Absturz eines Hoffnungsträgers: Aufstieg und Fall des Alexis Tsipras
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Alexis Tsipras verlässt die Wahlkabine.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Athen. Die Griechinnen und Griechen müssen am 25. Juni erneut zu den Wahlurnen gehen. Bis dahin führt eine Übergangsregierung die Geschäfte. Die Wahlen am vergangenen Sonntag hatten keine regierungsfähige Mehrheit ergeben. Stärkste Partei wurde die seit vier Jahren regierende konservative Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit knapp 41 Prozent. Dagegen verlor das radikal linke Bündnis Syriza mehr als ein Drittel seiner Wähler und Wählerinnen. Syriza-Chef Tsipras steht vor dem Ende seiner Karriere.
Auch Olaf Scholz konnte Tsipras nicht retten
Selbst Olaf Scholz konnte das Blatt nicht mehr wenden. Wenige Wochen vor der Griechenland-Wahl empfing der Bundeskanzler Tsipras zu einem einstündigen Gespräch in Berlin. Dass der Regierungschef eines EU-Landes so kurz vor einer Wahl einen Oppositionspolitiker eines anderen Landes der Union einlädt, ist ungewöhnlich und sorgte bei der griechischen Regierung für Verstimmung. Tsipras, der noch in früheren Wahlkämpfen mit deutschlandkritischen Slogans wie „Go home, Madame Merkel“ um Stimmen geworben hatte, weidete das Treffen mit Scholz daheim denn auch genüsslich aus. Bei jeder Gelegenheit brüstete er sich mit dem „Vertrauensbeweis“ des Kanzlers. Geholfen hat ihm das nicht. Syriza stürzte bei der Wahl von 32 auf 20 Prozent ab. Der Traum von einer Rückkehr an die Macht ist ausgeträumt.
Tsipras verdankte seinen Aufstieg der griechischen Staatsschuldenkrise. Auf deren Höhepunkt wurde er 2015 mit einem Stimmenanteil von 36 Prozent Ministerpräsident. Damals war der 41-Jährige für viele Menschen ein Hoffnungsträger. Er versprach, die Ketten der Sparprogramme zu sprengen. Aber seine Konfrontationspolitik gegenüber den internationalen Geldgebern führte das Land binnen weniger Monate an den Rand der Staatspleite. Schließlich musste Tsipras noch härtere Sparauflagen akzeptieren. Ernüchterung machte sich breit. Bei den Wahlen von 2019 verlor Tsipras die Macht an den konservativen Mitsotakis.
Wählerwanderung vor allem zu den Konservativen
Damit begann der Niedergang von Syriza. Am vergangenen Sonntag verlor die Partei jeden dritten ihrer Anhänger. Wahlforschern zufolge wanderten die meisten zu den Konservativen ab. Das zeigt: Tsipras hat die politische Mitte verloren. Je mehr sich Griechenland von der Krise erholt und zur Normalität zurückkehrt, desto weniger Menschen wählen Syriza. Die Zeiten ändern sich, aber Syriza steckt immer noch im Krisenmodus. Tsipras ist ein Gefangener seiner radikalen Rhetorik. Seine Wahlreden hören sich genauso an wie vor zehn Jahren. Seine dogmatische Totalopposition der vergangenen vier Jahre, die Verstaatlichungspläne und die unfinanzierbaren Sozialprogramme passen offensichtlich nicht mehr in die Zeit.
Es war ein verzweifelter Kampf gegen den Abstieg. Zuletzt umwarb Tsipras sogar die Wähler der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, die inzwischen als kriminelle Vereinigung verboten ist. In der Wahl seiner politischen Partner war Tsipras noch nie wählerlisch: Von 2015 bis 2019 regierte er in einer Koalition mit der Rechtsaußenpartei Unabhängige Griechen (Anel).
Tsipras muss um sein politisches Überleben kämpfen
Dass Tsipras ein schlechter Verlierer sein würde, hatte sich schon vor der Wahl angedeutet. Er klagte über Benachteiligung durch die Meinungsforscher, die angeblich die Stimmenanteile seiner Partei zu niedrig ansetzten. Das Gegenteil war der Fall: Während die Demoskopen den Rückstand von Syriza zur konservativen ND auf 7 Prozent bezifferten, waren es schließlich 20 Prozent.
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Es ist bereits die vierte Niederlage, die Tsipras einstecken muss, seit Syriza 2019 nacheinander die Kommunalwahlen, die Europawahl und die Parlamentswahl verlor. Ein Rücktritt stehe für ihn nicht zur Debatte, sagt er. Aber in den Parteigremien rumort es bereits. Die Diadochen bringen sich in Position. Die Wiederholungswahl in vier Wochen wird für Tsipras zum Kampf um sein politisches Überleben. Wenn Syriza dann kein spektakuläres Comeback erzielen kann, worauf nichts hindeutet, kommt die Frage nach seiner politischen Zukunft unweigerlich auf die Tagesordnung. Der Kampf um seine Nachfolge hat hinter den Kulissen schon begonnen.