Medienpsychologe: „Die Wagenknecht-Fans sind begeistert“
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Sahra Wagenknecht während der ARD-Sendung „Hart aber fair“.
© Quelle: Oliver Ziebe/WDR/dpa
Herr Groebel, wie haben Sie die „Hart aber fair“-Sendung mit Sahra Wagenknecht empfunden?
Es ist eine Zuspitzung dessen gewesen, was wir in unzähligen Talkshows mit häufig ähnlichem Personal erleben. In der Regel werden drei Gruppen repräsentiert: zum einen jene, die sich selbst attestieren, sofort für Frieden einzutreten, siehe Wagenknecht und Alice Schwarzer. Die Mitglieder der zweiten Gruppe plädieren für massive Waffenlieferungen, zum Beispiel Frau Strack-Zimmermann – sie werden von der ersten Gruppe besonders hart angegangen. Und dann gibt es Akteure wie Herfried Münkler, die aus einer distanzierteren Warte heraus versuchen, die Situation zu analysieren.
Also war die Aufregung erwartbar?
Bei vielen Talkshows läuft es heutzutage darauf hinaus, dass man die Positionen schon vorab prognostizieren kann. Die meisten Sendungen eignen sich wahlweise nur für Unterhaltung oder der Bestätigung des eigenen Standpunktes – nicht für einen höheren Erkenntnisgewinn durch Differenzierung. Bei weniger brisanten Themen wie dem gestrigen würde ich sagen: Es ist eine Mischung aus Klamauk, Shakespeare und Boxring.
Woran liegt das?
Fernsehen muss spektakulär sein. Die Talkshowredaktionen wählen deshalb prominente Akteure aus, die polarisieren und besonders drastische Eigenschaften aufweisen. Lautstärke und Prominenz sind Faktoren, die Akteure sichtbar werden lassen – obwohl ihre Meinung häufig nicht in einem repräsentativen Maß in der Bevölkerung vertreten ist.
Gerade Sahra Wagenknecht ist in den letzten Jahren in fast jedem Talkshowformat zu sehen. Sie ist Bundestagsabgeordnete, hat aber sonst kein Amt inne, die Linkspartei scheiterte zuletzt an der Fünfprozenthürde. Wenn man sie einlädt, dreht sich trotzdem alles um sie. Ist das gerechtfertigt?
Das ist das Dilemma. Wenn Sie ein Gespräch führen zwischen unbekannteren Experten, wird die Quote möglicherweise geringer sein. Wir müssen uns klarmachen: Talkshows sind Bühnen, auf denen der Voyeurismus der Zuschauer nicht zu unterschätzen ist. Man erwartet den Konflikt, man erwartet die Polarisierung. Deshalb werden Redaktionen nie auf Akteure verzichten wollen, die besonders sichtbar sind.
Ein Fall von „False balance“ – der Wiedergabe von Mindermeinungen zum Zwecke vermeintlicher Neutralität?
Es ärgert mich, dass man glaubt, für die Dramaturgie der Sendung auf jeden Fall Antagonisten vorstellen zu müssen. Wenn man sich Bevölkerungsumfragen anschaut, sehe ich nicht, dass derzeit in Zweifel gestellt würde, dass aktuell offenbar kein Verhandlungsspielraum mit Russland existiert.
Aber müssen nicht im Sinne der Meinungsbildung auch vermeintlich unpopuläre Ansichten in Talkshows abgebildet werden?
Die müssen selbstverständlich vorkommen. Es wäre verheerend, wenn man sich nur nach einer Mehrheitsmeinung richten würde und andere, weniger verbreitete Meinungen nicht mehr vorkommen. Das gehört selbstverständlich zu einer Debattenkultur dazu. Ich kritisiere den immer gleichen rituellen Ablauf der Sendungen und das Prominenzargument: dass eine Meinung deshalb schon wichtig ist, weil sie von einer prominenten Vertreterin wie Wagenknecht geäußert wird.
Würden wir Frau Wagenknecht austauschen durch einen völlig unbekannten Vertreter der Linken, der exakt die gleichen Argumente vorgebracht hätte, hätten wir möglicherweise eine ganz andere Wahrnehmung gehabt. Umgekehrt kann man natürlich argumentieren: Minderheitenmeinungen werden erst sichtbar durch prominente Stimmen. Der Konflikt lässt sich nicht so leicht lösen.
Wo verläuft die Grenze bei der Einladung von Gästen? Ist es beispielsweise legitim, Politiker und Politikerinnen der AfD von Talkshows auszuschließen? Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, hat beispielsweise gesagt, dass Björn Höcke nicht mehr in Talkshows des Senders auftreten soll.
Es ist nicht so, dass die AfD als Ganzes ausgeschlossen würde – beispielsweise bei Wahlsendungen oder anderen Talkshows. In dem von Ihnen angesprochenen Fall ist nicht die AfD das wesentliche Argument, sondern Björn Höcke. Ein Politiker, der sich nachweislich verfassungsfeindlich geäußert hat. Das ist das entscheidende Kriterium. Das Gleiche gilt für Propagandisten von direkter, nicht mehr rechtfertigbarer Gewalt. Solche Leute kann man nicht als Gäste einladen, die dann den Eindruck erwecken, sie verträten eine angeblich gleichwertige Meinung zu einem Thema.
Trotzdem beklagen Vertreterinnen und Vertreter der AfD immer wieder, sie würde benachteiligt, wenn es um Sichtbarkeit in Talkshows geht.
Das ist das Argument, dass die Medien – besonders die Öffentlich-Rechtlichen – ganz bestimmte Meinungen systematisch unterdrücken würden. Das Gegenteil sieht man etwa bei der Bewegung um Wagenknecht: Deren Demonstration hat höchstens 13.000 Menschen angezogen und ein paar Hunderttausend Unterzeichner und ist wahrlich nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Da kann man nicht behaupten, dass solche Meinungen zu wenig vorkommen würden.
Wagenknechts Auftritt, so hat man etwa auf Twitter den Eindruck, hat die Mehrheit der Menschen eher entsetzt. Profitiert sie trotzdem von der Präsenz?
Die Aufmerksamkeit ist ja allemal ein Profit. Und übrigens auch die nachfolgende Kommunikation. Wenn dadurch eine Debatte angeregt wird, auch in der Berichterstattung, ist das ein Wert, der nicht zu unterschätzen ist – so entsteht Raum für differenziertere Argumente. Aber mindestens stärkt der Aufritt ihre Position innerhalb der eigenen Anhängerschaft.
Sie haben anfangs gesagt, die meisten Talkshows brächten keinen Erkenntnisgewinn mehr. Kann man sich Sendungen wie die gestrige also sparen?
Für mich ist es nicht so sehr die Einzelsendung, die immer im Fokus steht, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der die Medienreflexe immer zu den gleichen Köpfen mit ihrer vorhersagbaren Meinung führen. So wird jeder bloß in seiner Ansicht bestätigt: Die Wagenknecht-Fans sind von Wagenknecht begeistert. Die Strack-Zimmermann-Fans von Strack-Zimmermann. Ein paar Zuschauer sind vielleicht an einer etwas differenzierteren Meinung interessiert – die horchen dann dem Münkler.
Warum muss ich mir so etwas anschauen? Nicht, weil ich irgendwie eine neue Meinung dazu gewinnen würde. Das wird in der Regel nicht passieren. Der Informationsgehalt wird immer geringer.