Plötzlich nahbar: Wie Charles seine neue Rolle als König ausfüllt
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König Charles und seine Frau Camilla am Buckingham Palace – hinter ihnen scharen sich die Menschenmassen.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Als sich die Trompeter auf dem Balkon des Saint James Palace in Stellung bringen, geht ein Raunen durch die Menge. Tausende sind gekommen, um dabei zu sein, als die Ära ihres neuen Monarchen offiziell beginnt. Zwei Tage nach dem Tod seiner Mutter, Queen Elizabeth II., ist Charles III. in London feierlich als britischer König ausgerufen worden. Fanfarenstöße und das Beisein zahlreicher Soldaten mit Bärenfellmützen machten das Ereignis am Samstag für das Volk draußen hör- und sichtbar.
Vorher war die Proklamation schon im Inneren des Saint James Palace – nicht weit vom Buckingham-Palast entfernt – vollzogen worden. Dabei handelte es sich um einen formalen Akt, einen, den es seit 70 Jahren nicht mehr gegeben hat. Der 73 Jahre alte Charles war aber genau genommen bereits mit dem Tod seiner Mutter automatisch König geworden.
Charles zeigte sich nahbar
Viele Britinnen und Briten hatten sich vor dem Tag gefürchtet, an dem Charles König wird, dem Moment des Übergangs der Krone von Königin Elizabeth II. auf ihren Sohn. Hier die beliebte Queen, dort der über die Jahre eher mit Argwohn betrachtete Charles. Am vergangenen Freitag aber, als der neue König das erste Mal vor dem Buckingham-Palast erschien, kam alles anders. Der Monarch zeigte sich nahbar, ließ sich umarmen und küssen. Die Menge jubelte ihm zu und sang „God Save the King“, Gott schütze den König.
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König Charles spricht mit Bürgerinnen und Bürgern vor dem Buckingham Palace.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Am selben Abend hielt er eine emotionale Rede an die Nation, die unter anderem wegen seiner liebevollen Worte über seine Mutter überschwänglich gelobt wurde. „Der Monarch und seine Beziehung zum Volk haben sich verändert“, resümierte eine britische Journalistin. Das Eis zwischen der königlichen Familie und den Menschen im Land sei geschmolzen. Camilla Tominey, Kolumnistin der Tageszeitung „The Telegraph“, bezeichnete seine Rede als eine der „beeindruckendsten der Geschichte“. Tritt man einen Schritt zurück, reibt man sich angesichts solcher Äußerungen jedoch verwundert die Augen.
Schließlich waren noch im Mai dieses Jahres einer YouGov-Umfrage zufolge nur 32 Prozent der Britinnen und Briten davon überzeugt, dass Charles ein guter König sein würde. Hat das Volk tatsächlich so schnell seine Meinung über ihn geändert?
Pauline MacLaran, die sich an der Royal-Holloway-Universität in London mit dem Bild der königlichen Familie befasst, glaubt, dass das nicht unbedingt der Fall ist. „Das ist eine Art Honeymoon-Phase“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Menschen trauern gerade um die Queen und fühlen mit dem König mit, der sich ja selbst sehr emotional zeigte.“ Die Rede sei überdies elegant formuliert gewesen. „Er gab sich bescheiden und pflichtbewusst, als eine Fortsetzung der Queen“, sagte sie. „Er hatte einen guten Start.“
Dass das so weitergehe, sei jedoch zweifelhaft. Denn für Charles III. machte die Tatsache, dass er sein ganzes Erwachsenenleben lang Zeit hatte, sich auf diesen Moment vorzubereiten, die Herausforderung umso größer. Während seine Mutter die längste Zeit ihres Lebens Monarchin und damit eine fast sphärische Person war, von der man wenig wusste und die damit auch zu einer perfekten Projektionsfläche für unterschiedliche Werte und Ideale wurde, war Prinz Charles in der Wahrnehmung vieler deutlich weltlicher.“
Welches Bild haben die Briten und Britinnen von Charles?
Britinnen und Briten haben im Laufe der Jahrzehnte seine politischen Ansichten und Schwächen kennengelernt“, betont Almuth Ebke, Historikerin zur britischen Geschichte der Gegenwart. Dadurch sei es vielen schwergefallen, sich ihn als König vorzustellen. Tatsächlich kennt die ganze Nation Charles‘ Meinungen, seine Interessen, ganz zu schweigen von schlüpfrigen Details aus seinem früheren Privatleben. Man denke nur an die Mitschriften der intimen Telefonate zwischen ihm um Camilla, auch wenn diese Gespräche schon lange her sind, mehr als 30 Jahre. „Was auch immer er jetzt tut, Briten werden ihn an dem Bild messen, welches sie sich in den vergangenen Jahrzehnten von ihm gemacht haben“, betonte die Tageszeitung „The Times“ kurz nach dem Tod von Königin Elizabeth II. Doch was für ein Bild ist das?
Fragte man die Menschen in Großbritannien noch vor einiger Zeit, dann hielten sie zumindest den Prinzen Charles für spleenig. Pilgerreisen nach Griechenland, Gerüchte um seine verzweifelte Suche nach dem perfekt gekochten Ei? Für viele passte das nicht zu einem zukünftigen König. Im Zuge eines Interviews gab er einmal zu, gelegentlich Gespräche mit Pflanzen zu führen.
„God Save the King“: Charles III. offiziell zum König ernannt
Mit dem Tod seiner Mutter Elizabeth am vergangenen Donnerstag war die Königswürde auf Charles, die Nummer eins der Thronfolge, übergegangen.
© Quelle: Reuters
Erschwerend hinzu kam laut MacLaran, dass jüngst auch die Netflix-Serie „The Crown“ seine gefühlige, ja „jammernde“ Seite betont habe. Die Serie, die in der vergangenen Staffel die Beziehung und Ehe zwischen Charles und Diana und seine Affäre mit Camilla in den Blick nahm, rief außerdem dunkle Erinnerungen wach. Vorgeworfen wurde ihm in den vergangenen Jahren überdies, dass er es, anders als die Queen, mit der politischen Neutralität nicht so genau nahm. Denn der „rebellische Prinz“, wie ihn der Journalist und Biograf Tom Bower einst bezeichnete, missachtete immer mal wieder die Regeln des königlichen Protokolls.
So zog er im März dieses Jahres im Rahmen einer feierlichen Rede etwa Parallelen zwischen einem Verbrechen in der englischen Küstenstadt Southend-on-Sea, wo ein Politiker erschossen wurde, und den Geschehnissen in der Ukraine. Beides seien „Angriffe auf die Demokratie, auf eine offene Gesellschaft, auf die Freiheit selbst“, sagte er. Der 73-Jährige feuert damit eine Debatte an, die er schon vor Jahren losgetreten hatte, indem er unter anderem Briefe an den früheren Premierminister Tony Blair schrieb. Darin hatte er sich zum Beispiel über die Ausrüstung der Armee im Irak-Krieg beklagt. Provokant war das deshalb, weil sich britische Monarchen eigentlich nicht in die Politik einmischen dürfen.
Und dies galt, einer jahrhundertelangen Tradition folgend, nicht nur für Elizabeth II., sondern auch für den Rest der königlichen Familie – Charles, damals noch Prinz, eingeschlossen. Er wusste dies, hielt sich aber nicht daran.
Die Palastexpertin und Historikerin Jenny Hocking betonte, dass es ihm vorwiegend dann schwerfalle, neutral zu bleiben, wenn ihm Themen am Herzen liegen. „Er greift eher ein“, und das, so betonen seine Kritiker, könne zu Problemen für die Zukunft der Monarchie führen. Charles selbst ist die Diskussion darüber, ob er ein gutes Staatsoberhaupt sein wird, jedenfalls schon lange leid. Auf die Frage, ob er seine politischen Kämpfe weiter ausfechten werde, wenn er einmal König sei, sagte er der BBC vor einiger Zeit: „Nein, das werde ich nicht. Ich bin ja nicht dumm. Mir ist klar, dass es etwas anderes ist, souverän zu sein. Und mir ist vollkommen klar, wie das funktioniert.“
Viele Biografen sind sich jedoch sicher, dass er seine neue Position nutzen wird, um für die Themen zu kämpfen, die ihm am Herzen liegen: vielleicht nicht so lautstark wie zuvor, aber mit der gleichen Hingabe – und mit einer Premierministerin, die ihm einmal die Woche zuhören muss. In anderen Worten: Charles könnte die Audienzen als eine gute Gelegenheit betrachten, die neue Regierungschefin Liz Truss mit seinen Ansichten zu „bombardieren“, wie es ein Journalist der Tageszeitung „The Guardian“ umschrieb. Dazu zählt womöglich auch sein Engagement für den Erhalt des Planeten. Seit Jahrzehnten, lange bevor es die Fridays-for-Future-Bewegung gab, wirbt Charles für Umwelt- und Klimaschutz.“
Was für ein König er aber tatsächlich wird, das werden wir erst im Laufe der Zeit erfahren“, betonte MacLaran gestern. Ihr fiel auf, dass Charles in seiner Rede darauf verwies, dass sein Sohn William in Zukunft in seiner Rolle als Prince of Wales stark involviert sein werde. „Ich denke, er tat dies in dem Wissen, dass William und Catherine sehr beliebt sind“, sagte MacLaran. Aus ihrer Sicht ist dies ein kluger Schachzug.
Folgt nun der Auszug aus dem Buckingham Palace?
Fest steht auch, dass die Monarchie unter seiner Regentschaft schlanker wird. Einen Vorgeschmack darauf, wie ein verkleinertes britisches Königshaus unter König Charles III. aussehen könnte, bekam die Welt zum Abschluss der Feierlichkeiten zum 70-jährigen Thronjubiläum der Queen zu spüren. Damals war die Königin nur von wenigen Familienmitgliedern auf dem Palastbalkon umgeben: Charles, seine Frau Camilla, Enkelsohn Prinz William nebst Ehefrau Herzogin Catherine sowie deren Kinder Prinz George, Prinzessin Charlotte und Prinz Louis. Gerüchten zufolge möchte er außerdem aus dem Buckingham-Palast ausziehen, um ihn in ein Bürogebäude und ein Museum umzuwandeln.
Königshausexperten betonen zudem, dass King Charles III. wisse, dass seine Regierungszeit die Tatsache widerspiegeln müsse, dass das Großbritannien von heute ein radikal anderes Land ist als das Großbritannien von 1952. Als Staatsoberhaupt, so betonen Fachleute, wolle er Schutzpatron der Gläubigen aller Religionen sein. Hierauf wies er auch in seiner Rede hin, als er sagte: „Was auch immer Ihr Hintergrund oder Ihre Überzeugung sein mag, ich werde mich bemühen, Ihnen mit Loyalität, Respekt und Liebe zu dienen.“
Was auch immer bei der Krönung, die aus Pietätsgründen wohl erst mit einigem Abstand stattfindet, passiert – sie wird vermutlich einen Hinweis auf seine künftige Regentschaft geben. Zunächst steht auch noch der Abschied von Charles‘ Mutter, der Queen, im Vordergrund. Deren Staatsbegräbnis ist für den 19. September geplant, wie der Palast am Samstagabend bekannt gab. Erwartet werden dann zahlreiche Staats- und Regierungschefinnen und -chefs aus aller Welt. Am Buckingham-Palast riss auch am Samstag der Strom an Trauernden nicht ab. Schon am frühen Morgen fanden sich Tausende Menschen ein, um Blumen oder Karten niederzulegen, Kerzen anzuzünden oder innezuhalten. Damit das Anwesen nicht in dem Blumenmeer versinkt, dürfen alle Sträuße nur zwölf Stunden lang davor liegen, bevor sie in den angrenzenden Green Park gebracht werden.