Xavier Naidoo hat in TV-Jurys nichts mehr verloren
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Xavier Naidoo sitzt beim Finale der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar 2019" (DSDS) auf der Bühne.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
Vergangenheit schläft nicht ewig. Auch bei Xavier Naidoo ist sie jetzt aufgewacht und der Musiker muss ihre Konsequenzen tragen. Ein Video, in dem er Stimmung gegen Flüchtlinge macht, von täglich ihre Gastgeber mordenden Gästen schwadroniert (Ich hab fast alle Menschen lieb, aber was, wenn fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt ..."), hat jetzt dafür gesorgt, dass er nicht mehr in der “DSDS”-Jury sitzt.
Zu Recht. Denn Naidoo ist nicht nur der religiös-versponnene Romantiker, als der er zunächst erschien, als der mit einer der schönsten Soulstimmen der Republik gesegnete Sänger in den Neunzigerjahren zum Popstar für alle wurde – einer, dessen Wort Einfluss hatte bei Hunderttausenden Fans. Zunächst verortete man ihn freilich in der Love-and-Peace-Ecke, erst recht im Verbund mit seinen hippiesk anmutenden Söhnen Mannheims. 2000 spielte Naidoo beim Thementag “Fremde werden Freunde” neben Maffay und Lindenberg, spielte für die gute Sache der Toleranz, Freundschaft, Solidarität. Alles schien gut.
Lieder muteten plötzlich seltsamer an
Bis Xavier Superstar dann 2004 plötzlich die Parole ausgab, die Leute sollten abends in gelbem Tuch zum Söhne-Konzert kommen. Und abends in Hannovers Tui-Arena dann auch massenhaft Menschen in gelber Kleidung auftauchten. Der Farbsymbolik des Mittelalters folgend steht die Sonnenfarbe Gelb für Enthaltsamkeit, Askese, Buße, Neid und Furcht. In der späteren Farblehre nach Goethe wärmt sie dagegen das Herz. Dem in normalem Dresscode beim Konzert Weilenden fröstelte an jenem Abend indes bei Gelb. Es schien, als wäre dies der Probelauf eines Anführers in Sachen Macht. Die Gelbsten durften denn auch nach vorn in einen abgesperrten Exklusivbereich.
Plötzlich muteten Naidoos Lieder über “Söldner”, die gegen das “dunkle Reich” rekrutiert werden sollten, seltsamer an als zuvor. Der ungnädige Unterton von Rechthaberei und elitärem Bewusstsein war jetzt darin zu hören. Unterhalb gepredigter Toleranz sah man plötzlich die Intoleranz gegen Andersdenkende glimmen. Eltern, die an Sektenbeauftragte dachten, wenn ihre Kinder zu Konzerten von Naidoo und den Söhnen wollten, mochte man nun nicht mehr lächelnd widersprechen bezüglich dieses Idols, das sein Mannheim für das Neue Jerusalem, die Himmelsstadt, hielt.
Spätestens aber nachdem Naidoo 2017 in dem Söhne-Song “Marionetten” offen zum gerne gewaltsamen Widerstand gegen das herrschende System aufrief und mit der Nazi-Vokabel des “Volksverräters” daherkam, offenbarte er, wes Geistes Kind er ist. Anders als ein erklärter Anti-Nazi wie Heinz Rudolf Kunze schlüpft Naidoo in seinen Songtexten nämlich nie in Rollen. Es war bei ihm immer ein offenes “Wir gegen die”. Und das ging in “Marionetten” so: “Eure Parlamente erinnern mich stark an Puppentheater / Ihr wandelt an Fäden wie Marionetten / Bis wir euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen!” Für das neue Video hat er sich jetzt auch wieder wortreich entschuldigt, sich pro Flüchtlinge, pro Demokratie ausgesprochen. Aber erst nachdem sein Sender RTL das einforderte. Und am Ende erinnert einen das nur an das AfD-Spiel des Zurückruderns vor den nächsten wilden Paddelschlägen nach rechts.
Seine schrägen Wahrheiten saßen mit ihm in der DSDS-Jury
Natürlich muss eine Demokratie seltsame, auch demokratieabholde Weltbilder ertragen. Großzügiges Erdulden gehört zu ihrem Wesen. Natürlich halten wir auch krudeste Naidoo-Songs aus. Der Künstler muss weiterhin seine Platten aufnehmen, seine Konzerte spielen dürfen, vielleicht räumen bald auch hartgesottenste Oi-Rock-Fans eine Ecke in ihrem Herzen für seinen Soul und Reggae frei.
Den Platz in der “DSDS”-Jury aber musste man ihm entziehen – nicht nur für eine kurze Besinnungspause, wie zunächst vermeldet wurde, sondern für immer. Denn die Rückkehr auf diesen Platz in Deutschlands bekanntester Castingshow hätte Naidoo ins Recht gesetzt. Auch wenn er bei Bohlen keine Lieder sang, saßen dort mit ihm unsichtbar stets seine versammelten schrägen Wahrheiten, mit denen er schon vor einigen Jahren vom rechtspopulistischen “Compact-Magazin” als “letzter Promi Deutschlands, der noch Eier in der Hose hat”, beklatscht wurde. Seine Rückkehr, auch seine Platzierung in anderen TV-Jurys, würde diese Eier heiligen und den Rechten eine weitere Tür öffnen.