Ansteckende Stimmung: Das Oktoberfest in München ist zurück
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Gäste versuchen beim Start des 187. Münchner Oktoberfests im Hofbräuzelt nach dem Anstich, eines der ersten Biere zu ergattern.
© Quelle: Felix Hörhager/dpa
München. Vor dem großen Feiern kommt das große Warten. Um kurz vor 7 Uhr am Samstagmorgen standen Valentin Schiller und seine Freunde bereits vor dem Einlass zum Gelände, gegen 9 Uhr dann ein kurzer Sprint zum Zelt, dann wieder vier Stunden des Wartens. Und alles nur für ein paar Bier.
Das könnte man denken. Doch für die Freundesgruppe aus dem Landkreis Starnberg sind es nicht einfach ein paar Bier, es sind die ersten Wiesn-Maß, mit denen sie nun, um kurz nach 12 Uhr, gemeinsam anstoßen. Und das erste Oktoberfest nach zwei Jahren Corona-Zwangspause, das an diesem Wochenende in München eröffnet hat.
Nach fünf Stunden Warten können sie endlich miteinander anstoßen: Valentin Schiller (Dritter von links) und seine Freunde aus dem Landkreis Starnberg auf der Wiesn.
© Quelle: Hannah Scheiwe
Oberbürgermeister zapft das erste Fass an
„Wir kommen hierher, seit wir 16 sind“, sagt der 22-Jährige. Davon können sie auch Mediziner und Virologen, die eine neue Corona-Welle nach dem größten Volksfest der Welt befürchten, nicht abhalten. „Kurz darüber nachgedacht, ob man hingehen sollte, habe ich schon“, sagt einer seiner Freunde, Christopher Büttner, wie die ganze Gruppe in Tracht gekleidet. „Aber wir sind geimpft und genesen und waren auch schon den ganzen Sommer in Clubs.“ Warum also nicht zum Oktoberfest gehen?
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der um 12 Uhr das erste Fass angezapft und damit den Startschuss für 17 Tage Bier trinken, eng an eng schunkeln und feiern gegeben hat, appellierte vorab an die Eigenverantwortung der Besucherinnen und Besucher. Und ließ durchblicken, dass er selbst sich dieses Jahr nicht allzu oft auf der Theresienwiese tummeln werde.
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Start des 187. Münchner Oktoberfests: Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister von München, sticht das Fass im Schottenhamel-Zelt an.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Doch das mit der Eigenverantwortung ist so eine Sache. Bei all dem Regelwirrwarr und Hin und Her fehlt vielen der Kompass und auch das Verständnis. In Bus und Bahn soll Maske getragen werden, in Supermärkten schon länger nicht mehr, in Flugzeugen bald auch nicht mehr, und auf Großveranstaltungen gibt es gar keine Regeln. So eben auch auf der Wiesn, der ein Sommer der Lockerungen vorangegangen ist – mit riesigen Festivals und Großkonzerten wie denen von Helene Fischer oder Robbie Williams mit bis zu 150000 Besucherinnen und Besuchern. Sie halten sich doch an die Regeln, denken sich viele, aber wenn es eben keine mehr gibt?
Teil der Gesellschaft längst in eine Art Normalität zurückgekehrt
Während ein Teil der Gesellschaft längst in eine Art Normalität zurückgekehrt ist, im Sommer in Clubs war, im Kino, auf Events, ist ein anderer Teil immer noch in Habachtstellung, in Sorge, auch in Angst um die Gesundheit verletzlicher Menschen. Das Oktoberfest ist für sie der große Stresstest – mit vor der Pandemie durchschnittlich rund sechs Millionen Besucherinnen und Besuchern hat der ganze Rummel noch mal eine andere Größendimension. Und dass das Oktoberfest weitere Infektionen auslösen wird, das bestreiten selbst Befürworter nicht. Da hilft auch nicht das besondere Spülmittel, das Coronaviren von den Biergläsern waschen soll, wie Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner berichtet.
Und so rät auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der, wie er sagt, „kein Spielverderber“ sein möchte, zur Vorsicht und zum Testen. Lauterbach selbst hat nach Angaben seines Ministeriums eine Einladung zur Wiesn ausgeschlagen.
Lust aufs Feiern überwiegt offenbar die Angst vor Ansteckung
Dass auf Menschenansammlungen Infektionen folgen, zeigte zuletzt etwa das Gäubodenfest, das vielen als Testlauf für die Wiesn galt. Mit rund 1,3 Millionen Besuchenden ist es das zweitgrößte Volksfest Bayerns. Straubing hatte danach die höchste Corona-Inzidenz Deutschlands. Und auch nach anderen Volksfesten stiegen die Inzidenzen drastisch an, die Krankenhausfälle aber nicht.
Darauf berufen sich viele hier, der Wiesn-Chef, mehrere Wirte, und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Wahrscheinlich wird die Zahl der Infektionen steigen. Gleichzeitig messen wir aber zum Glück nirgends eine übermäßige Belastung der Krankenhäuser. Das spricht dafür, dass wir bei Corona in einer neuen Phase sind“, sagte er kurz vor Wiesn-Start dem „Münchner Merkur“. Und weiter: „Man darf die Wiesn auch genießen. Corona ist nicht vorbei, aber zum Glück anders als noch vor einem Jahr.“ Das schlechte Gewissen muss nicht mitfeiern.
Söder ohne Maske - wie angekündigt
Ohne Maske, wie zuvor schon angekündigt, kommt der Ministerpräsident – einst selbst ernannter Anführer des „Team Vorsicht“ – an diesem Samstagmittag in das Schottenhamel-Zelt, trinkt das erste Bier, frisch gezapft vom Oberbürgermeister. Später wird er sagen, dass ihn die ganze „Verbotsdiskussion nervt“ – er meint damit die Debatte um Lieder wie „Layla“ und Proteste gegen die Hendl aus Massentierhaltung. Für diese Aussage bejubeln ihn die Feiernden – die fast ausnahmslos keine Maske tragen. Nur ein paar wenige Bedienungen, an einer Hand abzuzählen, ein paar wenige Journalisten, das war‘s. Bei manchem baumelt die Maske noch am Handgelenk, vermutlich von der Bahnfahrt zur Theresienwiese. Aber auch das ist hier ein seltener Anblick. Abstand ist nicht möglich, eng an eng drängen sich die Menschen, es werden Hände geschüttelt, Umarmungen und Küsschen ausgetauscht. Und später, beim Tanz auf der Bierbank, wird sich auch gern mal aneinander festgehalten.
Nicht anders sieht es im Käfer-Zelt, eine Ecke weiter, aus. „Es ist, als wenn es gar keine Pause gegeben hätte“, sagt Wirt Michael Käfer, bei dem gern auch Promis zu Gast sind, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es wird wieder Bier getrunken, mitgesungen, um 14 Uhr auch schon auf den Bänken getanzt. „Corona ist bei denen, die hier sind, kein Thema“, meint der Wiesn-Wirt. Natürlich gebe es auch Menschen, die weggeblieben sind aus Vorsicht, aber ausgebucht sei er trotzdem für die gesamte Zeit. Und storniere jemand seine Reservierung, etwa wegen einer Infektion oder auch der Sorge davor, rücke einfach der Nächste von der Warteliste nach. Auch der Wirt des Augustiner-Festzeltes, Thomas Vollmer, kann sich nicht beschweren: „Wir sind voll“, sagt er dem RND. Heißt: Alle Plätze, die reserviert werden können, sind reserviert. Ein Teil bleibt offen für spontane Besucherinnen und Besucher.
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Der Wirt des Käferzelts, Michael Käfer (Zweiter von links) und seine Frau Clarissa Käfer (Dritte von links) stehen beim Einzug der Wiesn-Wirte in einem von Pferden gezogenen Wagen.
© Quelle: Felix Hörhager/dpa
Auch an diesem Samstag, wenige Stunden nach dem Anstich, sind viele der großen Zelte, in die bis zu 10000 Menschen passen, rappelvoll. Die Lust aufs Feiern überwiegt offenbar die Angst vor Ansteckung. „Wegen Überfüllung kein Einlass“, steht auf einem Banner vor dem Armbrustschützenzelt, „Haupteingang geschlossen“ vor dem Augustiner-Bräu. Trotz kühlen Temperaturen und dem immer wieder einsetzenden Regen sitzen viele auch draußen in den weniger gefragten Biergärten. Und das, obwohl hier im Gegensatz zu den Jahren vor der Pandemie keine Heizstrahler mehr stehen – um Energie zu sparen. Denn Gasverschwendung wollen sich die Wirte nicht auch noch vorwerfen lassen. „Wegen der Wiesn müssen in München nicht bald die Lichter ausgeschaltet werden“, sagt Wiesn-Chef Baumgärtner. Laut Wiesn-Pressestelle verbrauche das Oktoberfest vier Gigawattstunden Strom und zwei an Gas. Dies seien nur 0,6 und 0,1 Promille des jeweiligen Gesamtverbrauchs der Stadt pro Jahr.
„Der Ausfall hat nicht nur wegen des Geldes geschmerzt“
Wirt Vollmer freut sich währenddessen trotz gestiegener Energiepreise, dass so viele wieder zur Wiesn wollen. „Der Ausfall hat nicht nur wegen des Geldes geschmerzt, sondern auch wegen des fehlenden Lebensgefühls“, sagt er. Etwas, bei dem ihm viele Besuchende beipflichten. Sogar Helmut Huber, 81 Jahre alt, der vor Kurzem noch schwer krank im Krankenhaus gelegen hat, will an diesem Samstag dabei sein. Bereits eine Stunde vor Anstich sitzt er nahe dem Fass auf seinem Rollator und wartet auf den Oberbürgermeister – seinen Schützling. „Wir haben am Mittwoch noch zusammen geübt“, verrät er. Huber ist Reiters Anzapftrainer und war das auch schon bei den ihm vorangegangenen Bürgermeistern. „Ich habe keine Angst vor Corona“, sagt er auf die Risiken angesprochen, während seines Krankenhausaufenthaltes habe er sich schon infiziert. „Wer geheilt ist, ist geheilt“, schiebt er scherzend hinterher. Es werde dennoch bei diesem einen Wiesn-Tag für ihn bleiben – und Bier trinke er wegen seiner Medikamente auch nicht.
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Als eine der wenigen trägt Sevim Ögüt auf der Wiesn Maske – hier mit ihrer Tochter Özlem Ögüt.
© Quelle: Hannah Scheiwe
Ähnlich alt wie Huber ist Sevim Ögüt aus Istanbul. Mit ihrer Tochter Özlem Ögüt läuft sie draußen zwischen den Ständen und Fahrgeschäften umher und fällt auf – weil sie Maske trägt. Mit der Kapuze ihrer Regenjacke auf dem Kopf und dem Mundschutz erkennt man kaum etwas von ihrem Gesicht. „Sie ist schon über 80 und will ihre Gesundheit nicht riskieren“, erklärt die Tochter anstelle der Mutter, weil die nur Türkisch spricht. Das Vergnügen, das Oktoberfest mal zu besuchen, wolle sie sich trotzdem nicht nehmen lassen. Ob sie so auch ins Zelt gehen? „Vielleicht“, lässt Ögüt das offen. Erst mal wollen sie ein Foto mit einer Gruppe junger deutscher Männer in Lederhosen machen – auch wenn die keine Maske tragen. Es ist ihre Art der neuen Normalität.