Deutscher UN-Spitzendiplomat Potzel: Deutschland sollte wieder Botschaft in Kabul eröffnen
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Der UN-Sondergesandte Markus Potzel plädiert dafür, wieder Botschaften in Kabul zu eröffnen.
© Quelle: IMAGO/Le Pictorium
Berlin. Der stellvertretende UN-Sondergesandte in Afghanistan, Markus Potzel, hat sich dafür ausgesprochen, dass Deutschland und andere westliche Nationen ihre Botschaften in Kabul wieder eröffnen. „Mein Appell wäre, dass wieder mehr westliche Staaten hier vertreten sind“, sagte der frühere deutsche Botschafter in Afghanistan dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Man kann die Lage vor Ort einfach besser einschätzen, wenn man hier ist. Das kann man schlecht von Doha oder Berlin aus machen. Deutschland und andere westliche Staaten haben ja Interessen in Afghanistan, das darf man nicht vergessen.“
Potzel betonte: „Botschaften zu eröffnen muss nicht einhergehen mit einer Anerkennung des Taliban-Regimes.“ Dem Westen sei aber an einem stabilen Afghanistan gelegen, in dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nicht weiter ausbreite. „Die internationale Gemeinschaft hat Interesse daran, dass Terrorismus bekämpft wird. Sie hat Interesse daran, dass keine Drogen angebaut werden und gehandelt werden. Sie hat Interesse daran, dass den Menschen im Land Perspektiven geboten werden, damit sich eine Flüchtlingswelle, wie wir sie 2015 gesehen haben, nicht wiederholt. Das sind alles Interessen, für die es sich aus meiner Sicht lohnt, sich einzusetzen und vor Ort präsent zu sein.“
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Markus Potzel, stellvertretender UN-Sondergesandter in Afghanistan.
© Quelle: Unama
Planlose und überstürzte Evakuierungen
Angesichts des rasanten Vormarschs der Taliban schlossen spätestens im August 2021 alle damals noch in Kabul vertretenen westlichen Staaten ihre Botschaften. Die Evakuierungen verliefen häufig planlos und überstürzt. Am Flughafen in Kabul kam es über Tage hinweg zu chaotischen Szenen, weil Tausende Afghaninnen und Afghanen vor den militanten Islamisten fliehen wollten. Die Taliban versprachen nach ihrer Machtübernahme, Menschen- und Frauenrechte zu achten. Menschenrechtsorganisationen werfen ihnen eklatanten Wortbruch vor.
Auch Potzel kritisierte „drakonische Maßnahmen“ des Taliban-Regimes gegen Frauen. „Zum Beispiel einen Erlass vom Mai, nach dem Frauen mit einem verwandten männlichen Begleiter unterwegs sein müssen, wenn sie sich über längere Strecken von zu Hause wegbewegen“, sagte der UN-Diplomat. „Jetzt im November wurde erlassen, dass Frauen nicht mehr in öffentliche Parks gehen dürfen, nicht mehr in Badehäuser gehen dürfen, auch nicht mehr in Fitnesscenter gehen dürfen.“ Das Verhalten des Taliban-Regimes ähnele immer mehr dem ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis 2001. „Ich sehe nicht, dass die Taliban sich verändert haben.“
Potzel: „Die humanitäre Lage ist prekär“
Der UN-Diplomat warnte: „Die humanitäre Lage ist prekär. Der Winter hat eingesetzt. Die Menschen brauchen Heizmaterial, die brauchen etwas zu essen, die brauchen Medizin.“ Er rechne damit, dass im kommenden Jahr drei Viertel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.
Potzel beklagte ein Dilemma: „Wir wollen einerseits das Regime nicht unterstützen, andererseits wollen wir die Menschen nicht im Stich lassen.“ Während die Not zunehme, gebe es international eine sinkende Bereitschaft, Afghanistan zu helfen. Die Lage in dem Land werde überlagert durch andere Konflikte, wie etwa dem Krieg in der Ukraine. „Und mit ihren drakonischen Maßnahmen, wie wir sie zuletzt gesehen haben, machen es die Taliban den Geberländern auch nicht einfach.“