Hochzeit feiern ohne die Kinder? Da verhindert man Gutes
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Jetzt bitte kein Babygeschrei: Ein Tiktok-Video brachte die Diskussion über Hochzeitsfeiern ohne Kinder neu auf (Symbolbild).
© Quelle: Christin Klose/dpa
Kinder an die Macht? Nicht auf meiner Hochzeit! Man wird ja wohl noch bestimmen können, mit wem man heiratet und mit wem nicht. Ein entsprechender Videoclip, der jetzt auf Tiktok viral ging, hat eine Diskussion um kinderfreie Hochzeiten entfacht. Fröhliches kalifornisches Partyvolk tanzt da ausgelassen – nirgends sind Kinder zu sehen.
Die Kamera zoomt dann auf die Einladungskarte, auf der vermerkt ist, dass „nur Erwachsene“ kommen dürfen. Das Brautpaar, so ist da zu lesen, hofft, dass die Gäste es trotzdem hinkriegen, sich „eine Nacht freizunehmen und mit uns zu feiern“.
Erinnerungen an Kinder auf Hochzeiten hat wohl jeder. Bei uns in Deutschland sind die Kleinen noch immer meistens dabei und werden oft in der Pleiten-Pech-und-Pannen-Schublade des Gedächtnisses abgespeichert. Sie stehen dafür, dass nicht alles wie am Schnürchen klappt.
Das Baby schreit, das Blumenmädchen vergisst seinen Job
Da war das kleine Blumenmädchen mit den Prinzessin-Leia-Zöpfen, das so vom Ernst seiner Aufgabe durchdrungen war, dass es das Streuen der Blüten und Blütenblätter auf dem ganzen Weg zum Altar glatt vergaß – trotz der ihm aus den Kirchenbankreihen zuhauf freundlich zugezischten Hinweise der erwachsenen Hochzeitsgäste. So kippte es dann ganz vorne alles auf einmal aus. Ein Klassiker.
Dann das Baby, das das ganze „In guten wie in schlechten Zeiten“ des Brautpaars überschrie. Nach dem Kuss der Frischvermählten ging die Mutter mit dem Kleinen endlich raus. Etwas nerviger, gewiss, aber Babys sind Babys – die schreien nun mal, wann immer ihnen danach ist.
Dass Kinder das teure Menü nach ein paar Brocken auf dem Teller liegen lassen, bringt manches Brautpaar ins Grübeln darüber, um wie viel billiger sein „schönster Tag des Lebens“ hätte sein können. Dass sie – seltener zu beobachten – die Walzerrunde dazu benutzen, den schon etwas wackeligen Omas und Großonkeln mit Pogo-artigen Attacken in den Rücken zu fallen, führt zum Nachdenken darüber, um wie viel schöner der Tag ohne die Rüpel geworden wäre.
Tiktok-Kommentare als Gala des Egoismus
Aber sie deswegen ausgrenzen, ausladen, zu Babysittern abschieben, ihnen das Herz zerreißen? Millionen riefen das Tiktok-Video auf, Hunderttausende entschieden sich für „Gefällt mir“. Die überwiegende Zahl der Leute schrieben – es gab auch deutsche Beiträge – dass Kinder auf Hochzeiten „reizgeflutet“ oder „gelangweilt“ seien, sich später eh nicht mehr an das Geschehene erinnern könnten. Ohne sie könne man bis zur Erschöpfung von DJ oder Band mitfeiern. Sie würden auch nur die Aufmerksamkeit von Braut und Bräutigam abziehen. Einer erwähnte, die Kinder sogar dann nicht mitzunehmen, wenn sie explizit eingeladen würden. Die Kommentare erscheinen vorwiegend als große Gala des Egoismus.
Das Thema ist dabei nicht wirklich neu. Die Hochzeit ohne Beteiligung der nächsten Generation wurde – vornehmlich in den US‑Medien – schon in den Neunziger-, Nuller- und Zehnerjahren heftig diskutiert. Eltern, für die eine Teilnahme ohne ihre Kinder nie infrage käme, und die aus Loyalität zum Nachwuchs verärgert wegbleiben – auch solche Repliken finden sich bei Tiktok – tragen dabei vielleicht noch eine vergilbte Erinnerung aus eigenen Kindheitstagen mit sich herum: an die gute alte gediegene Familienfeier-Hochzeit mit viel Essen, ein paar Showeinlagen und einer aufregenden Brautentführung. Damals kaschierten Opas ihre Glatze noch mit einer letzten Strähne quer über den Schädel.
Die Zeiten der gediegenen Hochzeit im Familienkreis ist vorbei
Diesem Ereignis war für gewöhnlich eine wilde Party mit Freunden und Bekannten vorgeschaltet, der sogenannte Polterabend, auf dem Freund, Feind und das ganze feierlustige sonstige Umfeld abrockten und zuhauf altes Geschirr zerdepperten, das die Brautleute dann zusammenfegen mussten. Aus Inklusions- oder anderen Gründen wurden in den letzten Jahrzehnten beide Festivitäten immer öfter miteinander vermählt – eine Hochzeitsparty für alle. Der klassische Ablauf und die klassische Besetzung lösten sich auf, die Feiern wurden immer individueller gestaltet. Für viele wurde die Heirat auch zum Wettbewerb.
Das Streben nach dem unvergesslichen Tag bescherte in den vergangenen Jahren auch hierzulande dem Job des Hochzeitsplaners Konjunktur, eine Tätigkeit, die man – ehrlich gesagt – vor dem Hollywoodfilm mit Jennifer Lopez gar nicht so recht kannte. Der oder die Wedding Planner muss fürs perfekte Timing des Tages sorgen. Kinder aber ruinieren Perfektion. Sie sind das Chaos. Sie sorgen für Punktabzug im Rennen um die glatteste Hochzeit. Oder: Bei Miriam war’s viel besser. Da hat kein Knilch in den Lautsprecher gekotzt.
Kinder führen einem das Ende der eigenen Jugend vor Augen
Und Kinder sorgen auch dafür, dass man sich nicht mehr so jung fühlt, wie man sich an so einem Tag vielleicht gern noch mal fühlen möchte. Sie stören, weil sie die Twenty- und Thirtysomethings und vor allem die Frischvermählten daran gemahnen, dass – auch wenn man gerade noch so kraftvoll zu „Autocorrect“ von den Kongos tanzt – nicht mehr allzu lange der heißeste Scheiß auf Erden ist. Der Zenit der Jugend ist überschritten, die nächste Generation tanzt schon mit, sie sieht frischer aus und hält sogar manchmal länger durch als Onkel Gerd, der wieder viel zu früh seinen Bierchen und Kurzen zum Opfer fiel.
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Sie wollen Kindern allen Ernstes eine großartige Erfahrung verweigern?
Kinder sorgen aber am Ende mit ihrer Unkontrolliertheit gerade für die Augenblicke einer Hochzeit, an die man sich noch lange und mit Grinsen erinnern wird – es muss ja nicht gleich ein Sturz in eine fünfstöckige Hochzeitstorte sein. Und ihr Dabeiseindürfen kann ihnen selbst Unvergessliches bereiten, wie das Katy Baranowski aus Dumfries, Virginia, beschreibt. „Ich erinnere mich, dass ich als Kind auf ein paar Hochzeiten war und mir bewusst wurde, dass ich Teil einer großen, wunderbaren, verrückten Familie bin“, wurde sie 2015 in einem Artikel der „New York Times“ zitiert. „Bis heute habe ich das Gefühl, dass ich wertvoll und wichtig genug war, um an einem der wichtigsten Tage im Leben des Brautpaares dabei zu sein. … In der Kirche zu sein und sie tanzen zu sehen hat mir gezeigt, wie es ist, verliebt zu sein, sich zu binden und Teil von etwas Bedeutendem zu sein.“
Tränen in den Augen? Diese Erfahrung, diesen Wert wollen Sie Ihren Kindern allen Ernstes verweigern? Die Lösung ist ganz einfach. Eine liebe Kollegin, deren Feier noch gar nicht lange her ist, hatte im Nebenzimmer des Festsaals ein Matratzenlager mit Stofftieren, Decken und Kissen aufgebaut. „Der DJ hat eine Runde Kinderdisco-Musik gespielt und dann sind die Kids mit einer Babysitterin zur Schlafparty und wurden von den Eltern dann nachts eingesammelt.“ So einfach.
Inklusion ist alles. Und wenn man statt fünf großartigen Gängen dann auch noch Pommes und Würstchen für die Generation Alpha einplant, freut sich sogar der Geldbeutel.