Gewalttat auf dem Campus

Zwei Monate nach Heidelberger Amoklauf: „Es gibt keinen absoluten Schutz“

Studierende legen Ende Februar nach einem Trauerzug für die Opfer des Heidelberger Amoklaufs vor der Mensa Kerzen nieder.

Studierende legen Ende Februar nach einem Trauerzug für die Opfer des Heidelberger Amoklaufs vor der Mensa Kerzen nieder.

Heidelberg. Die Kerzen stehen noch da, vor der Zentralmensa der Heidelberger Uni. Erinnern an die schreckliche Tat, die auf dem Campus am Neuenheimer Feld passiert ist. Ein erst 18-jähriger Biologiestudent schießt während eines Chemietutoriums in einem Hörsaal mit einem Gewehr um sich, eine Kommilitonin stirbt, acht weitere werden verletzt. 30 Studierende, vorwiegend Erstsemester, sind dabei, und sehen die grausamen Bilder, die sich vermutlich für immer in ihr Gedächtnis einbrennen.

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Knapp zwei Monate ist das nun her, der 24. Januar stellt eine Zäsur in der Geschichte der Uni dar. Vergessen ist die Tat längst nicht, doch die öffentliche Debatte ist abgeebbt, und in der Hochschule kehrt wieder mehr Ruhe ein. Ende Februar gab es noch einen Trauerzug Studierender durch die Stadt, seitdem hat man nichts mehr davon gehört. Auch zwei Monate nach der Tat weiß keiner, warum der Täter, der sich nach dem Amoklauf selbst erschoss, das tat. Warum er diese unschuldige junge Frau viel zu früh aus dem Leben riss und acht weitere Studierende verletzte.

Ermittlungen abgeschlossen

Ganz klar ist das Motiv immer noch nicht. Wie am Donnerstag bekannt wurde, könnte der Täter sich wegen einer vermeintlich erlittenen Kränkung gerächt haben wollen. Mit völliger Sicherheit lasse sich das Motiv aber nicht klären, teilten Staatsanwaltschaft Heidelberg und Polizei zum Abschluss des Todesermittlungs­verfahrens mit. Bis zuletzt hätten sich keine belastbaren Anhaltspunkte für ein politisches, namentlich rechtsradikales Tatmotiv des 18-Jährigen ergeben.

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Es gibt überhaupt keinen Grund, keine Erklärung dafür, sich über Wochen vorzubereiten, sich Waffen in Österreich zu besorgen, am Wochenende schön brav zu Hause zu sein, mit dem Taxi zum Hörsaal zu fahren und dann um sich zu schießen.

Bernhard Eitel,

Rektor der Universität Heidelberg

Auch Unirektor Bernhard Eitel spricht gegenüber dem RND von einer „Sinnlosigkeit“ der Tat, von „komplettem Unverständnis“. „Was bewegt jemanden zu so einer Tat?“, fragt er sich auch heute noch. „Es gibt überhaupt keinen Grund, keine Erklärung dafür, sich über Wochen vorzubereiten, sich Waffen in Österreich zu besorgen, am Wochenende schön brav zu Hause zu sein, mit dem Taxi zum Hörsaal zu fahren und dann um sich zu schießen. Das ist keine Spontantat, wir kennen aber auch keinen Hintergrund. Das lässt einen zutiefst ratlos zurück und verstärkt die Betroffenheit noch einmal.“

Studierendensprecher: „Traurig, dass wir gefühlt noch an Tag eins stehen“

Das sieht Peter Abelmann, Vorsitzender des Studierendenrats der Uni Heidelberg, ähnlich: „Es ist ein bisschen traurig, dass wir gefühlt noch an Tag eins stehen“, sagt er dem RND mit Blick auf das, was über die Ermittlungen bekannt ist. Die Uni sei aber „im Großen und Ganzen“ wieder im Normalbetrieb, berichtet Eitel. Die Studierenden wollten weitermachen, weiterstudieren, betont auch Abelmann.

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Am Donnerstag wurde ebenfalls bekannt, dass die Ermittlerinnen und Ermittler einen strafrechtlichen Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung sehen gegen den Inhaber des Wiener Waffengeschäftes und seinen Mitarbeiter, der den Täter bedient hatte. Deshalb seien förmliche Ermittlungsverfahren gegen diese beiden in Österreich wohnhaften Menschen eingeleitet worden. Von ihnen stammten die zwei Langwaffen, die der Student ohne Mittäter oder Mitwisser zu seiner Tat mitgebracht hatte.

Uni soll trotz Vorfall „offene Hochschule“ bleiben

Sicherheitsdebatten sind an der Heidelberger Universität, deren Campus sich über verschiedene Teile der Stadt erstreckt, kein Thema mehr. „Wir haben gelernt, dass man bei einem Amoklauf kaum wirksame Vorkehrungen treffen kann“, so Rektor Eitel. Das Motto sei, dass die Universität eine offene Hochschule sei, und das solle sie auch bleiben. „Von unserem Selbstverständnis her und bei der Größe der Universität bringen Schranken und Absperrungen nichts“, meint er. „Man kann einen Amoklauf nicht verhindern. Es gibt keinen absoluten Schutz.“ Das zeigten auch etwa die USA, wo Colleges abgeriegelt würden und es trotzdem zu Amokläufen komme. „Wir wollen unsere Lebensform an der Uni und das wissenschaftliche Miteinander nicht durch überzogene Sicherheits­vorkehrungen beschädigen“, betont der Rektor. Studierendensprecher Abelmann ist da derselben Meinung: „Die Uni ist nicht hinter Mauern, sondern im öffentlichen Raum, verteilt über die ganze Stadt. Solche Abriegelungen sind undenkbar an deutschen Unis.“

Trauerbewältigung der Studierenden ganz unterschiedlich

Der Umgang der Studierenden mit der Tat sei dabei sehr unterschiedlich, so Abelmann, der nach eigenen Angaben in regelmäßigem Kontakt mit den Studierenden und auch der Tutorin des betroffenen Kurses sei. „Es gibt Studierende, die sich unsicher fühlen und nur noch digital an Vorlesungen und Seminaren teilnehmen“, berichtet er. „Einige sind aber auch direkt am nächsten Tag wieder zur Uni gegangen, damit sich keine Ängste entwickeln.“ Und manche steckten auch in einem Dilemma: Da sei eine Angst, gleichzeitig wollten sie aber zur Uni und unter Leute – schließlich sei die Präsenzlehre nach langen Corona-Schließungen erst kurz zuvor wieder losgegangen.

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Das Tutorium, in dem es zu dem Amoklauf gekommen sei, sei sogar weitergegangen, so Abelmann. „Wenn die Leute damit jetzt abschließen und nicht mehr darüber reden wollen, akzeptieren wir das. Wir wollen alle unterstützen und ihnen ihren eigenen Umgang damit lassen“, sagt er. Hilfs- und Gesprächsangebote würden aber weiterhin aufrechterhalten, betonen sowohl der Studierendenrats­vorsitzende als auch Rektor Eitel.

Hörsaal wird neu gestaltet

Studierende forderten nach dem Amoklauf einen festen Trauerort auf dem Campus. Wie das umgesetzt werden könne, werde aktuell noch diskutiert, berichten sowohl Abelmann als auch Eitel. „Es ist keine Frage des Ob, sondern des Wie“, betont der Rektor. Es brauche die Akzeptanz aller, sowohl der Opferfamilie als auch der Studierenden. „Es soll ein Ort für die Betroffenen sein und nicht ein Gedenkort für die Tat und den Täter“, so Eitel. Der Studierendensprecher betont, dass sie natürlich nicht wollten, dass dadurch eine „Retraumatisierung“ bei Betroffenen ausgelöst werde.

Währenddessen stehe aber laut Eitel schon fest, dass der Hörsaal, in dem der 18-Jährige um sich schoss, renoviert und neu gestaltet werden solle. Zumindest den würden die Betroffenen nicht wieder in der Form sehen, wie sie ihn zuletzt gesehen haben. An dem Tag, als dieser Bildungsort zum Tatort wurde.

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