„Bizarres Verhalten“: die Gerichtsshow des Alex Jones
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Alex Jones kommt mit mehreren Bodyguards am Gericht an.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Austin. Alex Jones trat vor Gericht auf, wie die USA es von ihm gewohnt sind: laut, aggressiv und mit vielen Verschwörungstheorien auf der Zunge. Der rechte Radiomoderator musste sich dem ersten von mehreren Prozessen stellen, die sein persönliches Vermögen und sein Medienimperium stark schrumpfen lassen könnten.
Für Jones war es ein Auftritt wie jeder andere. Doch nach den Maßstäben eines Gerichtssaals war sein erratisches und manchmal respektloses Verhalten ungewöhnlich – und hat möglicherweise das Verfahren verkompliziert.
Mehr als 49 Millionen Euro Strafe für Jones
Jones und sein Medienunternehmen Free Speech Systems wurden am Donnerstag zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 4,11 Millionen Dollar (vier Millionen Euro) verurteilt. Am Freitag ordneten die Geschworenen bei dem Prozess in Texas eine weitere Schadenersatzzahlung in Höhe von 45,2 Millionen Dollar an. Das Geld geht an die Eltern eines sechsjährigen Jungen, der im Jahr 2012 zusammen mit 19 weiteren Erstklässlerinnen und Erstklässlern sowie sechs Lehrkräften bei dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule getötet worden war.
Mehr Zahlungen könnten auf Jones zukommen: Wegen seiner falschen Behauptungen, der Amoklauf sei von Schauspielern inszeniert gewesen, stehen ihm in diesem Jahr noch zwei weitere Prozesse bevor.
Eltern des Opfers erhielten Morddrohungen
Die Eltern des Sechsjährigen hatten vor Gericht erklärt, Jones' jahrelang wiederholte Aussagen hätten die vergangenen zehn Jahre für sie „zur Hölle auf Erden“ gemacht. Sie hätten Todesdrohungen erhalten, seien online beschimpft und durch Jones und seine Anhänger traumatisiert worden.
Der Moderator gab schließlich unter Eid zu, dass die Schießerei in der Schule „100 Prozent real“ war und reichte den Eltern sogar die Hand. Doch Jones' krawallige Seite lauerte stets unter der Oberfläche und brach sich außerhalb des Gerichtsgebäudes auch immer wieder Bahn.
Spontane Pressekonferenz während Prozesspause
Während einer Pause am ersten Tag hielt er eine spontane Pressekonferenz in unmittelbarer Nähe des Sitzungssaals ab, in der er von einem „Scheingericht“ und einem „Schauprozess“ sprach. Zuvor war er mit einem silberfarbenen Klebeband über seinem Mund eingetroffen: „Save the 1st“ war darauf zu lesen – mit Blick auf den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung, der die Meinungsfreiheit schützt.
Zum Gerichtsgebäude kam Jones immer mit drei oder vier Leibwächtern. Zur Urteilsverkündung erschien er nicht und fehlte auch zwischendurch häufiger, um seine tägliche Sendung „Infowars“ zu moderieren, wo er seine Attacken gegen die Richterin und die Geschworenen fortsetzte. In einer Folge bezeichnete er die Geschworenen als Menschen, die „nicht wissen, auf welchem Planeten sie leben“.
Richterin warnte Verteidiger von Jones
Die Aufnahme wurde der Jury gezeigt – ebenso ein Screenshot von seiner „Infowars“-Website, auf der Richterin Maya Guerra Gamble in Flammen stand. Gamble lachte darüber.
Vor Gericht zeigte sich Jones kaum weniger kämpferisch. Er war der einzige Zeuge, der zu seiner Verteidigung aussagte, und Gamble wusste, dass es dabei zu Entgleisungen kommen könnte. Sie warnte seine Verteidiger vorab: Sobald der Moderator versuche, aus seiner Aussage eine Show zu machen, werde sie den Saal räumen lassen und die Livestream-Übertragung des Prozesses stoppen.
Kaute Jones Kaugummi im Gericht?
Mehrfach rügte die Richterin Jones' Anwalt Andino Reynal und lieferte sich einen heftigen Wortwechsel mit dem Moderator über die Frage, ob er Kaugummi kaue. Das ist bei ihr vor Gericht verboten, Jones bestritt, ein Kaugummi im Mund zu haben.
Rechtsexperten äußerten sich erstaunt über das Benehmen des Beschuldigten und spekulierten, ob es sich um ein kalkuliertes Risiko handelte, um bei seinen Fans zu punkten. „Es ist das bizarrste Verhalten, das ich jemals bei einem Prozess gesehen habe“, sagte Barry Covert, Fachanwalt für Meinungsfreiheit aus Buffalo im US-Staat New York. „Je größer das Spektakel, desto besser.“ Sein Kollege Kevin Goldberg von der Stiftung Freedom Forum erklärte, Jones habe damit offenbar sein Markenzeichen weiter ausbauen wollen: Es scheine so, als ob er für seine Marke die staatlichen Institutionen und das Gericht missachtet habe.
Jones bei Aussage des Vater nicht im Gerichtssaal
Jones war nicht im Gerichtssaal, als der Vater des Sechsjährigen über den Tod seines Sohnes sprach. Dieser bezeichnete die Abwesenheit des Angeklagten als feige. Jones trat stattdessen in seiner Show auf.
In seiner eigenen Aussage testete der Moderator so oft Grenzen aus, dass die Kläger offen die Frage stellten, ob Jones und seine Anwälte versuchten, das Gericht zu sabotieren. Während des Verfahrens redete der 48-Jährige häufig einfach drauflos. Er wurde unterbrochen, wenn er zu Verschwörungstheorien überging, etwa zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Er stellte wichtige Ereignisse der US-Geschichte und bedeutende staatliche Institutionen in Frage. Richterin Gamble maßregelte ihn mit den Worten: „Wir sind hier nicht in Ihrer Show.“
RND/AP