Keine Notlösung: Konserven als Delikatesse in Madrider Restaurant

Sechs Gänge aus der Konserve gibt's im „Conservas Nudista“.

Sechs Gänge aus der Konserve gibt's im „Conservas Nudista“.

Madrid. Essen aus der Konserve: Damit verbindet man in Deutschland Ravioli aus der Dose und ein Mahl auf dem Campingplatz. In Spanien ist das anders – wie ein Besuch unseres Autoren Martin Dahms im „Conservas Nudista“, einem Restaurant in Madrid, das komplett auf Konserven setzt. Er nimmt sie mit durch ein Sechs-Gänge-Menü:

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Erster Gang: <i>alcachofas con navajas</i> – Artischocken mit Schwertmuscheln

Erster Gang: alcachofas con navajas – Artischocken mit Schwertmuscheln.

Erster Gang: alcachofas con navajas – Artischocken mit Schwertmuscheln.

„Ich liebe Artischocken aus der Konserve“, sagt Luis Lázaro und spießt eine auf die Gabel. Diese hier, zart und schmackhaft, kommen aus Azagra in Navarra. „Artischocken, Wasser und Salz“, mehr steckt nicht im Glas, erklärt Micky Irisarri, der Küchenchef. Leidy, die Küchenhilfe und Kellnerin, hat das Glas geöffnet, das Wasser abgegossen, die Artischocken in zwei Hälften geschnitten und sie auf dem Teller drapiert, dazwischen die galicischen Schwertmuscheln – auch sie in nichts als in gesalzenes Wasser eingelegt – gebettet, und auf die Muscheln schließlich ein paar Tropfen Zitrone und Öl gegeben.

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Die Feinschmecker: Luis Lázaro, Luis Contreras, Restaurantinhaber Micky Irisarri, und Rosa Moral im „Conservas Nudista“ in Madrid.

Die Feinschmecker: Luis Lázaro, Luis Contreras, Restaurantinhaber Micky Irisarri, und Rosa Moral im „Conservas Nudista“ in Madrid.

„Conservas Nudista“ heißt Irisarris Restaurant, was sich ungefähr mit „Nackte Konserve“ übersetzen lässt. Das ist das Geheimnis der spanischen Küche, wenn sie gut ist: Sie vertraut dem Produkt. In diesem Fall: der Konserve. Die Gäste, drei Madrider Freunde mit erfahrenen Gaumen, geben sich heute als Gastrokritiker. „Sehr gut“, sagt Luis Contreras, „eine sehr gute Schwertmuschelkonserve.“ „Schmeckt besser als frisch“, meint Rosa Moral, was aber Luis Lázaro zu weit geht: „Eine gute frische navaja ist unvergleichlich. Leicht gegrillt zergeht sie dir im Mund. Eine Delikatesse. Am besten in der Ría de Aldán.“ Das ist eine Bucht im Galicien, der Gegend im Nordwesten Spaniens, aus der die besten Meeresfrüchte stammen, auch diese Schwertmuscheln. „In der Markthalle von Santiago bekommst du sie auf einem kleinen Tablett mit ein wenig Zitrone, und draußen isst du sie“, erzählt Luis Contreras. „Als Konserve wird sie ein klein wenig hart“, findet der andere Luis. Das gibt einen leichten Punktabzug.

Zweiter Gang: <i>melva con alcaparras y limón</i> – Fregattenmakrele (oder unechter Bonito) mit Kapern und Zitrone

Zweiter Gang: melva con alcaparras y limón – Fregattenmakrele (oder unechter Bonito) mit Kapern und Zitrone

Zweiter Gang: melva con alcaparras y limón – Fregattenmakrele (oder unechter Bonito) mit Kapern und Zitrone

Irisarri hat sein Lokal vor fünf Jahren eröffnet, aber zuvor reiste er ein Jahr durch Spanien, um die besten conserveras zu entdecken, Konservenfabriken, wenn möglich im Familienbesitz. Irisarri schwört auf die Idee des Kleinbetriebs. Aus Barbate in der andalusischen Provinz Cádiz brachte er den besten Thunfisch mit. „Ein Fischer aus Barbate gab mir einen Rat“, erzählt Irisarri mit leuchtenden Augen. „Wir hatten melva de almadraba“ – Almadraba heißt der wilde Thunfischfang vor der Küste Barbates –, „wir zerteilten die Lendenstücke, ich tat etwas Öl dazu, eine Prise Salz, und er nahm eine Zitrone… ich hätte nie gedacht, dass man einer Thunfischkonserve einen Schuss Zitrone beigeben könnte… das Ergebnis ist beeindruckend. Ein 80-jähriger Herr. Unsere melva con alcaparras y limón ist eine Hommage an ihn.“

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Diesmal gibt es keinen Punktabzug, die Freunde essen mit Lust. Und verraten die Philosophie des spanischen Dosenessens: „Eine Dose zu öffnen, ist keine Notlösung“, erklärt Rosa Moral. „Die Dosen öffnet man für besondere Gelegenheiten. Guten Spargel, gute Paprika, gute Pfirsiche, zu Weihnachten oder zum Geburtstag.“ Nein, Spaniern fällt bei Dosenessen nicht als erstes die Raviolidose auf dem Campingkocher ein.

Dritter Gang: <i>Tronco de bonito en escabeche con cebolla y vinagre de manzana</i> – marinierter Thunfisch am Stück mit Zwiebeln und Apfelessig

Dritter Gang: Tronco de bonito en escabeche con cebolla y vinagre de manzana – marinierter Thunfisch am Stück mit Zwiebeln und Apfelessig.

Dritter Gang: Tronco de bonito en escabeche con cebolla y vinagre de manzana – marinierter Thunfisch am Stück mit Zwiebeln und Apfelessig.

Luis Contreras erzählt eine Geschichte, wie er einmal frühmorgens eine Ausfahrt mit Fischern in ihrem Boot unternahm, aber seine Freunde hören kaum zu, sondern geben vor allem Laute des Vergnügens von sich. „Welch delikater, feiner Bonito“, staunt Luis Lázaro. „Und sehr gut mariniert“, fällt nun auch der andere Luis ein. Die Spanier lieben das Essen (wenn die Verallgemeinerung erlaubt sei), und genauso lieben sie es, übers Essen zu reden. „Das kommt noch aus den Zeiten des Mangels“, glaubt Luis Contreras – wo kein üppiges Essen auf dem Tisch stand, malte man sich es immerhin mit Worten aus. Luis Lázaro ist sich nicht so sicher: „Wir genießen das Essen. In schlechten Zeiten und in guten Zeiten.“ Essen ist nationales Kulturgut. „Gleich zu Beginn des Quijote wird vom Essen gesprochen“, fällt Micky Irisarri ein, dem Restaurantbetreiber. Da beschreibt Cervantes des Ritters Speiseplan: Eine Schüssel Suppe mit etwas mehr Kuh- als Hammelfleisch darin… Von Konserven ist nicht die Rede.

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Vierter Gang: <i>Escalivada con atún rojo ahumado</i> – Eingelegtes Gemüse (rote Paprika und Auberginen) mit geräuchertem rotem Thunfisch

Vierter Gang: Escalivada con atún rojo ahumado – Eingelegtes Gemüse (rote Paprika und Auberginen) mit geräuchertem rotem Thunfisch.

Vierter Gang: Escalivada con atún rojo ahumado – Eingelegtes Gemüse (rote Paprika und Auberginen) mit geräuchertem rotem Thunfisch.

„Wie gut das aussieht, bei Gott!“, ruft Rosa Moral aus, als die Kellnerin das Gericht auf den Tisch stellt. Luis Contreras sagt: „Der Thunfisch ist ein Leckerbissen.“ Der hier ganz bestimmt. Dosenfisch. Das klingt in spanischen Ohren vielversprechend. Die Spanier lieben Fisch, sie konsumieren mindestens fünfmal mehr davon als die Deutschen, meistens frisch: Jeder bessere Supermarkt hat eine Abteilung für Frischfisch. Aber auch ein ausführliches Angebot an Fischkonserven. Alles zu seiner Zeit.

„In Madrid gibt es einige Läden, in denen man aus der Dose essen kann“, sagt Luis Lázaro. „Zum Beispiel den Cangrejero, den gibt es schon seit undenklichen Zeiten.“ Micky Irisarri kennt und schätzt den Cangrejero. Er liebt Konserven seit seiner Kindheit. „Ich war mit 14 Jahren ein Konservenfanatiker“, erzählt er. „Im Supermarkt vertrieb ich mir die Zeit in den Gängen mit Konserven, das waren vier oder fünf, und ich kannte alle Marken.“ Er war das jüngste von fünf Geschwistern, und sein größtes Glück war es, sich vom Taschengeld eine Dose mit Herzmuscheln zu kaufen, die er mit niemandem teilen musste.

Als Erwachsener arbeitete er 20 Jahre als Fernsehproduzent, bis er beschloss, seine Kindheitspassion zum Beruf zu machen. Mit seinem Conservas Nudista geht er einen Schritt weiter als die Traditionstavernen wie der Cangrejero: Dort gibt es das Dosenessen als tapa oder aperitivo – als Beilage zum Getränk. Bei Irisarri ist die Konserve die Hauptsache. Sie macht satt. Und glücklich.

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Fünfter Gang: <i>Habitas baby con zamburiñas</i> – Babybohnen mit Bunten Kammmuscheln

Fünfter Gang: Habitas baby con zamburiñas – Babybohnen mit Bunten Kammmuscheln.

Fünfter Gang: Habitas baby con zamburiñas – Babybohnen mit Bunten Kammmuscheln.

„Diese Böhnchen sind wunderbar“, sagt Luis Lázaro. Und als sie alles aufgegessen hat, meint Rosa Moral: „Ich glaube, dies war das Königsgericht.“ Luis Contreras ist einverstanden, „aber der marinierte Bonito war auch nicht schlecht“. „Wenn du Leute nach Hause einlädst, ihnen ein solches Essen servierst und sagst, du hättest alles selber gemacht“, sagt Luis Lázaro, „stehst du da wie Gott“. Alle haben sie zu Hause ein paar Dosen im Schrank stehen, um Freunden schnell etwas Gutes anbieten zu können.

Die Babybohnen sind an diesem Abend das einzige Gericht, das warm serviert wird, erhitzt in der Mikrowelle. Auf der Karte des Nudista stehen noch ein paar mehr heiße Gerichte, und Irisarri lobt sie, als würde er für einen Werbespot bezahlt: „Eine fabada“ – einen Bohneneintopf – aus Asturien. „Das glaubst du nicht, die serviere ich dir zu Hause und komme schwitzend aus der Küche und du bist sofort überzeugt, dass ich sie selber gemacht habe.“ Das sei nun einmal das Geheimnis guten Dosenessens: das, was in die Dose hineinkommt. Die Dose nimmt nichts vom Geschmack und tut auch nichts hinzu. Sie tut nur eins: Sie konserviert.

Nachtisch: <i>Trufas de chocolate, Tarta de queso, Tocinillo de cielo</i> – Schokoladetrüffel, Käsetorte, „Himmelsspeck“

Nachtisch: Trufas de chocolate, Tarta de queso, Tocinillo de cielo – Schokoladetrüffel, Käsetorte, „Himmelsspeck“.

Nachtisch: Trufas de chocolate, Tarta de queso, Tocinillo de cielo – Schokoladetrüffel, Käsetorte, „Himmelsspeck“.

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Die Käsetorte und der „Himmelsspeck“ – eine spanische Bombe aus Sirup und Eigelb – kommen in Döschen auf den Tisch. Ein Scherz des Hauses. Und noch zwei Worte zum Schluss. Das eine von Luis Contreras: „Das Gute an der Dose ist, dass du sie zu jeder Jahreszeit zur Verfügung hast.“ Das andere von Luis Lázaro: „Wie betrunken du auch nach Hause kommst – eine Konservendose wirst du immer noch öffnen können.“ An diesem Abend tut das nicht mehr not.

Das Conservas Nudista findet man im Madrider Stadtbezirk Chamberí, in der Calle Luchana 27.

Die Traditionstaverne Cangrejero – die auf eine eigene Website verzichtet – liegt im Altstadtviertel Conde Duque in der Calle Amaniel 25.

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