Eine Wiesn mit vielen Fragezeichen
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Zahlreiche Menschen gehen bei Sonnenschein über das Oktoberfest-Gelände (Archivfoto).
© Quelle: picture alliance / dpa
München. Das gibt es erstmals seit drei Jahren: An diesem Samstag wird Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf der Theresienwiese um Punkt 12 Uhr das erste Fass anzapfen, vermutlich mit zwei lässigen Schlägen, eine Mass Bier einschenken und ausrufen: „O’zapft is, auf eine friedliche Wiesn 2022.“ Nach den coronabedingten Absagen 2020 und 2021 ist dann wieder Oktoberfest, die Mutter aller Feste.
Diese 187. Wiesn steht unter einem ganz merkwürdigen Stern – mit der weiterhin schwelenden Corona-Krise, dem Krieg in der Ukraine, dem Gas- und Strommangel. Dass sie stattfindet, sei „ein gutes Signal gerade auch in schwerer Zeit“, meinte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon im Mai bei der Proentscheidung der Stadt. Das Fest stehe für „Lebensfreude und Weltoffenheit“. Gefeiert werden dürfte aber auch mit einem gewissen „Titanic“-Gefühl.
Über nichts wird in München gerade mehr spekuliert als über die Frage, wie diese Wiesn wohl sein wird: Gibt es in den 17 Tagen weniger Besucherinnen und Besucher als die sonst üblichen 5,7 bis 6,7 Millionen? Oder gar mehr, weil es die Leute gerade jetzt richtig krachen lassen wollen? Und was macht Corona? Die Stadt hatte rechtlich keine andere Wahl, als das Fest ganz und ohne jede Einschränkungen abzuhalten oder gar nicht.
„Die Leute wollen mal abgelenkt werden“
Es war diskutiert worden über Impfnachweise an den Eingängen oder verpflichtende Schnelltests – doch nichts davon wäre durchsetzbar gewesen. So appelliert Reiter nun an die Eigenverantwortung der Besucherinnen und Besucher und ließ auch durchblicken, dass er selbst sich dieses Jahr nicht allzu oft auf der Theresienwiese tummeln wird. Sein Vorgänger, der populäre Christian Ude (SPD), teilte mit, dass er und seine Frau gar nicht gehen würden. Denn aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters (74 und 83 Jahre) gehörten sie zur „Hochrisikogruppe“.
Christian Schottenhamel indes blickt optimistisch auf die Wiesn-Tage. „Gerade bei den ganzen Problemen wollen die Leute mal abgelenkt werden“, sagt der Wirt des gleichnamigen Festgroßzeltes und Vorstand der Münchner Sparte des Gastronomieverbandes Dehoga im Gespräch mit dieser Zeitung. Gerade in den letzen Tagen würden die Reservierungen für die Zelte rasant an Fahrt aufnehmen.
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Eine Frau geht durch die ordentlich aufgestellten und noch leeren Reihen von Tischen und Bänken in einem Wiesn-Zelt.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Auch die Belegungen in den Hotels seien mittlerweile „sehr positiv“. Viele US-Amerikaner würden kommen, für die Deutschland aufgrund der Verschiebung des Währungskurses mittlerweile ein „Billigreiseland“ sei. Ein Blick auf das Übernachtungsportal Booking.com in dieser Woche zeigt aber auch: Es gibt noch genügend freie Hotelzimmer in München. Für das mittlere Wochenende vom 23. bis zum 25. September etwa, das sogenannte Italiener-Wochenende, finden sich Doppelzimmer für 190 bis 220 Euro pro Nacht – in Wiesn-Zeiten vor Corona wären das absolute Schnäppchen gewesen.
Beim Personal sieht der Gastronom Schottenhamel das Fest gut aufgestellt. Bis vor einigen Wochen noch sei es schwer gewesen, Bedienungen, Schankkellner oder Spülkräfte zu rekrutieren. „Doch jetzt haben wir die Mitarbeiter, und wir haben auch einen Puffer eingebaut.“
Das Münchner Oktoberfest
Das Münchner Oktoberfest ist das größte Volksfest der Welt. Für die 42 Hektar große Theresienwiese wurden dieses Jahr 487 Betriebe zugelassen, die meisten aus der Gastronomie und dem Schaustellergewerbe. In den 17 Festhallen gibt es insgesamt 120.000 Sitzplätze. Die Maß Bier kostet 2022 zwischen 12,60 und 13,80 Euro, das sind knapp 16 Prozent mehr als auf der letzten Wiesn 2019. Dort wurden 7,3 Millionen Maß Bier ausgeschenkt, 870.000 halbe Hendl verkauft und 124 Ochsen gegessen. Der Gesamtumsatz des Festes liegt bei rund 1,2 Milliarden Euro.
Wirte rechnen nicht mit „Superspreader-Geschehnissen“
Die Corona-Gefahr sei beherrschbar, meint der Festwirt – auch in den knallvollen Großzelten, wo jeweils bis zu 10.000 Menschen eng an eng sitzen oder stehen, essen, trinken, singen und sich in den Armen liegen. Schottenhamel verweist auf die vorangegangen bayerischen Volksfeste in Straubing und Rosenheim – das Gäuboden- und das Herbstfest. „Dort gab es keine Superspreader-Geschehnisse“, so der Gastronom. Die Krankenhäuser waren tatsächlich nicht überlastet, allerdings stiegen die Inzidenzen in beiden Orten nach den Festen drastisch an, Straubing lag mit dem Wert 737 plötzlich bundesweit an der Spitze.
Auch den hohen Energieverbrauch des Fests in Zeiten des Mangels wollen die Stadt und die Gastronomen nicht als Kritikpunkt gelten lassen. Laut Wiesn-Pressestelle verbrauche das Oktoberfest vier Gigawattstunden Strom und zwei an Gas. Dies seien nur 0,6 und 0,1 Promille des jeweiligen Gesamtverbrauchs der Stadt pro Jahr. Christian Schottenhamel hat ein praktisches Beispiel: In einem modernen Grill einer Großküche ließen sich 150 Hendl mit der Energie braten, die vier Privathaushalte für je zwei Hendl im Backofen benötigten.
Und was ist mit dem viel diskutierten und deshalb so populär gewordenen Lied über die Puffmama Layla – „sie ist schöner, junger, geiler“? „Ich fand das etwas deppert“, meint Christian Schottenhamel. Jeder Wirt könne selbst entscheiden, was gespielt wird. „Und wenn die Leute Layla wollen, dann bekommen sie es auch.“
Wolfgang Köbele wird mit seiner populären Band Münchner Zwietracht nach 25 Oktoberfesten diesmal nicht auf der Wiesn und im Marstall-Zelt sein. Er hat sich entschieden, in dieser Zeit andere, kleinere Volksfeste zu bespielen, von Berlin über Braunschweig bis in die Schweiz. „Diese Wiesn wackelt hinten und vorne“, sagt er im Gespräch. „Jeder wird mit einem schlechten Gewissen hingehen.“ Würden sich bei einem kleineren Konzert mit 2000 Besuchern 20 infizieren, fiele das nicht groß auf. Bei 600.000 an Wiesn-Spitzentagen seien das aber 6000. „Und das jeden Tag neu. Das passt alles nicht, diese Wiesn passt nicht zur Zeit.“ Auf das Puffmamalied verzichtet die Zwietracht auch: „Layla geht unter meine musikalische Gürtellinie.“