Hydro Hype“ ist schließlich gar nicht käuflich zu erwerben. Update, 31. Mai: Mariposa hat sich inzwischen für den Post entschuldigt und sich von ihrem Management getrennt.
Der umstrittene Selfmade-Millionär Bastian Yotta war ebenfalls für einen Werbedeal mit „Hydro Hype“ im Gespräch. Wildhage forderte die Instagram-Statistiken des Influencers an – diese waren jedoch mit Photoshop manipuliert. Yotta selbst erklärte später auf seinem Instagram-Kanal, er habe den Bluff des Youtubers durchschaut und daher falsche Instagram-Statistiken verschickt. In Wirklichkeit seien seine Zahlen noch viel höher.
Und schließlich wurde Wildhage auch noch vom Manager des bekannten Youtubers Leon Machére bedroht. Dieser deutete in einem Telefonat an, er werde mit Hilfe einer Großfamilie das Geld für die Werbekampagne eintreiben, das laut Wildhage längst bezahlt war. Machére und dessen Management haben sich auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) bislang nicht zum Fall geäußert. Update, 29. Mai: In einem Youtube-Video von Leon Machére ist nun zu sehen, dass der Youtuber die Aktion offenbar durchschaut hatte - der Drohanruf sei somit vielmehr ein „Prank“ gewesen.
Familienblogger zeigen Kinder unverpixelt
Zugegeben: Formate wie dieses sind in der Youtube-Szene selten – wohl auch, weil sie äußerst aufwendig und teuer sind. Wilhages Experiment dauerte mehrere Monate, rund 10.000 Euro habe er für die Videoreihe ausgegeben, erklärt der Youtuber in seinem letzten Video. Finanziert wurde das Projekt vom Streaminganbieter Joyn, in dessen Show „Achtung Aaron“ Wildhage eine eigene Rubrik hat.
Doch auch Youtuberinnen und Youtuber mit weniger Budget wagen sich in journalistischen Formaten an die Machenschaften der Instagram-Stars heran. Alicia Joe beispielsweise kommentiert in einem Video die umstrittene Arbeit der Harrison-Familie. Sarah und Dominic Harrison sind sogenannte Familien-Influencer, die auf Youtube und Instagram vor allem mit ihren süßen Kindern Klicks und Geld machen.
Alicia Joe kritisiert, dass in Videos der Harrisons und anderen Familienbloggern am laufenden Band Persönlichkeitsrechte der Kinder verletzt würden – etwa wenn Mami und Papi ihre Kinder unverpixelt in peinlichen Situationen zeigten oder von ihren Krankheiten erzählten.
Familie schaltet Kommentarfunktion ab
In Videos der Harrisons würden die Kleinkinder zudem oft leicht bekleidet beim Baden gezeigt. Aufnahmen dieser Art könnten leicht in Datenbanken pädophiler Kreise gelangen, kritisiert Alicia Joe.
Ein Video prangert die Youtuberin besonders an: In einer Aufnahme aus dem Jahr 2019 muss die Harrison-Tochter in einer Badewanne voller Schleim baden, was ihr offensichtlich nicht gefällt – das Mädchen schreit und weint, die Eltern lachen. Und zu guter Letzt grenze das, was in den Videos solcher Familienblogger passiere, nicht selten an Kinderarbeit, kritisiert Alicia Joe.
Fast 500.000 Mal wurde das Video der Youtuberin inzwischen angeklickt, in den Kommentaren wird die Vloggerin für ihren Beitrag gelobt. Auch an Familie Harrison geht die Kritik offenbar nicht spurlos vorbei: Die Youtuber haben die Kommentarfunktion bei ihren neuen Videos inzwischen deaktiviert. Auf eine RND-Anfrage zu den Vorwürfen hat die Familie bislang nicht reagiert.
Kritik an Influencer-Marken
Auch die Youtuberin Sashka arbeitet sich an der Influencer-Szene ab – jedoch weniger an ihren Protagonistinnen und Protagonisten, sondern vielmehr an ihren Werbepartnern. In einem Video beispielsweise nimmt die Youtuberin eine Versicherungs-App auseinander, für die zahlreiche Influencerinnen und Influencer zuletzt geworben hatten. Das Fazit ihres zehnminütigen Videos: Für eine gute Versicherung brauche es vielmehr einen guten Berater und keine „Youtuber und Rabattcodes, die rüberbringen sollen, wie einfach doch das Ganze funktioniert“.
Auch eine bekannte Kochbox rezensiert die Youtuberin, für die zahlreiche Influencerinnen immer wieder werben – und nicht zuletzt wird auch die Mode bekannter Onlinestars unter die Lupe genommen und von der eigenen Mutter bewertet, die passenderweise Schneiderin ist.
Das aktuellste Video mit Influencer-kritischem Inhalt stammt von Tim Jacken. Er ist in der Youtube-Szene bekannt als der „ehemalige Cutter von Rezo“ – und so klingt auch sein Videotitel. In „Die Zerstörung von Yotta“ nimmt Jacken den selbsternannten Selfmade-Millionär Bastian Yotta von vorne bis hinten auseinander.
Die Zerstörung des Yotta
Unter anderem spricht Jacken die frauenverachtenden, homophoben und rassistischen Äußerungen des Influencers an. Wegen dieser hatten Sender wie Sat.1 und RTL im vergangenen Jahr die Zusammenarbeit mit Yotta beendet – auf Instagram ist der 43-jährige Influencer allerdings bis heute erfolgreich, hier folgen ihm mehr als 700.000 Menschen.
Auch Yottas fragwürdige Werbedeals spricht Jacken an. Im April 2020 beispielsweise warb Yotta in seiner Instagram-Story für ein vermeintliches Wundermittel gegen Corona, das er angeblich „gefunden“ habe. Doch Jacken deckt auf: Im Impressum der Seite, die das Mittel anbietet, steht Bastian Yotta selbst.
Auch diese „Zerstörung“ wurde innerhalb weniger Tage weit über 600.000 Mal angeklickt. Yotta selbst hat sich auf RND-Anfrage bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert, hat aber ebenfalls seine Kommentarfunktion auf Instagram eingeschränkt. In seiner Story kündigt er ein Statement an, das später allerdings „nur für Follower“ zu sehen sei – man solle also dringend den „Folgen“-Button drücken.
Die neue Liebe zum Journalismus
Der neue influencerkritische Videocontent der Youtuberinnen und Youtuber ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil die Formate stark journalistisch geprägt sind. War bislang vor allem das öffentlich-rechtliche Netzwerk funk für journalistische Inhalte auf Youtube zuständig, setzen inzwischen auch viele unabhängige Youtuberinnen und Youtuber auf Relevanz.
Youtuberin Alicia Joe war bislang auf der Plattform eher für Unterhaltungsvideos bekannt, etwa für ihre Kommentare zu aktuellen Trash-TV-Sendungen – ihr Video zur Familie Harrison hat inzwischen dreimal so viele Aufrufe. Auch auf dem Kanal von Tim Jacken waren bislang vor allem Unterhaltungsvideos zu finden, mit der „Zerstörung von Yotta“ werden ganz andere Maßstäbe gesetzt.
Eine Branche unter Beobachtung
Interessant ist die Entwicklung aber auch, weil innerhalb der Szene offensichtlich eine Abgrenzung stattfindet. Die neue Generation der Videomacherinnen und -macher ist nicht mehr ausschließlich auf Klicks und Geld und Werbeverträge aus – sie will authentisch bleiben, und ihre Community honoriert das.
Nicht zuletzt Youtuber Rezo dürfte zu dieser Entwicklung beigetragen haben: Er hatte mit seinen journalistischen „Zerstörungs“-Videos zu politischen Themen zuletzt immer wieder für Aufsehen gesorgt.
Einer Branche jedoch dürfte all das überhaupt nicht gefallen: der Branche der Influencer. Die viel geklickten Youtuber-Videos haben aufgedeckt, mit welch schmutzigen Mitteln in einer Szene teilweise gearbeitet wird, die bislang weitestgehend unbeobachtet blieb. Nun steht sie unter massiver Beobachtung. Es dürften schließlich nicht die letzten Videos dieser Art gewesen sein.