E-Paper
Fans in Aufruhr wegen angeblicher Biografie

Das Spiel mit versteckten Botschaften: Wie Taylor Swift und Co. den Promo-Hype steuern

Beherrscht das Spiel mit den versteckten Hinweisen wie sonst kaum jemand im Showbusiness: US-Popstar Taylor Swift.

Beherrscht das Spiel mit den versteckten Hinweisen wie sonst kaum jemand im Showbusiness: US-Popstar Taylor Swift.

Artikel anhören • 8 Minuten

„4C Untitled Flatiron Nonfiction Summer 2023“: Der Buchtitel klingt kryptisch und wenig einladend. Trotzdem reicht er, um eine weltweite Fangemeinde zu elektrisieren. Unter diesem sperrigen wie schmucklosen Namen listet der US-Handel ein neues Buch, der Titel ist eigentlich nicht mehr als ein Platzhalter. Inhalt und Autor? Völlig unbekannt. Und trotzdem wird „4C Untitled Flatiron Nonfiction Summer 2023“ bei Amazon und Co. schon als Bestseller geführt, die Vorbestellungen schießen durch die Decke. Warum? Weil Taylor Swift, größter Popstar unserer Zeit, ihn geschrieben haben könnte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Die Formel für ein Bestsellerbuch ist ein Rätsel, mit dem Verlage seit Jahrhunderten ringen. Jetzt haben sie vielleicht endlich ihre Antwort“, schreibt der englische „Guardian“ süffisant und folgert: „Man muss nur die Fans von Taylor Swift glauben lassen, sie könnte es geschrieben haben.“ Die „Swifties“ jedenfalls, so nennen sich die Mitglieder ihrer Glaubensgemeinde, haben keinen Zweifel daran, dass das, was sich hinter „4C Untitled Flatiron Nonfiction Summer 2023“ verbirgt, aus der Feder der manchmal wie eine Göttin verehrten 33-jährigen US-Amerikanerin stammt.

Sollten bei dem einen oder anderen „Swiftie“ doch noch Zweifel bestanden haben, so sind sie eigentlich mit dem Beipackzettel zum Werk ohne Namen ausgeräumt, dem kursierenden Verlagspapier, das in den Augen der Fans mit versteckten Botschaften arbeitet – und damit eine zentrale Grundvoraussetzung der Taylorschen Kommunikationsstrategie erfüllt. Kaum ein Popstar setzt derart auf das Spiel mit kryptischen Hinweisen wie Swift, ihre Musikvideos sind voll von sogenannten Easter Eggs. Ist dieses Buch ein weiteres?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Buch erscheint am 9. Juli? Klare Sache für die „Swifties“

Das Buch umfasst den Verlagsangaben nach 544 Seiten, Quersumme 13, im Swift-Universum ist das die Zahl schlechthin. Das Geheimnis um das Werk soll dem Papier nach passenderweise am 13. Juni gelüftet werden, ehe es dann am 9. Juli erscheint. Im Lied „Last Kiss“ vom dritten Studioalbum „Speak Now“ aus dem Jahr 2010 ist in der zweiten Strophe vom „July ninth“ die Rede, vom 9. Juli. Alles klar? Für die Fans von Taylor Swift auf jeden Fall. Und wenn sie doch, was natürlich keiner glaubt, danebenliegen? Garantiert der Buchhandel in den USA schon mal vorausschauend die Rücknahme.

Schon jetzt ist die ganze Geschichte ein ziemlicher Coup, für das Medium Buch und nicht zuletzt für die Sängerin selbst, auch wenn Taylor Swift nun wirklich an zu wenig Aufmerksamkeit leiden muss. Eine Viertelmilliarde Tonträger hat sie verkauft, ebenso viele Follower hat sie bei Instagram, im vergangenen Jahr belegte Swift die ersten zehn Plätze der US-Charts. Gleichzeitig. Rekord, was auch sonst.

Swift ist stilbildend. Was sie tut oder tun lässt, funktioniert, findet Nachahmerinnen und Nachahmer. Da ist zum Beispiel die Sache mit Instagram aus dem August 2017, bereits damals folgten Swift 200 Millionen Menschen auf der Fotoplattform. Nur war von Fotos plötzlich nichts mehr zu sehen – Swift hatte nach verdächtig langer Funkstille alle ihre Bilder gelöscht. Medien weltweit sprangen über dieses Stöckchen, berichteten aufgeregt. Swift und ihre Marketingexperten surften gekonnt auf der sich aufbauenden Aufmerksamkeitswelle – und kündigten das neue Album an. Ein Schema, das seither oft und gerne kopiert wird, 2021 sicherte sich Lena Meyer-Landrut auf gleiche Art Gratis-Promo für eine neue EP.

Die Zeit monströser Budgets für Werbung in der Unterhaltungsbranche scheint vorbei. Nicht, weil das Geld nicht da wäre. Sondern weil die Erkenntnis dank solcher Marketing-Moves gereift ist, dass sich auch mit vergleichsweise geringen Mitteln maximale Effekte erzielen lassen. Fast scheint es, als seien diese Effekte sogar noch größer, als wenn klassische Kommerzmittel eingesetzt würden. Als könne sich die kleine Flaschenpost voller Rätsel im stürmischen Ozean der Reizüberflutung effektiver bewegen als der alte, rostige Vermarktungstanker. Die Verknappung von Information erzeugt jedenfalls Neugier. Mit dieser Neugier spielen die Meister dieser Art der codierten Promotion. Nach dem Motto: Jeder kann ein Sherlock sein. Das zieht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Noch kunstfertiger als Swift beherrschen das die Musikerkollegen von Iron Maiden. Für ihr aktuelles Album „Senjutsu“ von 2021 verlangte die britische Heavy-Metal-Band ihren Fans hochpräzise detektivische Arbeit ab, spielte über Wochen in Andeutungen mit der alttestamentarischen Erzählung des Gastmahls des Belsazar. Dann tauchte ein Twitter-Account namens Daniel auf, der exakt 16 weiteren Konten folgt, jedes davon nimmt Bezug auf eines der 16 Studioalben. Im biblischen Buch Daniel ist die Gastmahlerzählung niedergeschrieben, in der König Belsazar eine geheimnisvolle Schrift an der Wand erscheint. „The Writing on the Wall“ – Titel der ersten Single, wie sich am Ende herausstellte. Das ist Marketing auf Proseminarniveau, ziemlich gelungenes dazu: Kaum ein Album in über 40 Jahren Bandgeschichte war erfolgreicher als dieses.

Die kleinen versteckten Hinweise und Botschaften, sie sind schwer in Mode gekommen bei den Branchengrößen, auch in anderen Disziplinen wie der Literatur oder im Sport. Ein idealer Hebel für den Hype. Benjamin von Stuckrad-Barre etwa machte sich das in der Promophase zu seinem gerade erschienenen Roman „Noch wach?“ zu eigen, als er über zweieinhalb Wochen täglich Dutzende Prominente jede der 18 Kapitelüberschriften aufsagen ließ. Ohne Kontext. Wobei doch längst jedem klar war, worum es geht. Was die Spannungskurve noch einmal anspitzte.

Im Sport begegnet man diesem Prinzip seit einigen Jahren beim Thema Fußballtransfers. Waberte früher die Nachricht eines vollzogenen Wechsels sachlich-müde über den Ticker, geht dem heute häufig ein kryptisches Crescendo voraus. Borussia Dortmund, ein Beispiel unter vielen, rief im Sommer 2021 bei Twitter einen Malwettbewerb aus, zauberte kurz darauf – Abzüge in der B-Note für das recht simpel gestrickte Wortspiel – Donyell Malen aus dem Hut. Nicht sehr kreativ, aber das Interesse war trotzdem gesichert. Zur Freude der Merchandise-Abteilung.

Wer etwas entschlüsselt, gehört zum Kreis der Wissenden – darauf baut die Methode

Mehr oder weniger gut versteckte Botschaften entsprechen ganz offenbar dem Zeitgeist. Es scheint ein besonderer Reiz von dem auszugehen, was sich nicht direkt auf den ersten Blick erschließt. Sei es aus Gründen des menschlichen Spieltriebs – oder wegen des Wunsches nach Distinktion und Anerkennung. Wer etwas entschlüsselt, ist ein Insider, gehört zum Kreis der Wissenden. Eine Prise Zucker fürs Ego, das ist so etwas wie die Marketingzutat der Saison.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Stichwort Ego, da sind wir dann doch noch einmal bei der Musik, bei wem sonst als Oasis. Der Band, bei der zwei Brüder mindestens einer zu viel sind. Vor allem Liam, der jüngere der beiden Gallaghers, hat das mit dem Rätsel perfektioniert, schreibt bei Twitter seit Langem nur noch in solchen. Alle paar Tage haut er, neben viel Nonsens, ein ansatzloses „I said maybe“ raus, die zentralen drei Worte des größten Oasis-Hits „Wonderwall“. Seit Jahren halten sich die Gerüchte über ein Comeback. Ob es irgendwann zustande kommt? Maybe. Vielleicht. Nur eins ist sicher: Die Sherlocks unter den Fans werden an der Sache dranbleiben.

Mehr aus Panorama

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken